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Mordfall Hinterkaifeck

51.981 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Mord, Bauernhof, Hinterkaifeck ▪ Abonnieren: Feed E-Mail
Zu diesem Thema gibt es eine von Diskussionsteilnehmern erstellte Zusammenfassung im Themen-Wiki.
Themen-Wiki: Mordfall Hinterkaifeck

Mordfall Hinterkaifeck

06.02.2018 um 21:14
@PastorBrown
Zitat von PastorBrownPastorBrown schrieb:Ich bin kein Jurist, aber m.W. ist ein Gericht heute in seiner Freiheit der Beweisführung eingeschränkt, z. B. durch den Grundsatz in dubio pro reo.
NEIN, das ist völliger Unsinn! Es ist genau umgekehrt. Es ist nicht eingeschränkt, es muss alles Mögliche in Gang setzten um den Zweifel aus zu räumen.

Wenn ein Gericht, immer noch auf § 261 StPo gestützt (!!!), am Ende zu dem Entschluss kommt, dass es, trotz vorgebrachter Beweise usw., Zweifel an der Täterschaft hat, kann es den Täter frei sprechen.

Ob allerdings Zweifel beim Gericht entstanden sind, entscheidet niemand als das Gericht selbst. Gerade die Möglichkeit nach dem Grundsatz "im Zweifel für den Angeklagten" zu entscheiden, wird aus dem §261 StPo "geboren"!


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06.02.2018 um 21:36
Zitat von Heike75Heike75 schrieb:Wenn ein Gericht, immer noch auf § 261 StPo gestützt (!!!), am Ende zu dem Entschluss kommt, dass es, trotz vorgebrachter Beweise usw., Zweifel an der Täterschaft hat, kann es den Täter frei sprechen.
Ja genau
Fast genau. Nicht nur "kann", dann muss der Täter freigesprochen werden.

Letztlich geht es in ALLEN Prozessen darum: das Gericht muss von der Schuld überzeugt sein, wenn der Täter schuldig gesprochen wird.


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Mordfall Hinterkaifeck

06.02.2018 um 21:40
Zitat von PastorBrownPastorBrown schrieb:Das Urteil selbst ist merkwürdig und wirft Grund zu begründetem Zweifel auf. Da kann ich aber nichts dafür und ich finde es unfair, mir das vorzuwerfen.
Es ist nicht unfair Dir das vorzuwerfen, denn Deine Äusserung (Zitat) ist unverschämt und anmassend.

Alles was wir wissen ist, dass Gruber und Vik. im Mai 1915 wegen Blutschande aus den Jahren 1907-1910 verurteilt wurden. Das wars....

Was bitte gibt Dir nun das Recht ein Urteil, dessen Begründung Du nicht kennen kannst als "merkwürdig" zu betiteln oder woher nimmst Du Dir das Recht begründeten Zweifel anzumelden, wenn keinerlei Informationen zum Verfahren hast?


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06.02.2018 um 22:01
Zitat von frauZimtfrauZimt schrieb:Fast genau. Nicht nur "kann", dann muss der Täter freigesprochen werden.
Das kann man so nicht sagen. Du kannst keinem Richter hinter den Kopf kucken.

Ob der Richter Zweifel hat oder nicht, entscheidet er selbst. D.h., wenn er sagt, dass er keine Zweifel hat, dann hat er Keine.
Niemand kann den Richter "zwingen" Zweifel zu haben.

Hat er welche, muss er alles nur erdenkliche anstellen (mal salopp gesagt), um der Wahrheit näher zu kommen.
Gerade hier entsteht das Problem: Kommt es zur Revision, kann an der Stelle eine Sachrüge ganz schnell zur Aufhebung des Urteils führen. Kein Richter der Welt mag es, wenn sein Urteil so löchrig ist, wie ein "Schweizer Käse"....

Ich will aber nicht, dass hier der Eindruck entsteht, man wäre dem Richter vollkommen ausgeliefert und dieser macht was er will.. die Erklärung eben war sehr, sehr oberflächlich. Es gibt Richter die solche Urteile fällen und zwar ganz sauber.


