Mordfall Hinterkaifeck
08.06.2017 um 00:36@Kurt_Eisner
@jaska
Bitte entschuldige die späe Antwort. Auch Dir erstmal ganz herzlichen Dank für Deine ausführliche Antwort!
In diesem Zusammenhang finde ich es nach wie vor bemerkenswert, dass doch immerhin drei andere Zeitungen bis einschließlich dem 10.4. immer noch nur und explizit von einem Zeugen schreiben. Insbesondere tut das auch Lautenbacher, von dem Du ja selber schreibst, dass er vor Ort war und mit den Leuten reden konnte.
2. Die Geschichte wird gerade nicht zufällig nachbestätigt. Vielmehr ist es doch gerade diese Geschichte, so wie sie durch LS und die Zeitungen wiedergegeben wird und die dann regelmäßig unter den Einwohnern ausgetauscht wird, die diese falschen Erinnerungen erst generiert. Wenn diese Geschichte nur den Ermittlern bekannt gewesen wäre und es keine Zeitungsberichte dazu gäbe, hätte sie sich eben gar nicht so verbreiten und Grundlage für diese Erinnerungen werden können.
Generell für die Genese dieser Geschichte könnte auch der abgehende Hausschlüssel interessant sein. Der wird in den nicht überlieferten Aussagen von LS und Stegmeier erwähnt, und zwar nur dort. Riedmayer geht in seinem Verhör später nochmal drauf ein, wo LS aber den abgehenden Hausschlüssel im Prizip bestätigt. Da LS den in seiner ersten Vernehmung nicht erwähnt, frage ich mich immer, wie der in die Geschichte reinkam, nicht aber bei den anderen "Spurenzeugen". Ein Grund könnte sein, dass die Schlüsselaussagen von LS und Stegmeier erst vergleichsweise spät gemacht wurden. Die frühen Zeitungsberichte enthielten daher dieses Element nicht und es wurde damit auch nicht als Kernelement weiterverbreitet. Mich würde es auch brennend interessieren, wer zuerst seine Aussage machte: LS oder Stegmeier und ob eventuell der jeweils andere dann nach dem Schlüssel befragt wurde. Auch das werden wir vermutlich nie erfahren.
Jedenfalls aber nochmal ganz herzlichen Dank für dieses sehr interessante Szenario.
LG
G.
Kurt_Eisner schrieb:In dem Zusammenhang mit den angeblichen Spuren im Schnee, und dem Fehlen mehrerer Bewohner des Hofs, ist es sehr verwunderlich dass der Schlittenbauer seinen minderjährigen Sohn in eine offensichtliche Gefahrenzone bringt, indem er ihn losschickt nachzuschauen.Das wiederum sehe ich nicht so eindeutig. ME hat @jaska da schon recht anschaulich dargelegt, warum das durchaus nachvollziehbar ist, dass die Gefahr als solche vielleicht doch nicht als so brisant wahrgenommen wurde.
Kurt_Eisner schrieb:In diesen Komplex ist nach m.E. auch die Aussage von Johann Schlittenbauer zu bewerten, Viktoria hätte sich mir einem Fremden auf dem Friedhof gestritten, was fremde Täter suggeriert. Im Interview von 1953 verdächtigt er aber die Gabriels.Da würde ich nicht von bewusster Falschaussage ausgehen. Ich bin mir sicher, dass er diese Geschichte so irgendwo gehört und dann halt entsprechend weitergegeben hat. Hinterkaifeck ist sehr schnell zu einem Mythos geworden. Dieser Mord hat die Gemeinschaft in Gröbern sicherlich erschüttert und war dann über Jahrzehnte hinaus Gesprächsstoff. Jeder wollte etwas beitragen, sich eventuell auch mal wichtig machen hat irgendwo irgendwas gehört, dann einen Bezug zu HK hergestellt und weitererzählt. So haben sich dann unzählige Legenden gebildet. Man sollte generell sehr vorsichtig damit sein, böse Absicht zu unterstellen. Bei einem potentiellen Tatverdächtigen muss man das natürlich auch in Betracht ziehen, aber bei so einer späten Legende sehe ich da erstmal keine Anzeichen dafür.
@jaska
Bitte entschuldige die späe Antwort. Auch Dir erstmal ganz herzlichen Dank für Deine ausführliche Antwort!
jaska schrieb:Wir können nur die Sachen zur Kenntnis nehmen, die überliefert sind und sie dann für uns persönlich werten. Ich glaube, über die vorliegenden Informationen sind wir einer Meinung und haben denselben Wissensstand. Bewerten tun wir das unterschiedlich. Das ist auch überhaupt nicht schlimm.Ja, ich denke auch, dass man das eben unterschiedlich sehen kann. So weit sind wir auch gar nicht auseinander. Ich ziehe die Spuren im Schnee auf jeden Fall auch als gegeben in Betracht. Für mich ist das halt nur nicht eindeutig entschieden, weshalb ich mich auch mit dem alternativen Szenario beschäftige und nach weiteren Möglichkeiten suche, dieses für mich endgültig ausschließen zu können. Für Dich ist dieser Punkt schon erreicht.
jaska schrieb:Die Möglichkeit, dass mehrere Journalisten "mehrere Zeugen" erfindenDas stimmt so nicht. Es ist genau ein Journalist, der das so schreibt im Schrobenhausener Wochenblatt. Und derselbe Autor schreibt auch im gleichen Artikel von "Leuten", die von 100.000 Mark Bargeld bei den HKlern wussten, eine Summe die definitiv nur LS genannt hat, der einzige Zeuge, der überhaupt eine Summe genannt hat. Dieser vage, unspezifische Plural ist mE hier nur ein Ersatz für das Wörtchen "man". Der Journalist wusste eben nicht genau wer und wieviele da vorübergingen und wer und wieviele die 100.000 Mark erwähnten und er/sie hat sich da auch gar nicht weiter Gedanken gemacht hat. Der Bericht im Bayerischen Kurier wurde von einem Leser eingereicht, war also ein Leserbrief und damit kein journalistischer Artikel. Die Person gab an, vor Ort gewesen zu sein und war kein Autor des bayerischen Kuriers. Da ihre Identität unbekannt ist, kann sie als unabhängige Quelle überhaupt nicht herhalten, weil theoretisch der Brief ja auch zB von LS selbst stammen könnte. Jedenfalls aber war das auch kein Journalist, der das schrieb.
