bla_bla schrieb:Ich weiss nicht, ob ST schuldig oder unschuldig ist. Der erste Prozess jedoch hat meinen "Glauben" in die deutsche Justiz in jedem Fall beschädigt.
Ich verstehe absolut was du meinst, mir ging und geht es ähnlich. Allerdings hatte ich vor der Urteilsverkündung gehofft und tatsächlich auch erwartet, dass es einen Freispruch im Zweifel für den Angeklagten geben würde.
Ich hatte tatsächlich noch angenommen, dass die Anträge der Verteidigung deshalb alle abgelehnt wurden, weil es sowieso schon zuviele Zweifel an der Täterschaft gab. Denn selbst wenn das Gericht nicht an einen Unfall glauben wollte (auch wenn von den Gutachtern nur das wahrscheinliche Treibverhalten inkl. Folgen untersucht wurde und ein Unfall überhaupt nicht beleuchtet wurde), gab es meiner Meinung nach zu wenig Indizien dafür, dass ausgerechnet ST der Täter gewesen sein sollte. Die Belastungszeugen sind der Reihe nach umgefallen, entweder konnte die Unrichtigkeit bewiesen werden, oder sie mussten die Aussagen bei zu wichtigen Dingen anpassen, damit es sich überhaupt noch ausgeht. Zum Schluss blieb eigentlich nur noch der Knastzeuge, der zumindest seine kürzlich getätigte Aussage wiederholen konnte, aber halt alle Merkmale der Unglaubwürdigkeit erfüllt, die es überhaupt gibt.
Nie im Leben hätte ich erwartet, dass ein Urteil zum großen Teil nur auf seiner Aussage beruhen könnte. Ich dachte mir, die Darstellung des anderen Richters, dass AM gerne das sagt was ihm gerade dienlich ist, wäre das Zünglein an der Waage gewesen und das Gericht musste davon ausgehen, dass das in diesem Fall hier auch so ist. Auch dass die Aussage nicht mal dahingehend geprüft wurde, ob Teile daraus überhaupt möglich sind. (Ich meine z.B., dass ST Hanna schon früher im Eiskeller kennengelernt habe, obwohl er erst zweimal dort war und Hanna im Ausland studiert hat) hab ich dann als Zeichen dafür gesehen, dass man auf die Aussage des Knastzeugen sowieso kein Urteil aufbauen könne und sie daher nicht wichtig genug für eine Überprüfung sein.
Das einzige Gutachten, in dem ST überhaupt vorkam, entlastete ST komplett. Die übrigen Gutachten beschäftigten sich überhaupt nicht mit ihm, nicht mal auf Nachfrage.
Klar mochte die Aßbichler die Rick nicht, so hab ich mir ihren Umgangston mit der Verteidigung erklärt. Der Befangenheitsantrag hatte auch nicht für mehr Sympathie gesorgt.
Die Aufforderungen zum „Geständnis“ fand ich wirklich schräg, ich verstand weder, warum sie das Schweigerecht nicht akzeptieren wollte, noch die spezielle Formulierungen. Mir wurde dann von einer befreundetetn Juristin gesagt, dass es im Jugendgericht nicht ganz so förmlich zugehen würde und dass manche Richter im Jugendgericht ein bisschen in die Elternrolle fallen würden, jedenfalls würde das nichts bedeuten. Ich dachte dann, es sollte wohl noch jede Möglichkeiten ausgeschöpft werden, doch noch Zweifel auszuräumen, was aber nicht gelang.
Ich war natürlich enttäuscht von der Staatsanwaltschaft und der Polizei, weil ich wirklich nicht nachvollziehen konnte, wie man sich in so einem wichtigen Fall (immerhin geht es um zwei junge Leben) mit so wenig zufrieden geben kann. Angefangen bei den Suchhunden, für die nicht einmal gerichtsverwertbare Umstände geschaffen wurden, über Befragungen gespickt mit Suggestivfragen, Täterwissen wird erst im Nachhinein bemerkt/konstruiert (ich hab mich schon gefragt, wieviel Ungereimtheiten bei den anderen Befragungen unbemerkt blieben), auf die Idee das Ausgesagte mit objektiven Daten abzugleichen (Handydaten, Videomaterial etc.), kommt man erst gar nicht und bemerkt man dann tatsächlich? erst im Prozess und so weiter...
Die Betonung des hohen Aufwands, die Konzentration auf die Pornos und die Hose, hab ich tatsächlich als Verzweiflungstat gesehen, der von dem Mangel an Indizien ablenken sollte. Das Gericht hatte das aber natürlich durchschaut, aber wollte die StA nicht vorführen.
