redsherlock schrieb:An eine Rachetat kann ich dagegen nicht so recht glauben. Wenn, dann wäre auch das die Tat eines Psychopathen.
An einen Racheakt glaube ich auch nicht, aber ich gehe davon aus, dass der Täter ein Psychopath ist.
redsherlock schrieb:Eine plausible Erklärung für die Anrufe fehlt mir aber.
Den ersten Anruf finde ich sehr plausibel.
Ich gehe davon aus, dass sich FL, als die erste SMS in der Nacht ihres Verschwindens gegen 1 h versendet wurde, bereits in der Gewalt ihres Entführers befand. Demnach lag dem Täter also viel daran, ihr Fernbleiben in dieser Nacht als überhaupt nicht besorgniserregend darzustellen. Aber ihrer Familie war sofort klar, dass etwas Schwerwiegendes vorgefallen sein musste. Ihre Schwester Karen über FL in dem Stern-Crime-Artikel: "Bei ihr ist nie ein One-Night-Stand gelaufen. Nie. Sie war null so."
Ihre Mutter wandte sich sofort am nächsten Tag an die Polizei, die keine Veranlassung sah, von einem Verbrechen auszugehen. Immerhin war FL volljährig. Aber es wurde dann ein Appell an FL veröffentlicht, sich zu melden - und zwar vor dem ersten Anruf.
Deshalb vermute ich, dass dieser Appell den Täter erst auf die Idee brachte, FL anzurufen zu lassen. Der Appell war - in dieser Betrachtung des Falls - also ein Glücksfall für ihn. Der Täter konnte ihm entnehmen, dass die Polizei von einem freiwilligen Verschwinden ausging (also keinen Anlass zu einer Fahndung sah) und er konnte die Polizei in dieser (für ihn äußerst günstigen) Einschätzung bestätigen, indem FL sich tatsächlich meldete.
Donnerstag, 22. Juni 2006, 22.25 Uhr, Gedächtnisprotokoll von Mitbewohner Chris: "Hallo Christos, ich wollte sagen, dass es mir gut geht und dass ich bald nach Hause komme. Sage Mama und Papa und den anderen Bescheid."
Diese telefonische Mitteilung war also nicht nur ein eindeutiges Lebenszeichen, sondern sprach - aus Sicht des Täters - auch eindeutig für ein freiwilliges Fernbleiben. (Dem Täter entging aller Wahrscheinlichkeit nach die Bedeutung der Anrede "Christos": So sprach FL ihn nur an, wenn es ihr um etwas sehr Ernstes ging, und Chris entging diese irritierende Besonderheit nicht.)
Und der Täter erreichte sein Ziel: Dieser Anruf vergrößerte die Zweifel der Polizei an einer Entführung deutlich. Nach meiner Meinung lohnte das, was der Täter durch den Anruf erreichte, das Risiko einer Fahrt mit FL in ein Gewerbegebiet (es gab keine Fahndungsmaßnahmen, es war später Abend und die Dunkelheit setzte ein.)
Bis dahin finde ich das Verhalten des Täters völlig nachvollziehbar. Der problematischere, d. h. weitaus schwerer verständliche Teil setzt für mich mit dem zweiten Anruf ein, dem eine SMS weitgehend gleichen Inhalts an Chris unmittelbar vorherging. (Ich vermute, dass FL zuerst Chris anrief, ihn aber nicht erreichen konnte, weil er selber telefonierte. Dann versandte der Täter die SMS, die aber den großen Nachteil hatte, kein überzeugendes Lebenszeichen zu sein, und deshalb entschied er sich spontan, FL den Anruf ihres Bruders entgegennehmen zu lassen.)
Freitag, 23. Juni 2006, 23.06 Uhr, Gedächtnisprotokoll von Bruder Frank: "Frauke, was machst du, wann kommst du nach Hause?"
"Ich komme heute nach Hause, auch nicht zu spät. Ich bin in Paderborn, frag nicht, ich komme nach Hause."
"Wo bist du denn?"
"Kann ich nicht sagen."
Hier kündigt sie merkwürdigerweise an, "heute" nach Hause zu kommen, ohne diese Ankündigung einzuhalten. Statt dessen am nächsten Abend wieder die gleiche Ankündigung (mit dem gleichen Resultat), und am übernächsten Abend die dritte folgenlose Ankündigung.
Hätte der Täter Zeit gewinnen wollen, hätte er ihre Rückkehr nicht jedes Mal innerhalb weniger Stunden angekündigt, sondern etwa in einer Woche oder 3 Tagen.
Warum diese Ankündigungen, deren ständige Enttäuschungen weitaus eher beunruhigend als das Gegenteil waren? Sie steigerten die Angst bei FLs Angehörigen, während sich die Polizei allerdings weiterhin mit den "Lebenzeichen" der Anrufe zufriedengab. Im letzten (und längsten) Telefonat schwindet dann endgültig jeder Zweifel an ihrer Entführung und es wird deutlich, dass FL Angst um ihr Leben hat. Innerhalb weniger Tage nach diesem Gespräch, so die Aussage der Ermittler, stirbt FL.
Nach meinem Eindruck fühlt sich der Täter zunehmend sicher und er vernachlässigt sein Ziel, FLs Verschwinden möglichst überzeugend als freiwillig darzustellen, immer mehr. Einen Sinn ergeben diese Anrufe für mich nur, wenn man sich vergegenwärtigt, was sie für FL und ihre Familie bedeuteten.
Ich vermute, dass FL die erste Ankündigung (ebenso wie ihre Eltern) geglaubt hat, vielleicht sogar noch die weiteren. Wenn man von einem Psychopathen ausgeht, kann genau das sein Ziel gewesen sein: Hoffnungen entstehen zu lassen und sie mit Leichtigkeit wieder zu zerstören, FL in jeder Hinsicht zu zeigen, wie sehr sie ihm ausgeliefert ist, ein Katz- und Mausspiel. Sie war völlig abhängig von ihm und ihr Leben in seiner Hand - und das wollte er sie mit größtmöglicher Intensität erfahren lassen.