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06.02.2018 um 22:13
FrauZimt schrieb:
Fast genau. Nicht nur "kann", dann muss der Täter freigesprochen werden.
Zitat von Heike75Heike75 schrieb: Das kann man so nicht sagen. Du kannst keinem Richter hinter den Kopf kucken.
Wir sind in der Sache ja einer Meinung. Dir ist beim Schreiben nur eine Unkonzentriertheit unterlaufen (die den Sinn entstellt)

Du schriebst:
Zitat von Heike75Heike75 schrieb:Wenn ein Gericht, immer noch auf § 261 StPo gestützt (!!!), am Ende zu dem Entschluss kommt, dass es, trotz vorgebrachter Beweise usw., Zweifel an der Täterschaft hat, kann es den Täter frei sprechen.
Es muss aber heissen:
Zitat von Heike75Heike75 schrieb:Wenn ein Gericht, immer noch auf § 261 StPo gestützt (!!!), am Ende zu dem Entschluss kommt, dass es, trotz vorgebrachter Beweise usw., Zweifel an der Täterschaft hat, muss es den Täter frei sprechen.



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06.02.2018 um 22:15
@jaska,

Staatsanwalt Pielmeier hat sicherlich keine willkürliche Auswahl dessen, was er in seiner Zusammenstellung darlegt, getroffen. Er hat die Fakten soweit, wie er sie aus den Akten entnehmen konnte, zusammengestellt. Das heißt wir dürfen auch aus dem, was er nicht sagt – ex negativo – Schlussfolgerungen ziehen. Dies betrifft etwa die Frage der bürgerlichen Ehrenrechte. Daraus, dass Pielmeier nichts darüber erwähnt, dürfen wir nicht nur, sondern müssen wir zwingend schließen, dass die bürgerlichen Ehrenrechte unangetastet blieben.

Die Fakten, die Pielmeier bekannt waren, ergeben sich aus den Bestimmungen §266 StPO. Aus diesen folgt auch, dass das Gericht nicht begründen musste, wie das Urteil zustande kam. Es muss nur die "für erwiesen erachteten Thatsachen" anführen, d.i. der Tatzeitraum von 1907-1910. Da das Gericht keine näheren Angaben dazu macht, in welcher Form oder Häufigkeit in dieser Zeit der Missbrauch stattfand, dürfen wir nicht nur, sondern müssen wir – ex negativo – schließen, dass dem Gericht hierzu keine Erkenntnisse vorlagen, also auch kein Geständnis.

Wie das Gericht zu seiner Überzeugung gelangt ist, darüber können wir nur spekulieren.

Das Urteil lässt jedenfalls erkennen, dass das Gericht um eine Zugrundelegung strafrelevanter Tatsachen bemüht ist, die eine möglichst geringe Strafe nach sich zieht, das Gericht die Schuld der Angeklagten also als gering beurteilt hat. Für die Zeit der Ehe wurde Missbrauch ausgeschlossen. Man wird also – ex negativo – davon ausgehen müssen, dass die Angehörigen von Karl Gabriel Entsprechendes ausgeschlossen haben. Auch den Missbrauch einer Schutzbefohlenen, der sich ebenfalls strafverschärfend ausgewirkt hätte, wollte das Gericht nicht annehmen.

Da das Gericht in seiner Beweiswürdigung uneingeschränkt frei war, ist es möglich, dass nur die Aussage Victoria Schlittenbauers vorlag.

Es ist ganz zweifellos Fakt, dass wir abgesehen von Victoria Schlittenbauer von keinen weiteren belastenden Aussagen für die Zeit vor 1915 wissen. Das heißt, es ist pure Spekulation, wenn man annehmen möchte, dass es weitere belastende Aussagen gab.


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06.02.2018 um 22:21
Zitat von PastorBrownPastorBrown schrieb: Auch den Missbrauch einer Schutzbefohlenen, der sich ebenfalls strafverschärfend ausgewirkt hätte, wollte das Gericht nicht annehmen.
Zitat von PastorBrownPastorBrown schrieb:Es ist ganz zweifellos Fakt, dass wir abgesehen von Victoria Schlittenbauer von keinen weiteren belastenden Aussagen für die Zeit vor 1915 wissen
Das würde sich doch dann aber widersprechen, oder? Immerhin soll Viktoria G. etwa 16 gewesen sein als sie Viktoria Schlittenbauer davon berichtet hatte.


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06.02.2018 um 22:27
Zitat von margarethamargaretha schrieb:Immerhin soll Viktoria G. etwa 16 gewesen sein als sie Viktoria Schlittenbauer davon berichtet hatte.
Wir erfahren davon ja nur aus zweiter Hand, nämlich von Lorenz Schlittenbauer. Theoretisch ist es natürlich möglich, dass er sich bei der Altersangabe irrte.