In diesem Zusammenhang finde ich es nach wie vor bemerkenswert, dass doch immerhin drei andere Zeitungen bis einschließlich dem 10.4. immer noch nur und explizit von einem Zeugen schreiben. Insbesondere tut das auch Lautenbacher, von dem Du ja selber schreibst, dass er vor Ort war und mit den Leuten reden konnte.
jaska schrieb: Passt für mich besser als dass Schlittenbauer über so viele Ecken denken und planen konnte oder dass im Fortgang die falschen Zeitungsinformationen durch die zufällig passenden falschen Erinnerungen von 4 Zeugen quasi nach-bestätigt werden.1. Ich sehe hier absolut keine Notwendigkeit, über mehrere Ecken zu denken und zu planen. Sofern die Spuren im Schnee Geschichte tatsächlich erfunden ist, kam diese Idee LS mE spontan, als er von dem Einbruch des Monteurs hörte. Bis zur Vernehmung hatte er genug Zeit, sich dazu ein bisschen was zu überlegen, und mehr war auch an Planung nicht nötig. Er erzählte eben den Beamten von diesen "Spuren" und dem "Einbruch/Einbruchsversuch" und hoffte damit letztlich erfolgreich, die Ermittler in Richtung Raubmord zu lenken.
2. Die Geschichte wird gerade nicht zufällig nachbestätigt. Vielmehr ist es doch gerade diese Geschichte, so wie sie durch LS und die Zeitungen wiedergegeben wird und die dann regelmäßig unter den Einwohnern ausgetauscht wird, die diese falschen Erinnerungen erst generiert. Wenn diese Geschichte nur den Ermittlern bekannt gewesen wäre und es keine Zeitungsberichte dazu gäbe, hätte sie sich eben gar nicht so verbreiten und Grundlage für diese Erinnerungen werden können.
Generell für die Genese dieser Geschichte könnte auch der abgehende Hausschlüssel interessant sein. Der wird in den nicht überlieferten Aussagen von LS und Stegmeier erwähnt, und zwar nur dort. Riedmayer geht in seinem Verhör später nochmal drauf ein, wo LS aber den abgehenden Hausschlüssel im Prizip bestätigt. Da LS den in seiner ersten Vernehmung nicht erwähnt, frage ich mich immer, wie der in die Geschichte reinkam, nicht aber bei den anderen "Spurenzeugen". Ein Grund könnte sein, dass die Schlüsselaussagen von LS und Stegmeier erst vergleichsweise spät gemacht wurden. Die frühen Zeitungsberichte enthielten daher dieses Element nicht und es wurde damit auch nicht als Kernelement weiterverbreitet. Mich würde es auch brennend interessieren, wer zuerst seine Aussage machte: LS oder Stegmeier und ob eventuell der jeweils andere dann nach dem Schlüssel befragt wurde. Auch das werden wir vermutlich nie erfahren.
jaska schrieb:Nur ist das für mich halt gar nicht so verwunderlich, weil ich in meiner Berufspraxis mich viel zu oft mit "normalen" Verläufen, mit selbstverständlichen Prozessen, mit erwartbaren Reaktionen beschäftige und gefühlt noch öfter von der Realität eingeholt werde:Möglicherweise liegt es auch daran, dass wir hier unterschiedliche Erfahrungen gesammelt haben. In meiner Berufspraxis hat sich halt die fehlerhafte Erinnerung und darauf basierende unbewusste Falschaussagen eher als die Regel, denn als die Ausnahme dargestellt. Vielleicht habe ich aber auch einfach zuviel Niklas Luhmann gelesen.
jaska schrieb:Sie gingen dann nahe am Haus weiter, wo kein Schnee lag. Und fanden auf der Ostseite des Hauses oder am Maschinenhaus eine Möglichkeit, ins Innere zu kommen. In diesem Zusammenhang geht mir die Bemerkung von Lauterbach nicht aus dem Kopf, der von einem Flachdach spricht, über das Jemand einsteigen konnte.Möglicherweise meinte Lautenbacher ein langgezogenes eher flaches Dach, nicht ein kubisches Flachdach, was man sich heute so unter diesem Begriff vorstellt. Das gibt mE diese leider sehr kleine Skizze von der Nordwestseite in seinem Artikel durchaus her. Dass man auf dieses Dach, womöglich vom Motorenhäuschen aus käme, erscheint mir durchaus logisch. Die Frage ist eher die, wie man von dort dann in das Gebäude hätte eindringen können. Fenster sehe ich da auch keine eingezeichnet, die Skizze ist aber auch undeutlich. Und was mich noch mehr interessieren würde: Wieso hat da der Hund nicht reagiert? Überhaupt erscheint mir mittlerweile (ich habe das mal anders gesehen) es nur sehr schwer vorstellbar, dass sich jemand in dem Hof länger unentdeckt aufhalten konnte, weil der Hund damit sicherlich ein Problem gehabt hätte.
Jedenfalls aber nochmal ganz herzlichen Dank für dieses sehr interessante Szenario.
LG
G.