Ich möchte hier einmal allgemein etwas zu bedenken geben, weil ich ständig lese:
- Die Suche in den ersten Tagen war nicht lange genug, nicht gründlich genug, der Suchradius war zu klein, die Suche ist zu früh abgebrochen worden.
- Wieso hat man nicht mehr Hunde eingesetzt, warum nicht früher, warum nicht mehr Häuser/Autos/Gelände mit ihnen abgesucht, warum hat man erst Telefondaten ausgewertet und dann erst danach Hunde eingesetzt?
Mir geht das ehrlich gesagt gehörig auf den Keks, für mich zeigt das einfach nur, dass die Leute, die hier so etwas vollmundig fordern bzw. kritisieren, sich überhaupt nicht im klaren sind, welcher logistische Aufwand hinter solchen Ermittlungsmaßnahmen steckt und welche und wie viele Ressourcen dafür benötigt werden.
Wenn man z.B. mal nur die erste Suche nimmt, an der an 2 Tagen mehr als 800 Personen beteiligt waren. Es ist doch nicht so, dass diese Menschen einfach mit dem Auto nach Le Haut Vernet fahren können, den Wagen dort am Straßenrand abstellen können und dann einfach mal querfeldein in der Gegend rumstapfen können.
Dazu müssen vielmehr zahlreich organisatorische Regelungen getroffen werden, damit eine solche Aktion überhaupt Sinn macht. Die Leute müssen in Suchtrupps eingeteilt werden, in jedem Suchtrupp muss mind. eine Person sein, die zumindest etwas Ahnung von solchen Aufgaben hat, darauf achtet, dass Vorgaben eingehalten werden, z.B. was an Spuren registriert und gemeldet werden soll, welche Strecke zurückgelegt werden soll und die den Kontakt zur Einsatzzentrale hält.
Das Suchgebiet mus eingeteilt werden, dabei muss priorisiert werden, wo das Kind am wahrscheinlichsten zu finden ist, dort muss dann zuerst gesucht werden.
Dazu muss alles sorgfältig dokumentiert werden, damit man ständig weiß, welches Gebiet schon abgesucht wurde, gerade abgesucht wird und welches als nächstes dran kommt. Schon allein damit man nicht mehrfach das gleiche Gebiet absuchen muss.
Die Polizei trägt in diesem Fall auch die Verantwortung für die freiwilligen Helfer. Bestimmte Gebiete sind vielleicht zu risikoreich, um durch unerfahrene Leute abgesucht zu werden, die Gefahr von Verletzungen durch Stürze, Ausrutschen, Abstürzen, Umknicken ist dort zu groß, als dass man da mal eben 100te Laiern druchschicken kann. Diese Gebiete müssen dann erst mal ausgeklammert werden und dann professionelleren Suchtrupps, z.B. Feuerwehr, Militär, THW (keine Ahnung, wie das in Frankreich heißt) zugewiesen werden.
Und nicht zuletzt müssen all diese Leute etwas zu Essen und zu Trinken bekommen, müssen mal aufs Klo, müssen mal verarztet werden, und wenn sie sich nur eine Blase an der Ferse zugezogen oder das Knie aufgestoßen haben. Müssen ihre Fahrzeuge irgendwo abstellen, von wo sie dann zum Einsatzort gelangen müssen.
Diese Leute müssen mind. eine kurze Unterweisung bekommen, darüber, wo sie hin sollen, worauf sie besonders achten sollen, was sie rückmelden müssen, wann sie spätestens wieder zurück sein müssen etc.
Kurz gesagt: je mehr freiwillige Laien da durch die Gegend laufen, desto mehr professionelle Menschen bindet die Aktion. Masse ist da durchaus nicht alles, es gilt da nicht einfach uneingeschränkt, je mehr Personen mitmachen, desto besser.
Dei Polizei hat am Montagabend erklärt, dass ab dem Dinestag nicht mehr weiter mit Freiwilligen, also Laien, gesucht werden soll. Das bedeutet aber KEINEN Abbruch der Suche im Gelände, sondern es wurde ausdrücklich erklärt, dass sie Suche mit anderen Mitteln, v.a. mit andere technischer Ausstattung und Spezialisten fortgeführt werden soll:
Die Forschung wird weitergehen, aber wir werden das Gerät so anpassen, dass es gezielter und selektiver ist", erklärte der Präfekt des Departements bei einer Pressekonferenz in Vernet. "Konkret stoppen wir die große Suche", um "spezialisierte Mittel bei der Suche nach Spuren und Hinweisen" einzusetzen", die bereits durchgeführten Durchsuchungen ermöglichten es nicht, den Jungen im anfänglichen Umkreis von 5 km um den Weiler Haut-Vernet und seine 25 Einwohner zu lokalisieren, wo das Kleinkind verschwand, etwa 2 km oberhalb des Dorfes Le Vernet selbst. fügte der Präfekt hinzu. "Wenn die Staatsanwaltschaft beschlossen hat, die Durchsuchung (am Montagabend) einzustellen, dann deshalb, weil es Gründe gibt: Es könnte mehr als ein Verschwinden sein", sagte ein anderer Freiwilliger unseren Kollegen.