Insgesamt war ich schon enttäuscht, dass es nicht mehr Erkenntnisse gegeben hat und deshalb nur ein Freispruch im Zweifel für den Angeklagten möglich sein würde, ich hätte ST gewünscht, dass seine Unschuld bewiesen worden wäre und der Familie von Hanna hätte ich gewünscht, dass der Tod ihrer Tochter aufgeklärt worden wäre. Natürlich hatte ich auch Bedenken, dass der Prozess ja nie wiederholt werden könne, falls sich doch noch ein Hinweis auf die Täterschaft von ST finden würde. Das aber müsse man der Staatsanwaltschaft und der Polizei anlasten, die die Ermittlungen zu schnell beendet hatten und sich zu sehr von Vs Aussage beeindrucken ließen. Dafür kann man doch keinen tendentiell unschuldigen Mann fast 10 Jahre einsperren, denn ihm müsste ja die Schuld nachgewiesen werden und nicht andersherum, davon war ich überzeugt.
Mein Glauben an die Justiz wurde erschüttert durch dieses Urteil, das sich auf die ungeprüfte Aussage des Knastzeugen stützt, genau wie in dem kritisierten Mailaustausch schon ausgemacht war, das aus einem gewöhnlichen Pornokonsum ein belastendes Indiz macht, das aus einer bedrängenden Suggestivfrage „geäußertes Täterwissen“ macht, das Fehlen jeglicher Spuren an ST oder am vermuteten Tatort nicht mal beleuchtet usw. Die Verkündung desselbigen, wurde obendrauf noch dazu benützt um auf der Verteidigung rumzuhacken, um ein Gutachten ins Lächerlicher zu ziehen und zu Guter Letzt hat mach noch versucht der Presse zu verklickern was die „Wahrheit“ sei.
Schon lange bevor, der BGH das Urteil zurückverwiesen hat, war ich von einer untragbaren Befangenheit mindestens der Vorsitzenden überzeugt und bin einfach nur erleichtert, dass die Schutzmaßnahmen in unserem Justizsystem gegriffen haben und der BGH das Verhalten der Richterin gerügt hat. Wenn ich diesen Entscheidungstext mit anderen vergleiche, in denen der BGH den Prozess wegen § 338 Satz 3 zurückverwiesen hat, bleibt für mich auch kein Zweifel daran, was der BGH zum Ausdruck bringen wollte.
Damals war ich von der Unschuld von ST noch gar nicht gänzlich überzeugt, nur davon, dass die Indizien nicht für eine Verurteilung ausreichen. Mittlerweile bin ich überzeugt, dass diese sowieso schon wenigen Indizien einer Überprüfung nicht standhalten würden und ich halte es außerdem für ausgeschlossen, dass es ST gelungen sein soll den perfekten Mord zu begehen.
Manchmal frag ich mich heute noch, ob das vielleicht doch alles von der Vorsitzenden inszeniert wurde? Weil sie die Ermittlungen für zu mangelhaft empfunden hatte, es sich aber nicht mit der Staatsanwaltschaft verscherzen wollte und auch nicht den Eindruck entstehen lassen wollte, dass man in Traunstein die Hilfe einer Münchner Anwältin braucht. Vielleicht sah sie in der Revision, den besten Weg um den Prozess nochmal verhandeln zu lassen wenn alle Seiten besser vorbereitet sind. Das würde dann auch den Teil mit dem unaufgeforderten Schreiben, indem sie versucht dem BGH seinen Job zu erklären, erklären.
Deus_Ex_Machin schrieb:im Gegenteil ist davon auszugehen, dass die neue Strafkammer die Ausführungen des BGH zu Frau Aßbichler nicht teilt und keinen Grund sieht, ihre umfangreiche Arbeit abzulehnen.
Damit unterstellst du halt der nächsten Kammer Befangenheit, also Überzeugungsbildung sogar noch vor der 1. Minute der Beweisaufnahme. Ich hoffe nicht, dass dem so ist. Was ich aber auf jeden Fall nicht erwarte, dass die neue Kammer ihre Karriere aufs Spiel setzt nur um Frau Aßbichler einen Gefallen zu tun. Es gibt in diesem Fall nur eine Möglichkeit ein revisionssicheres Urteil zu fällen und seinen Karriere zu schützen und die besteht nicht darin über die Bedeutung einer Nichterwähnung zu pokern und zu hoffen die Gedanken der BGH-Richter richtig zu lesen. Nein sie besteht einzig allein darin, ein gutes, faires, ergebnisoffenes Verfahren zu führen und sich streng an die Gesetze und Normen zu halten.
Grillage schrieb:Immerhin haben 3 Gutachter gesagt, dass Hannas Verletzungen nicht durch einen Unfall erklärt werden können.
Das sagst du immer wieder, stimmt aber halt trotzdem nicht. Zwei Gutachter haben sich mögliche Treibfolgen angesehen, ein Unfall wurde nicht besprochen. Die Rechtsmedizin hat die Möglichkeit menschlicher Gewalteinwirkung bestätigt, aber nichts ausgeschlossen.
Deus_Ex_Machin schrieb:Ich wollte zum Ausdruck bringen, dass für mich persönlich schon die Tatsachen für die Schuldfrage ausreichen, die nicht ein etwaig offenbartes Täterwissen betreffen.
