Mark_Smith schrieb:Für die Bestimmung des Todeszeitpunktes ist es bei diesem Fall völlig ohne Belang, ob die Mahlzeit 250 Gramm oder 400 Gramm betragen hat. Hier hat Petermann eine Nebelgranate gezündet. Und ich finde es schon erstaunlich, dass man nur eine Person nach 13 Jahren befragt und nicht mehrere Zeugen, wenn man doch nun alles so akribisch untersucht hat und den früheren Ermittlungen sooooo viel Schlamperei vorwirft. Nur einen Zeugen zu befragen, könnte man auch als Schlamperei bezeichnen. :-)
Nun ja.
Da hier gerne der eine oder andere Gutachter (dessen Ergebnisse nicht den entsprechenden Glaubenssätzen entsprechen) niedergemacht werden, möchte ich als jemand, der auch bereits (unabhängige) Gutachten erstellt hat, einfach mal verdeutlichen:
Es gibt einen Unterschied zwischen Gutachter und Anwalt. Der Anwalt ist Partei, sucht streng selektiv die Tatsachen oder Meinungen, die für seinen Mandanten am günstigsten sind. Der Gutachter, auch wenn er von diesem Mandanten bezahlt wird, erstellt dagegen eine professionelle Expertise zu einem Sachverhalt oder einer Frage. Nur dann hat sie einen Wert für die Partei. Tut er das nicht, hat er schnell einen Ruf als "Nutte", dessen Expertise man ungelesen zur Seite legt, weil man eh weiß, was raus kommt. Es gibt solche Typen, die sind in Fachkreisen bekannt.
Zu Beginn stellt man als Gutachter klar, dass man kein Ergebnis vorwegnehmen kann, man nicht weiß, was auch bei wohlwollender Prüfung herauskommt. Man macht eine erste Einschätzung, die sich aber revidieren kann. Das ist natürlich zu begründen. Im Verlaufe einer Untersuchung kann es dann gut passieren, dass man zu Ergebnissen kommt, die dem Auftraggeber nicht sehr nützen. Auch wenn er 10.000 Euro locker gemacht hat. Selbst wenn man große Sympathie für dessen Sache hat. Man macht nicht etwas "richtig", was man persönlich für "falsch" hält. Solche Gutachten werden dann weggelegt - oder dienen als Material für weitere Begutachtungen.
Mich haben Auftraggeber schon beschimpft, weil ich nicht die Ergebnisse lieferte, die sie wollten. Das muss man aushalten. Andere haben zähneknirschend gemacht, was ich empfohlen hatte. Und dritte bedankten sich und gingen von dannen - und ich wusste: Papierkorb.
Natürlich gibt es immer einen Drall, "nützliche" Gutachten zu verfassen, also solche, die dem Auftraggeber weiter helfen. Deshalb beleuchten sie ein Problem unter einem bestimmten Blickwinkel, befassen sich mit einer bestimmten Frage. Bohren dort, wo Kritik möglich ist usw. Aber das hat eben Grenzen. Auch wenn man z.B. an Ermittlungen oder Ermittlungsergebnissen Kritik übt, heißt das noch lange nicht, dass der Verurteilte nicht der Täter ist oder sein kann. Üblicherweise wird der Auftraggeber auch so klug sein und den Auftrag nur auf die Punkte beschränken, die Ansatz für eine alternative Betrachtung sind. Ist die Beschränkung aber zu eng, so eng, dass es nur ein Ergebnis geben kann, dann würde ich einen solchen Auftrag ablehnen. Die Offenheit einer Untersuchung muss gewahrt bleiben, sonst macht man sich als Gutachter zum "Affen". Und das ist schlecht für die Reputation. Und macht keinen Spaß.
Die Macht des Gutachters ergibt sich ja daraus, den Auftraggeber auf Distanz zu halten. Die eigenen Unabhängigkeit zu verteidigen. Das gilt im Übrigen auf andere Art und Weise auch für den Anwalt, der zwar den Mandanten vertritt, aber sich nicht zu dessen Wurmfortsatz degradiert. Kein erfolgreicher (!) Strafverteidiger hat Lust, sich zum "Dödel" eines (mutmaßlichen) Verbrechers zu machen. Er braucht kritikfähige Umstände, alternative Sichtweisen, angriffsfähige Entscheidungen, die er aus rechtsstaatlicher Sicht nutzen kann. Sonst wird er von seinen Gegnern nicht ernst genommen.