Aber wie gesagt, das Gericht war in seiner Beweiswürdigung frei. Hätte das Gericht bei Victoria zum Zeitpunkt des Missbrauchs ein Alter von 16 Jahren seinem Urteil zugrunde gelegt, hätte es m.W. gegen Andreas Gruber zwingend eine sehr viel härtere Strafe aussprechen müssen. Möglicherweise hat das Gericht das als zu hart empfunden. Es war jedenfalls nicht verpflichtet, seine Entscheidung zu begründen.


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06.02.2018 um 22:30
@PastorBrown
Zitat von PastorBrownPastorBrown schrieb:Die Fakten, die Pielmeier bekannt waren, ergeben sich aus den Bestimmungen §266 StPO. Aus diesen folgt auch, dass das Gericht nicht begründen musste, wie das Urteil zustande kam.
Du machst Dich lächerlich... denn das ist völliger Unsinn! Jedes Urteil muss und musste begründet werden...

Hier der §266 StPO, gültig von 01. Oktober 1879 bis 01. April 1921:

[1] Wird der Angeklagte verurtheilt, so müssen die Urtheilsgründe die für erwiesen erachteten Thatsachen angeben, in welchen die gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung gefunden werden.

[2] Insoweit der Beweis aus anderen Thatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Thatsachen angegeben werden.
(2) Waren in der Verhandlung solche vom Strafgesetze besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urtheilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden.

(3) [1] Die Gründe des Strafurtheils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und sollen die Umstände anführen, welche für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. [2] Macht das Strafgesetz die Anwendung einer geringeren Strafe von dem Vorhandensein mildernder Umstände im Allgemeinen abhängig, so müssen die Urtheilsgründe die hierüber getroffene Entscheidung ergeben, sofern das Vorhandensein solcher Umstände angenommen, oder einem in der Verhandlung gestellten Antrage entgegen verneint wird.

(4) Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urtheilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt, oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene That für nicht strafbar erachtet worden ist.


Die Rechtschreibfehler kommen nicht von mir, dass ist der Originaltext aus 1879 und die haben hi und da noch ein "h" eingebaut.


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06.02.2018 um 22:40
Zitat von PastorBrownPastorBrown schrieb:Hätte das Gericht bei Victoria zum Zeitpunkt des Missbrauchs ein Alter von 16 Jahren seinem Urteil zugrunde gelegt, hätte es m.W. gegen Andreas Gruber zwingend eine sehr viel härtere Strafe aussprechen müssen.
Dafür hätte ich gerne Vergleichsurteile.
Ein Jahr Zuchthaus kommt mir recht hart vor.

Er wurde ja nicht als Vergewaltiger verurteilt, sondern für Blutschande- im gegenseitigen Einvernehmen-, denn die Viktoria wurde auch bestraft.


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06.02.2018 um 22:43
@PastorBrown
Für die Zeit der Ehe wurde Missbrauch ausgeschlossen. Man wird also – ex negativo – davon ausgehen müssen, dass die Angehörigen von Karl Gabriel Entsprechendes ausgeschlossen haben
Hochachtung... auf so ein verdrehtes Beispiel für "ex negativo" muss man erstmal kommen.

Vik. wurde wegen Blutschande verurteilt...
Dann heiratete sie den Karl G. und weil sie nun verheiratet war, müssen die Gabriels zu Laag automatisch (ex negativo) davon ausgegangen sein, dass es keinen Inzest mehr gab.

Und wenn doch?


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06.02.2018 um 22:44
Zitat von frauZimtfrauZimt schrieb:Dafür hätte ich gerne Vergleichsurteile.
Ein Jahr Zuchthaus kommt mir recht hart vor.
@frauZimt

Schau mal HIER:
§. 173.

Der Beischlaf zwischen Verwandten auf- und absteigender Linie wird an den ersteren mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, an den letzteren mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft.
Der Beischlaf zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie, sowie zwischen Geschwistern wird mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft.
Neben der Gefängnißstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden.
Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie bleiben straflos, wenn sie das achtzehnte Lebensjahr nicht vollendet haben.
Ganze Seite:
https://de.wikisource.org/wiki/Strafgesetzbuch_f%C3%BCr_das_Deutsche_Reich_(1871)


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06.02.2018 um 22:48
Zitat von margarethamargaretha schrieb:@frauZimt

Schau mal HIER:

§. 173.

