Mordfall Charlotte Böhringer
13.01.2014 um 21:33
- Psychologische Motivlage basierend auf eigenen, ähnlich gemachten Erfahrungen
Die Doku „Anklage Mord: Ein Freund vor Gericht“ hatte ich mir erstmalig vor knapp 1 Jahr angesehen. Da ich von dem Fall vorher nie gehört hatte, war der Ausgang, sprich das Urteil, für mich sehr überraschend. Die Doku suggeriert beim gewöhnlichen Betrachten die Unschuld von Bence. Darüber hinaus kann man sich im Unterbewusstsein wohl nur schwer vorstellen, dass die Doku mit solch’ einem Ende jemals von den Protagonisten „freigegeben“ wird. Auch wenn es dafür sicherlich im Vorfeld „Spielregeln“ gab.
Ich forschte seinerzeit zu dem Fall im www, aus zeitlichen Gründen hatte ich die Thematik jedoch aus den Augen verloren.
Nun, knapp 1 Jahr später, habe ich mir die Doku weitere 2x angeschaut. Diesmal natürlich mit dem Wissen, wie die Sache ausgeht.
Und diesmal gab es auch ausreichend Zeit, sich genauer in die Materie einzuarbeiten, auch wenn ich hier natürlich nicht alle Facetten kenne und mich auch nicht durch die 500-Seiten dieses threads komplett durchlesen konnte. Dafür gab’s im letzten Jahr weitere Fakten, beispielsweise das Urteil,
welches der Öffentlichkeit nun zugänglich ist.
Ich versuche nun im folgenden die psychische Situation von Bence, basierend auf eigenen, sehr ähnlichen Erfahrungen, für diejenigen rüberzubringen, die dies oder zumindest die Ausmaße nicht genau einschätzen können.
Eigene Erfahrung:
Doppelleben innerhalb einer Beziehung über mehrere Jahre.
Status Bences bis Anfang 2006:
Ein ruhiger, unauffälliger Mann. Gesundes Umfeld, sozial integriert, nicht abgehoben, kein Selbstdarsteller,….irgendwie ziemlich normal. Einzige Auffälligkeit sein Eintrag wegen Trunkenheit im Strassenverkehr. Sorry, aber da gibt’s dann auch wirklich schlimmeres.
Familie und Freunde in seinem Umfeld sahen dies exakt genau so. Daher ist deren Grundeinstellung gegenüber Bence bis dahin glaubwürdig und nachvollziehbar.
Abbruch des Studiums:
Ab irgendeinem Punkt hat er das Studium „schleifen“ lassen. Es gab keinen fixen Tag und bei Bence anfangs auch sicherlich nicht die definitive Entscheidung, das Studium zu beenden. Daher gab es auch keinen Tag x, dies in seinem Umfeld kund zu tun. Für sein Umfeld war es aber normal, sich über den Status des Studiums zu informieren. Themen wie: Voranschreiten des Studiums, Erfahrungen mit anderen Studenten, Party’s, Professoren, etc.. Hier fing er an zu lügen. Anfangs war’s sicher noch leicht und korrigierbar. Im Laufe der Zeit wird die Steuerung des Lügengerüstes jedoch zu
einer extremsten psychischen Belastung. Erschwerend, kann sein Umfeld dies nicht ahnen. Bei anderen Themen wie Krankheit oder Tod ist es durchaus normal, dies nicht bei jedem Gespräch in den Raum zu werfen. Aber der normale Tagesablauf ist klassisches Thema innerhalb des eigenen sozialen Umfelds.
Und dies wurde für Bence zu einem immer grösser werdenden Problem, auch wenn einige Personen irgendwann sicher bemerkt haben, dass er nicht gerne darüber spricht.
Ab irgendeinem Punkt ist es dann auch gar nicht mehr entscheidend, ob das Thema Studium angesprochen wird. Allein die Tatsache, dass dies angesprochen werden könnte, verursacht enorme psychische Belastungen und lässt einem nicht zur Ruhe kommen. Darüber hinaus entsteht enormer „Druck“, da Bence sich die einzelnen Lügen merken und in einem plausiblen und chronologisch korrekten Ablauf bringen musste. Mit fortschreitender Dauer werden seine Lügen für ihn zum dauerhaften und alltäglichen Stressfaktor und Mittelpunkt seines täglichen Lebens.
Bence war nicht hochgradig intelligent, aber sicher auch nicht dumm. In „ruhiger“ Betrachtung wird er genau gewusst haben, dass die Bekanntmachung des Studiumabbruchs zwar nicht erbauend, aber durchaus zu vermitteln gewesen wäre. Was für ihn entscheidend war, waren die Lügen. Das sind dann auch nicht 4 oder 5 sondern, aufbauend auf den langen Zeitraum vermutlich mehrere Hundert. Auf diesen Lügen bauen dann weitere Lügen und Halbwahrheiten auf. Und genau das wollte er nicht auspacken! Aus meiner Sicht ist dies dann letztendlich auch das Motiv.
Ich bin davon überzeugt, dass es Bence (trotz der 3 Diebstähle) nicht ums Geld ging. Das Erbe an sich hatte für ihn, wie er ja selber sagte, eine untergeordnete Bedeutung. Hier halte ich ihn für glaubwürdig. Er wollte einfach nicht das riesengroße Lügeninventar preisgeben.
Im übrigen sehe ich keinen Zusammenhang zwischen seinen Lügen und seinem "schauspielerischen Engagement“.
