Mordfall Charlotte Böhringer
05.03.2019 um 09:14monstra schrieb:Der Gutachter, auch wenn er von diesem Mandanten bezahlt wird, erstellt dagegen eine professionelle Expertise zu einem Sachverhalt oder einer Frage.Das ist im Prinzip das, was ich von einem Gutachter erwarte und in der Regel bei den Gutachten, die ich zu lesen bekomme, auch erfüllt sehe. Manchmal stehen dann auch noch Bezahlung und Ausführlichkeit in einem proportionalen Verhältnis, was aber verständlich ist und auch nicht immer etwas über die Verwertbarkeit oder Qualität aussagt.
Es gibt aber eben die beschriebene subtile Grauzone, den vorweggenommen Blickwinkel, in der bestimmte Vorgehensweisen bei der Datenerhebung und Würdigung das (gewollte) Endergebnis durchaus bestimmen können und je erfahrener der Gutachter oder der Profiler, desto besser weiß er solche Spielräume zu erkennen und auszunutzen.
Prof. Schneider wird sich fundiert und schlüssig zu den Wahrscheinlichkeitsberechnungen der DNA-Analyseergebnisse auslassen und der Anwalt wird diesen Ausführungen dann unauffällig eine Konnotation geben, so dass das breite Publikum denkt, hier wurden ganz entscheidungserhebliche Fehler gemacht und aufgedeckt, was nun wirklich nicht stimmen muss, ohne dass der Gutachter gleich seinen Ruf aufs Spiel setzt.
Die objektive und intensive Auswertung des stimmigen und wissenschaftlich sicherlich nicht zu beanstandenden Gutachtens ist dann eher die Kunst.
Ein Beispiel:
Die Gutachter der Verteidigung stellen in Mischspuren von mindestens drei Personen fest, dass das DNA-Profil mit allelic drop outs von BT enthalten ist, er also als Urheber nicht ausgeschlossen werden kann. Sie schreiben anscheinend nichts dazu, wie wahrscheinlich es ist, dass er der Spurengeber ist im Verhältnis zu anderen Familienmitgliedern, im Verhältnis zu Indiz 9h als Zweipersonenmischspur und im Verhältnis zur DNA-Menge. Das Ergebnis zeigt nicht auf, dass eine hohe oder höhere Wahrscheinlichkeit besteht, dass BT auch die Tatortspur am Sakko unverfänglich hinterließ.
Der Anwalt macht daraus:
"Tatsächlich konnten diverse DNA-Spuren des Antragstellers auch auf Kleidungsstücken seiner Tante ohne jeden Bezug zur Tat gesichert werden."
Das Sakko Indiz verliere daher vollkommen die Bedeutung.
Das ist nicht unbedingt die richtige Schlussfolgerung aus den ansonsten richtigen Gutachten.
monstra schrieb:Kein erfolgreicher (!) Strafverteidiger hat Lust, sich zum "Dödel" eines (mutmaßlichen) Verbrechers zu machen. Er braucht kritikfähige Umstände, alternative Sichtweisen, angriffsfähige Entscheidungen, die er aus rechtsstaatlicher Sicht nutzen kann.Solche Umstände sind hier ja offenbar vorhanden. Ich sehe hier aber den Ehrgeiz des Angreifens losgelöst von der Interpretation, dass Anwalt, Gutachter und Profiler den Verurteilten auch für unschuldig halten. Einige denken, dass ihr Einsatz anderenfalls aber moralisch verwerflich wäre. Das sollte man so nicht sehen.
Wenn man sich von dieser moralischen Bewertung löst, kann man die ganze Angelegenheit nüchterner betrachten und auf die üblichen mit dem Ruf der beteiligten Kapazitäten verbundenen Argumente verzichten.
Also: Die Expertisen von Schneider, Petermann usw. werden nicht falsch sein, können aber völlig irrelevant sein.