Der Beischlaf zwischen Verwandten auf- und absteigender Linie wird an den ersteren mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, an den letzteren mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft.
Der Beischlaf zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie, sowie zwischen Geschwistern wird mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft.
Neben der Gefängnißstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden.
Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie bleiben straflos, wenn sie das achtzehnte Lebensjahr nicht vollendet haben.
Danke.
Da siehst du mal, wie gnädig das Gericht gewesen ist , und du unterstellst dem Richter, dass er nicht fair gewesen ist.

Zugunsten der HKlers wird man einbezogen haben, dass sie in der Sache zum ersten Mal vor Gericht standen.


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06.02.2018 um 22:49
@frauZimt

Hier ist der § 173, gültig vom 01.01.1872 bis 01.10.1953:

1§ 173. (1) Der Beischlaf zwischen Verwandten auf- und absteigender Linie wird an den ersteren mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, an den letzteren mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft.
(2) Der Beischlaf zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie, sowie zwischen Geschwistern wird mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft.
(3) Neben der Gefängnißstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden.
(4) Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie bleiben straflos, wenn sie das achtzehnte Lebensjahr nicht vollendet haben.



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06.02.2018 um 22:51
@margaretha
@frauZimt
Sorry! @margaretha war schneller ;-)


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06.02.2018 um 23:01
@PastorBrown
Da das Gericht in seiner Beweiswürdigung uneingeschränkt frei war, ist es möglich, dass nur die Aussage Victoria Schlittenbauers vorlag.
Erstmal reicht eine einzige Aussage, die 12 Jahre zurück liegt und mit einer Miinderjährigen geführt wurde, nicht aus, um SO ein Urteil zu sprechen. Weiter kreist die Aussage von Viktoria Schl. um 1903...

Viktoria war gerade Mutter geworden, hatte einen Säugling zu Hause... auch das kann ein Grund sein, warum sie "nur" einen Monat Gefängnis bekam.

Was also beweist den Zeitraum 1907-1910?
Es ist ganz zweifellos Fakt, dass wir abgesehen von Victoria Schlittenbauer von keinen weiteren belastenden Aussagen für die Zeit vor 1915 wissen. Das heißt, es ist pure Spekulation, wenn man annehmen möchte, dass es weitere belastende Aussagen gab.
Und es ist pure Spekulation, dass Viktoria Schl. irgendwas mit der Sache zu tun hat.


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06.02.2018 um 23:03
Zitat von Heike75Heike75 schrieb:Jedes Urteil muss und musste begründet werden...
Ich weise nochmal auf diesen sehr lesenswerten Artikel hin: https://www.lto.de/recht/feuilleton/f/richter-allwissend-rechtsgeschichte-sachverstaendige-erkenntnisse-forschung-beweisfuehrung/

Es geht um eine Vaterschaftsklage. Das Gericht fällte in dem beschriebenen Fall ein Urteil allein nach Augenschein. Die Verteidigung legte Revision ein mit der Begründung, dass ihr nicht die Möglichkeit eingeräumt wurde, einen Sachverständigen hinzuzuziehen. Die Sache ging an die nächsthöhere Instanz.

Das Reichsgericht gab der Revision unter Verweis auf die "Freiheit in der Beweiswürdigung" nicht statt. Das Gericht sei in seinem Urteil nicht gebunden an die "Ergebnisse der vorgeführten Beweismittel". "In die richterliche Wahrheitsfindung dürften vielmehr auch die nicht förmlich in die Verhandlung eingeführten Sinneseindrücke einfließen: "Dahin sind zu rechnen die Erscheinungen, welche eine Frage, eine Aussage in dem Mienenspiel, in den Gebärden, dem Verhalten einer in der Verhandlung anwesenden Person hervorruft, das Verhältnis der körperlichen Größe erschienener Personen […], die körperlichen Eigenschaften eines Zeugen, dessen Ladung und Vernehmung in erster Linie nur die Übermittlung seiner Wissenschaft von der Strafsache bezweckte, und anderes.""

M.a.W., ein Gericht war damals in seinem Urteil nicht einmal mehr an die Evidenz der vorgetragenen Beweise gebunden, wenn es – aus was für Gründen auch immer – zu anderen Überzeugungen gelangt. Etwa – um ein Beispiel zu bringen – weil der Angeklagte ein aus Sicht des Gerichtes kriminelles Äußeres hatte.

Das war damals der Zeitgeist, in dem zunehmend biologistischen Argumenten größeres Gewicht eingeräumt wurde. Wohin das geführt hat, wissen wir heute. Zeitgemäß im damaligen Sinn, "das heißt natürlich in nicht geringen Teilen auch von mittlerer bis kruder Absurdität."