Quelle:
https://www.ladepeche.fr/2023/07/11/disparition-demile-cest-peut-etre-plus-quune-disparition-les-benevoles-sinterrogent-apres-lannonce-de-la-fin-des-battues-11334603.phpFür mich stellt das eine Fokussierung der Maßnahmen dar. Man hat in den ersten zwei Tagen mit all diesem großen Einsatz an Manpower den Jungen nicht gefunden. Man kann sich an drei Fingern ausrechnen, dass, wenn der Junge in der näheren Umgebung des Elternhauses verunfallt gewesen wäre, er bei dieser Suche mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit gefunden worden wäre. Das Kind trug immerhin ein gelbes T-Shirt und keine Tarnkleidung.
Es bleiben dann v.a. folgende Möglichkeiten:
- das Kind befindet sich nicht in der freien Landschaft um den Ort
- das Kind liegt dort irgendwo, aber so versteckt, dass es von den Suchmannschaften übersehen wurde (z.B. unter einem Felsvorsprung, tief in einem Gebüsch, in einem zu Fuß kaum begehbaren Bereich
- das Kind liegt in der feien Landschaft, aber außerhalb des bisher abgesuchten Gebietes
Ein ganz typischer Logikfehler, den man leider oft macht, wenn man bei der Lösung einer Aufgabe scheitert, ist, dann eben "mehr vom gleichen" zu machen, anstatt zu versuchen, die Aufgabe mit einer anderen Methode, Technik oder Taktik zu lösen. Das "mehr vom gleichen" führt aber leider nur ganz, ganz selten zum Erfolg, eben weil man an der Aufgabe nicht aufgrund mangelnden Einsatz gescheitert ist, sondern die falsche Technik angewendet hat oder die Aufgabe schlichtweg nicht lösbar ist.
Mehr vom gleichen" bedeutet in diesem Fall, mehr Leute, mehr Zeit, mehr Fläche, weitersuchen!
Eine andere Methode bedeutet in diesem Fall z.B. an statt 800 Laien zu Fuß durchs Gelände zu schicken, 5 Drohnenpiloten mit Wärmebildkameras, 10 Flächensuchhunde und einen Hubschrauber einzusetzen.
Die Aufgabe ist nicht lösbar, bedeutet in diesem Fall, dass das Kind sich gar nicht in der freien Landschaft befindet, sondern z.B. lebend entführt oder nach einem unbemerkten Unfall tot verbracht wurde.
Am Ende beruht die Frage, ob man auf "mehr vom gleichen", auf "andere Technik" oder auf "Aufgabe nicht lösbar" setzt, auf einer Abschätzung, was am meisten Erfolg bringt.
Meiner Meinung nach haben die Ermittler hier genau das richtige getan: sie haben die Optionen "andere Technik" und "Aufgabe nicht lösbar" in ihre Erwägungen einbezogen und haben genau da weiter gearbeitet.
In den nächsten zwei Tagen haben sie weiter mit Spezialisten und enormer technischer Austattung in dem Gebiet gesucht und parallel dazu eine gerichtliche Untersuchung angeschoben, durch die die Datenabfrage und -auswertung möglich wurde.
Man muss eben auch bedenken, dass zwar viele Aktionen parallel laufen können, aber eben nicht alle. Meiner Meinung nach schließen sich der Einsatz von bis zu 800 Personen in einem rel. kleinen Gebiet und die Suche mit Wärmebildkameras und/oder Flächensuchhunden gegenseitig aus. Mit einer Wärmebildkamera kann man da keine sinnvollen aufnahmen machen, wenn so viele Menschen unterwegs sind, zudem ist das Überfliegen von Menschengruppen aus Sicherheitsgründen nicht erlaubt. Und Suchhunde brauchen für ihre Arbeit eine sehr ruhige und ablenkungsarme Umgebung, das sie sich extrem konzentrieren können müssen und während der Erholungspausen möglichst nicht gestört werden dürfen.
In meinen Augen haben die Ermittler hier gute Entscheidungen getroffen, zumindest soweit wir das von hier und mit den wenigen Informationen die wir haben, überhaupt beurteilen können.
Ich kann überhaupt nicht sehen, dass diese Entscheidungen aufgrund von mangelndem Einsatzwillen oder aus Sparzwängen, also dem fehlenden Willen, Ressourcen dafür einzusetzen getroffen wurden. Und wurde zwar nicht explizit so unterstellt, aber für mich schwingt es zumindest immer mit, wenn die hier die Vorwürfe gegen die Ermittler wegen dem Abbruch der großflächigen Suchaktion mit Freiwilligen lese.
Und ich kann auch nicht erkennen, dass sie sich für ein weniger erfolgsversprechendes Vorgehen entschlossen haben. Im Gegenteil, ich denke, dass sie sehr klug und umsichtig gehandelt haben und genau dem Denkfehler von "Gut, wenn das bisher nicht geklappt hat, dann eben weiter so mit doppeltem Einsatz" nicht aufgesessen sind.