Irgendwann im Jahr 2005 wird ihm klar gewesen sein, dass er das Studium nicht mehr aufnehmen wird. Wie aber nun der Familie, den Freunden und der Tante das rüberbringen? Er wartet auf den richtigen Zeitpunkt. Hofft vielleicht, dass seine Tante ihm auch ohne das Studium die gewünschte Geschäftsführerposition verschafft, was für seine persönliche Betrachtung absolut ausreichend gewesen wäre. Hofft insgeheim vielleicht auf einen natürlichen Tod der Tante.
Im Laufe des Jahres 2006 hatte sich die Situation dann aber immer weiter zugespitzt, letztendlich auch mit dem Termin des 2. Staatsexamens. Trotzdem hat er bis auf den letzten Drücker gewartet, immer noch in der Hoffnung, dass sich vielleicht, aus welchen Gründen auch immer, etwas ergeben würde, was die Situation auf „natürlichem“ Wege aus der Welt schafft. Diesen Grund sollte es für ihn nicht geben.
Ich habe mir das vorgenannte Szenario nicht einfach ausgedacht, sondern beziehe mich auf eigene Erfahrungen in Bezug auf ein Lügengerüst, insbesondere den langen Zeitraum betreffend.
Tathergang (eigene Version, ohne Erfahrungswerte ;-)):
Ich würde nicht ganz ausschließen wollen, dass es vor dem Angriff noch zu einem kurzen, finalen und seitens Bences fordernden Gespräch mit der Tante gekommen ist. Fordernd auch deswegen, weil ihm eigentlich keine Zeit für weitere Gespräche blieb. Im Gespräch dann sicherlich mit einem Inhalt, der Bence nun endgültig in die Enge getrieben hat, was ihm nach verlassen der Wohnung deutlich wurde. Ein Schlagwerkzeug (Tatwaffe) ist sicherlich in seinem gewohntem Umfeld schnell auffindbar. Ich halte es auch nicht für unmöglich, dass er die Handschuhe kurzerhand organisieren konnte. Inwiefern dies dann noch als Mord im Affekt zu werten ist, kann ich nicht einschätzen. Aber sicherlich war nach dem (hypothetischen) Verlassen der Wohnung das "Maximum an psychischer Belastung“ überschritten, auch nach der Tat. Dies würde in Folge auch seine Fehler erklären (Bargeldentwendung, Testamentsdurchsicht, Fahrt nach Augsburg, etc.).
Vernehmung und die Rolle seines Umfelds danach:
Bence hatte zwar in der Folge des Mordes 2 Tage Zeit sich einigermaßen zu sammeln, aber mit der Verdunkelung der Tat auch einiges zu erledigen. Es ist aus meiner Sicht daher auch erstmal nicht weiter ungewöhnlich, wenn er die Tat leugnet. Jeder Mensch ist anders, aber so würden erstmal viele reagieren, auch ohne die Erfahrung im Lügen.
Nach der Festnahme gab es in der Anfangsphase, zumindest in den ersten Wochen, die Möglichkeit, die Sache so schildern, wie sie wirklich war. Und genau zu diesem Zeitpunkt hat ihm Bences Umfeld, insbesondere seine Verlobte und seine Freunde, einen Bärendienst erwiesen, in dem sie ihn ohne einen Hauch von Zweifel als unschuldig erklärten. Ihm wurde keine Chance gegeben, die Dinge "gerade zu rücken“. Er musste „mitspielen“, wollte er sein Umfeld nicht wieder enttäuschen. Eine bis heute geschlossene Tür, die er nicht öffnen kann. Von dem mal ab, dass so ein "Prozess der Öffnung“ lange dauert, hat er bis heute keine Chance dieses Thema anzugehen, da immer noch Verfahren laufen und sein Umfeld nicht einen Millimeter nachgegeben hat.
Hätte Bence nach der Verhaftung reinen Tisch gemacht, wäre seine psychische Situation sicherlich spürbar in die Urteilsfindung eingeflossen. Hier dann sicherlich auch das Verhalten der Tante, die ich in meinen Ausführungen bewusst im Hintergrund gehalten habe, da dieser Umstand hier bereits x-fach besprochen wurde.
In letzter Konsequenz hätte man sicherlich ein Strafmaß gefunden, welches im Ergebnis die Freilassung Bences bis spätestens 2016 zur Folge gehabt hätte. Wenn nicht sogar schon früher, wofür ich durchaus Verständnis gehabt hätte. Durch seine Unschuldsbehauptung liess er dem Gericht jedoch keine Chance, dies mit einzubinden. Folglich ist die Entscheidung des Gerichts auf „Mord“ in Zusammenhang mit „Habgier“ eindeutig nachvollziehbar.
Es ist naheliegend, dass sein Umfeld, insbesondere seine Freunde, nun auch nicht so einfach aus der „Er ist unschuldig“-Nummer rauskommen. Ich finde es aber verwunderlich, dass mit dem zeitlichen und emotionalen Abstand zur Tat, sowie der nun vorliegenden Sachlage, kein Hauch von „Zweifel“ zugelassen wird. Deutlich verurteilen will ich dies aber nicht. Aus der Ferne betrachtet, ist die Grundeinstellung seines Umfelds zum Thema „Beziehung“ und „Freundschaft" sicher
bemerkenswert.
An die Skeptiker:
Für mich ist Bence der Täter. Ich respektiere diejenigen, denen die Indizien für eine Verurteilung nicht ausreichen und vermutlich sogar auf Freispruch plädiert hätten. Äusserst nervig sind jedoch diejenigen, sowohl in diesem, aber auch in anderen Foren, die permanent meinen, dem Rechtsstaat versagen vorwerfen zu können und dies wieder und wieder durch alle Foren posten. Gerade dieser, sehr schwierige Fall zeigt, dass man eben nicht so schnell und einfach hinter Gittern kommt.