Deus_Ex_Machin schrieb:Die Tatsachen sind wie folgt:
Rund um den Tod von Hanna aus Aschau hat der Angeklagte vermehrt online nach den Begriffen „brutal“ und „stranguliert“ gesucht. Allein das Wort „gezwungen“ tauchte 291 Mal in den protokollierten Internetseiten auf. Außerdem habe er wenige Tage vor der Tat eine Internetseite für Traumdeutung aufgerufen. Auch dort hatte der Angeklagte wohl nach „gezwungen zum Sex“ gesucht
https://radio-charivari.de/nachrichten-aus-rosenheim-und-der-region/mordprozess-um-hanna-aus-aschau-pornografische-internetseiten-und-verstoerende-videos-auf-handy-des-angeklagten
Für dich reicht, dass ein junger Mann nach Begriffen wie „brutal“ und „stranguliert“ googelt, und dass ein Polizist, das Wort „gezwungen“ auf Pornoseiten findet und dass er Sexträume hat (in denen er womöglich zum Sex gezwungen wurde oder jemanden gezwungen hat, das wissen wir nicht) als Tatsachen dafür, dass er einen Mord begangen hat? Gut, dass das nicht viele so sehen, sonst wären unsere Gefängnisse etwas knapp bemessen.
Deus_Ex_Machin schrieb:Bei Indizienketten ist eine beliebte Übung von Urteilskritikern, einzelne Indizien herauszugreifen, Zweifel zu säen und damit zu bedeuten, damit sei alles in sich zusammengefallen. Richtig ist natürlich, dass andere Konsumenten von Vergewaltigungspornografie nicht nachts in einem Bereich rund um den Tatort joggen, wobei sie schon ihr Leben lang Schwierigkeiten hatten, Frauen auf üblichem Weg kennenzulernen, dabei Anwohner keinen spitzen weiblichen Todesschrei in der Nacht hören und vom Opfer der teils entkleideten Ertrunkenen kein Notruf gewählt worden ist. Die Gesamtschau macht die Musik.
Mit dieser Argumentation bist du nicht der erste, es werden hier nicht einzelne Indizien entkräftet, sondern so gut wie alle. Dein Beispiel dient höchstens als Clickbait-Teaser, da es nur so von Emotionalisierungen und Übertreibungen strozt, ohne Übertreiung würde da stehen.
Junger Mann, der laut SV Pornos in einem normalen Ausmaß konsumiert, nachts für einen Marathon trainiert, dabei an einem Lokal vorbeiläuft, in dem das spätere Opfer gerade das Lokal verlässt und sich auf den Heimweg macht. Der Jogger läuft in entgegengesetze Richtung. Im Bereich Hotel Hohenaschau wird von einer Zeugin ein Schrei vernommen, zur ähnlichen Zeit wird auf dem Handy des Opfers ein Notfallkontakt aufgezeichnet, im 900m eingrenzbaren Bereich um die Kampenwandstraße, der Heimweg des Jogger führte nicht an diesem Bereich vorbei und er wurde von niemandem dort gesichtet. Das Opfer wurde am nächsten Tag aufgefunden und war laut Obduktion ertrunken, es fehlten Hose, Handtasche und Jacke.
Deus_Ex_Machin schrieb:Kampfsituation den Täter
Es wird nicht von einer Kampfsituation ausgegangen, da es keine Abwehrverletzungen gab.
Deus_Ex_Machin schrieb:gibt es vorliegend keinerlei Anhaltspunkte für den großen Unbekannten. Unmittelbar nach der Tat suchte die Polizei ja bereits nach dem Nachtjogger, noch bevor sich die Mutter des T. gemeldet hat. Denn die umfangreichen Zeugenbefragungen förderten ja gerade den Nachtjogger zutage. Von herumlungernden Dritten erzählte kein Zeuge etwas,
Das stimmt so nicht, es gab „herumlungernde Dritte“, die waren nur im Prozess gegen ST nicht relevant. Du liegst da einem Denkfehler auf, im Prozess waren nur Zeugen geladen, die etwas zu ST oder der Theorie der Polizei sagen konnten, oder höchstens noch nachweislich mit Hanna Kontakt hatten. Die übrigen Befragten wurden nicht geladen und sind womöglich auch gar nicht im Akt aufgeführt, der für alle Prozessbeteiligten zugänglich ist. Das bedeutet aber nicht, dass ausschließlich ST gesehen wurde, es gab auch einige „priorisierte Personen“ von denen wurde im Prozess natürlich auch nicht berichtet, denn es ging ja um ST.
Deus_Ex_Machin schrieb:ST selbst gab in Vernehmungen an, die Geschädigte vom Sehen und ihren Namen zu kennen.
Auch falsch, wie
@XluX und
@karajana schon erwähnt haben, ST selbst hat bei der Vernehmung und gegenüber anderen Zeugen behauptet, er habe Hanna nicht gekannt, nur der Knastzeuge hat von einem Kontakt gesprochen/phantasiert.