Hallo zusammen !
Nach den Wirrungen um das angebliche Klassenfoto möchte ich an meinen letzten Beitrag anknüpfen, was an dieser Stelle auch chronologisch ganz gut passt, da ich
@Kailah mit dem Tatmotiv doch widersprechen möchte.
Grundsätzlich bietet dieses Verbrechen ja eine Reihe plausibler Motive zu dessen Begehung an, wozu auch politische Gründe gehören können. Dennoch gehe ich davon aus, dass bei einer derartigen Konstellation die Begehensweise eine andere gewesen wäre. Da würde ich von mehreren Tätern und auch mehreren Waffen ausgehen, ganz sicher aber nicht von einer auf dem Hof vorgefundenen Reuthaue, aber auch von einem anderen Nachtatverhalten. Bei einer derartigen Motivlage macht auch ein Verbleiben der Täter auf dem Hof bzw. dessen erneutes Aufsuchen wenig Sinn, um Spuren zu beseitigen, hätte es genügt, evtl. das Vieh ins Freie zu treiben und den Hof niederzubrennen. Auch bin ich überzeugt, dass trotz allem Dilettantismus - aus heutiger Sicht - bei der Tatortarbeit und Spurensicherung ernsthaft versucht wurde, das Verbrechen zu klären. Dazu zählt für mich das Abtrennen der Köpfe der Opfer und die Hinzuziehung eines "Mediums" - die Parapsychologie galt ja in jener Zeit als die Zukunftswissenschaft schlechthin. So viel hierzu in aller Kürze - wobei ich es begrüße, wenn auch diese Thematik nicht ausgeklammert wird - aber nun zu "meinem" Szenario:
Wenn ich mich anhand der Tatortfotos sozusagen in den Stand des unbedarften Auffindezeugen versetze, dann drängt sich mir unwillkürlich der Eindruck auf, als habe sich eine hohe emotionale Betroffenheit auf Seiten des Täters in einem abscheulichen Massaker entladen, wobei es insbesondere für die Ermordung des kleinen Josef kaum eine rationale Erklärung geben kann. Für mich muss es auf Seiten der Opfer jemand gegeben haben, der diesen sich abrupt entladenden abgrundtiefen Hass ausgelöst hat, aber wer? Da auf Seiten der Familie Gruber niemand überlebt hat, kann es hierzu von dieser Seite keine Aussage geben, es bleiben daher nur Vermutungen. Zunächst einmal würde ich die Kinder ausschließen, schon aufgrund ihres Alters, aber auch die alte Bäuerin, die ohnehin nichts zu sagen hatte und überdies durch den Missbrauch ihrer Tochter zutiefst gedemütigt war, und auch die neue Magd, eine etwas zurückgebliebene harmlose "alte Jungfer". Bleiben also Victoria und ihr Vater, und hierbei nehme ich an, dass es derjenige war, der als erster von beiden ermordet wurde, und dies dürfte doch allem Anschein nach, auch wenn die Reingruber'sche Reihenfolge nicht exakt richtig sein mag, Veronika gewesen sein.
Und damit wären wir wieder bei Rosamunde Pilcher, wie es
@Kailah so lyrisch formuliert hat, wobei diese idyllische Romantik in jener Zeit ganz gewiss keine Rolle spielte - aber dazu später. Fakt ist, dass Victoria offiziell Hofeigentümerin und somit durchaus eine respektable Partie war, unabhängig von ihrem Witwenstatus und der Vaterschaft ihrer Kinder. Und eben aus diesem Grund könnte es einen unbekannten Verehrer/Liebhaber gegeben haben, der auf eine Einheirat spekulierte - arme Knechte und nachgeordnete Bauernsöhne bzw. Witwer gab es in der Gegend sicher etliche. Da könnte es ein verhängnisvolles Treffen gegeben haben, das an jenem Freitagabend eskaliert ist. Womöglich hat sich dieser Unbekannte schon zuvor auf dem Hof aufgehalten, was zu den Spuren im Schnee und den Kuhlen im Heu passen würde, ggf. von Victoria gewarnt vor der Suchaktion des alten Gruber. Möglicherweise suchte er nach der Tat Hinweise auf seine Person zu finden, weswegen er sich zumindest zeitweise auf dem Hof aufhielt. Endgültig ergriff er die Flucht dann, nachdem ihm trotz aller Vorsicht die Anwesenheit des Mechanikers auf dem Hof entgangen war. Dennoch scheint er ein Interesse daran gehabt zu haben, für eine gewisse Zeit den Anschein des Alltäglichen auf dem Hof zu wahren, wofür z.B. das Anbinden des Hundes vor dem Haus spricht. Also muss er zumindest elementare Kenntnisse von den Usancen auf dem Hof gehabt haben. Damit ist natürlich auch wieder LS "im Rennen" (was ich aufgrund der bekannten Fakten nicht näher thematisieren möchte), aber ich möchte das Thema "Affäre" etc. nicht nur auf eine Person verengen.
In diesem Zusammenhang noch einige sozialhistorische Anmerkungen:
Beim Thema Liebe/Heirat war in jener Zeit der Pilchersche Kuschelfaktor völlig unmaßgeblich; es zählten vor allem praktische Erwägungen; die Ehe war eher eine Versorgungsanstalt. Ich möchte behaupten, dass sich der alte Gruber den Hof auch "erheiratet" hat mit einer deutlich älteren Witwe, die er aus wahrer Liebe bestimmt nicht auserwählt hatte. Auch die zweite Ehe von LS ist unter rein pragmatischen Aspekten einzuordnen. Waren etwa kleine Kinder zu versorgen, mussten derartige Ehen auch unter hohem Zeitdruck eingegangen werden. Insofern ist dieser soziologische Mikrokosmos von Hinterkaifeck und Gröbern vollkommen typisch für jene Zeit, in der der Tod von Kindern und Ehepartnern in jungen Jahren stets im Leben der Menschen präsent war.
Nebenbei bemerkt: der Missbrauch der (ältesten) Tochter in jener Zeit ist so außergewöhnlich nicht gewesen, wenngleich er zumeist in Fällen stattfand, in denen die Mutter zuvor verstorben war. Im vorliegenden Fall dürfte der Grund dafür das fortgeschrittene Alter der Mutter von Victoria gewesen sein. Es gibt für ein derart scheußliches Verhalten eine euphemistische Redewendung: "Nachha is' da Voda iwa's Deandl kemma." Aber das nur am Rande!
Deutlich atypischer waren da schon jene (zivil-)rechtlichen Auseinandersetzungen und Verfahren, denn Derartiges suchte man aus Kostengründen möglichst zu vermeiden, wollte man nicht den Advokaten sein sauer verdientes Geld in den Rachen werfen.
Wie gesagt: Mein Szenario ist eine Möglichkeit, die ich durchaus für überdenkenswert halte; über eine sachlich-kritische Diskussion würde ich mich freuen.
Viele Grüße
Ludwig