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06.02.2018 um 23:26
@PastorBrown
Zitat von PastorBrownPastorBrown schrieb:Staatsanwalt Pielmeier hat sicherlich keine willkürliche Auswahl dessen, was er in seiner Zusammenstellung darlegt, getroffen.
Mist, ich meinte Renner. Nur der hat ja zeitnah nach der Tat von dem 1. Blutschandeprozess geredet. Keine Ahnung, wie ich auf Pielmayer kam.
Aus dem bloßen Schildern des Urteils ist für mich eben kein Rückschluss darauf möglich, wie das Urteil zustande kam.
Zitat von PastorBrownPastorBrown schrieb:Er hat die Fakten soweit, wie er sie aus den Akten entnehmen konnte, zusammengestellt. Das heißt wir dürfen auch aus dem, was er nicht sagt – ex negativo – Schlussfolgerungen ziehen. Dies betrifft etwa die Frage der bürgerlichen Ehrenrechte. Daraus, dass Pielmeier nichts darüber erwähnt, dürfen wir nicht nur, sondern müssen wir zwingend schließen, dass die bürgerlichen Ehrenrechte unangetastet blieben.
Ok, bleiben wir bei Pielmayer. Und nein, diese Art der Argumentation ist unsinnig. Das hatten wir schon so oft. Allein aus der Tatsache, dass eine Akte oder eine Information nicht vorhanden oder verfügbar ist auf einen Sachverhalt zu schliessen kann richtig sein, muss aber nicht. Das ist nicht schlüssig. Nur der Positivbeweis ist da eindeutig. Da kommen wir nicht zusammen. Denn im Gegensatz zu Deiner Prämisse, dass man etwas aus der Nichterwähnung schliessen MUSS sehe ich es so, dass man nichts schliessen DARF.
Pielmayer behandelt ausschliesslich in seinem Bericht 1926 die Inzestproblematik, richtig? Zum Prozess 1915 nennt er nur das Urteil. Zum Prozess 1919 erläutert er den Verlauf, wie es zur Anzeige kam, wie Schlittenbauer seine Aussage mehrfach änderte, wie der Konflikt zwischen Schlittenbauer und Viktoria Gabriel letztlich beigelegt wurde.
Diese qualitativen Unterschiede zeigen vielleicht(!), dass ihm zum ersten Prozess nur das Urteil und zum 2. die vollständige Akte vorlagen. Oder aber (anderer Erklärungsansatz) die Ermittler bemaßen der aktuelleren Auseinandersetzung mehr Bedeutung als möglicherweise tatrelevante Informationen bei als dem schon so lange zurückliegenden Verfahren.
Zitat von PastorBrownPastorBrown schrieb:Die Fakten, die Pielmeier bekannt waren, ergeben sich aus den Bestimmungen §266 StPO. Aus diesen folgt auch, dass das Gericht nicht begründen musste, wie das Urteil zustande kam. Es muss nur die "für erwiesen erachteten Thatsachen" anführen, d.i. der Tatzeitraum von 1907-1910. Da das Gericht keine näheren Angaben dazu macht, in welcher Form oder Häufigkeit in dieser Zeit der Missbrauch stattfand, dürfen wir nicht nur, sondern müssen wir – ex negativo – schließen, dass dem Gericht hierzu keine Erkenntnisse vorlagen, also auch kein Geständnis.
Das ist völlig falsch. Das könntest Du sagen, wenn Dir das Urteil vorliegen würde und darin tatsächlich keine näheren Angaben zur Urteilsbegründung enthalten wären. So ist das eine völlig haltlose Spekulation.
Zitat von PastorBrownPastorBrown schrieb:Wie das Gericht zu seiner Überzeugung gelangt ist, darüber können wir nur spekulieren.
Exakt. Aber nicht, weil das Gericht 1915 nicht seine Entscheidung begründet hätte. Sondern weil wir schlicht nichts darüber wissen. Oder hast Du etwa das Urteil?

Übrigens verstehe ich nicht, wie Du den damalige Paragraphen der StPO ansprechen und den Rückschluss ziehen kannst, dass das Urteil damals ohne Gründe ergehen konnte. Vielleicht kann da @DoctorWho aushelfen?

Hier mal der Wortlaut damals:
StPO (1877)
https://de.wikisource.org/wiki/Strafproze%C3%9Fordnung#%C2%A7._266.
§. 266.

