Andante schrieb:Wobei ich angesichts der heutigen Erkenntnisse der Hirnforschung ein gewisses Unbehagen an der Strafjustiz durchaus verstehen kann.
Wobei es sich die Hirnforschung relativ einfach macht, menschliches Denken, Handeln und Fühlen auf irgendwelche unbewussten Vorgänge Botenstoffe, Synapsenfeuer oder bunte Bildchen vom Kopf zu reduzieren und im Menschen eine "biochemische Marionette" zu sehen. Ausgangspunkt sind relativ einfache Experimente und bildgebende Verfahren. Das wird der Komplexität menschlicher Existenz nicht gerecht. Gleiches würde für die Behauptung gelten, menschliche Entscheidungen seien allein von Umwelteinflüssen determiniert.
Jedenfalls wissen wir bis heute nicht, ob die gemessenen Gehirnaktivitäten Ursache oder Wirkung des menschlichen Willens sind.
https://www.spektrum.de/news/wie-frei-ist-der-mensch/1361221Andante schrieb:Denn niemand tut etwas ohne Sinn. Aus Sicht von MW hatte ihr Verhalten absolut Sinn.
Das ist richtig. Aber das gilt zum Zeitpunkt des Handelns. Da mag eine Handlung Sinn gemacht haben. Aber das ist - die Idee vom freien Willen widerspricht dem gar nicht - oft durch unbewusste Vorgänge gesteuert. So kann die Veräußerung des Schulranzens erfolgt sein, weil Frau Weimar Geld brauchte. Oder aber auch, weil sie einen Gegenstand, der sie an die toten Kinder erinnerte, loswerden wollte. Vielleicht war mit dem Schulranzen auch ein ganz anders Ereignis verknüpft, dass sie erheblich belastete. Ich spekuliere mal wild: Der neu gekaufte Schulranzen war im Auto, als sie mit ihrem Geliebten Sex hatte.
Es gibt relativ viele Menschen, die einfacher strukturiert sind und ihr scheinbar sinnloses Handeln nicht wirklich reflektieren und deshalb danach nicht erklären können. Das ist ein bisschen wie bei Kindern: "Warum hast Du das gemacht?" "Weiß ich nicht." "Du musst Dir doch dabei was gedacht haben!?" "Habe nichts gedacht."
Folge kann dann sein, dass solche Menschen relativ wilde Geschichten erzählen, wenn sie unter Druck geraten. Sie können eine Handlung nicht plausibel machen, weil sie es selbst nicht wissen. Während sich also Herr Weimar ziemlich in sich selbst zurückzog und dicht machte (die wesentlich sinnvollere Verteidigungsstrategie), fing Frau Weimar wie wild zum Rudern an und machte kaum schlüssig erklärbare Dinge. Letztlich pflanzte sich das dann fort, über drei Hauptverhandlungen. Damit ist über die Tatbeteiligung nichts gesagt, aber ich bin vorsichtig, solche Handlungen als Schuldindiz zu werten.