Wird der Angeklagte verurtheilt, so müssen die Urtheilsgründe die für erwiesen erachteten Thatsachen angeben, in welchen die gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung gefunden werden. Insoweit der Beweis aus anderen Thatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Thatsachen angegeben werden.
Waren in der Verhandlung solche vom Strafgesetze besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urtheilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden.
Die Gründe des Strafurtheils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und sollen die Umstände anführen, welche für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Macht das Strafgesetz die Anwendung einer geringeren Strafe von dem Vorhandensein mildernder Umstände im Allgemeinen abhängig, so müssen die Urtheilsgründe die hierüber getroffene [302] Entscheidung ergeben, sofern das Vorhandensein solcher Umstände angenommen, oder einem in der Verhandlung gestellten Antrage entgegen verneint wird.
Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urtheilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt, oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene That für nicht strafbar erachtet worden ist.
Zitat von PastorBrownPastorBrown schrieb:Es ist ganz zweifellos Fakt, dass wir abgesehen von Victoria Schlittenbauer von keinen weiteren belastenden Aussagen für die Zeit vor 1915 wissen. Das heißt, es ist pure Spekulation, wenn man annehmen möchte, dass es weitere belastende Aussagen gab.
q.e.d.


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Mordfall Hinterkaifeck

06.02.2018 um 23:26
Irgendwie stimmt da etwas nicht?!

Staatsanwalt Pielmeier schreibt:
Viktoria Gabriel, geb. Gruber, hatte vor ihrer Verehelichung und zwar in der Zeit von 1907 bis Sommer 1910, also von ihrem 16. Lebensjahre ab, mit ihrem leiblichen Vater Andreas Gruber außerehelichen Geschlechtsverkehr gepflogen


Quelle: http://hinterkaifeck.net/wiki/index.php?title=Dokumente:_1926-11-06_Zusammenstellung_des_Staatsanwaltes_Pielmayer (Archiv-Version vom 08.08.2020)

Wie auch immer, Staatsanwalt Pielmeier bestätigt jedenfalls, dass sich das Gericht in seinem Urteil wohl auf die Aussage von Victoria Schlittenbauer bezogen haben wird.


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Mordfall Hinterkaifeck

06.02.2018 um 23:32
@PastorBrown
wenn Du Dich auch nur ein paar Minuten mit meinen Beiträgen befassen würdest, könnten wir uns diesen Unsinn sparen.
Es geht um eine Vaterschaftsklage. Das Gericht fällte in dem beschriebenen Fall ein Urteil allein nach Augenschein.
Nein, das tut es eben nicht!

Lies das Teil doch bitte mal "anständig" und lass Dir nicht von Anderen erzählen, was Du in dem Bericht herauslesen darfst und was nicht!

Ich zitiere aus dem verlinkten Artikel:

Das Landgericht Berlin II – bis 1933 gab es derer drei – hatte in dem angegriffenen Urteil festgestellt, dass "das Zeugnis der Ehefrau B. […] im Punkte der Vaterschaft des Angeklagten […] durch die auffallende Ähnlichkeit der Emma P. und des Angeklagten in der Gesichtsbildung" bekräftigt werde.


Die Grundsubstanz liefert das Zeugnis der Emma P. Sie bennent den Mann als Vater ihres Kindes.
Die augenscheinliche Ähnlichkeit "unterstreicht" die Aussage der Ehefrau.

Die Richter haben sich also keinen Vater für das Kind unter 25 Männern ausgesucht und den genommen, der dem Kind am Ähnlichsten sah, sondern haben den Vergleich AUFGRUND der Aussage der Mutter gemacht.

Es gab damals noch keine DNA, nicht mal eine Blutanalyse. Also wie denkst Du, dass die Richter solche Fälle entschieden haben?

So lange keine endgültige Beweisführung in Form von Bluttests (später DNA) möglich war, gab es einen §, der mutm. Väter die Möglichkeit gab, sich zu wehren.
Name des §: "Einrede des Mehrverkehrs".

Konnte der Mann auch nur annähernd bekräftigen, dass eine Frau noch andere Männer hatte, hatte die Mutter des Kindes ein Problem an der Backe. Es war also nicht einseitig, was diesbzgl. lief.

Solche Verfahren haben mit Strafverfahren so gar nichts gemeinsam... Warum nicht? Ganz einfach... weil die Möglichkeit der Beweisführung Eine ganz andere war.


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