Ich finde, dass der Herr Strafverteidiger in dem oben verlinkten Interview doch einiges preisgibt, was er so nicht hätte äußern müssen, oder wo er sich hätte bedeckt halten können. Zumindest sollte man sein Augenmerk auch darauf richten, was der Anwalt gerade nicht sagt.
Und er sagt eben
nicht, 'sie haben den Falschen', 'der Bub ist unschuldig' oder ähnliches.
Geht man indes auf das Gesagte genauer ein, fällt auf, dass er für Anwendung des Jugendstrafrechts, im Gegensatz zum beispielhaften "erwachsenen" 20jährigen Unternehmer mit Verantwortung für 200 Mitarbeiter, folgendes Beispiel einbringt:
[...] wenn jemand noch bei den Eltern wohnt, eine Ausbildung macht, keine Freundin hat – dann eher Jugendstrafrecht.
Quelle:
https://www.berchtesgadener-anzeiger.de/startseite_artikel,-schwurgerichtsverfahren-sind-immer-schwierig-harald-baumgaertl-vertritt-den-in-uhaftsitzenden-im-fall-_arid,764820.htmlSpricht er da in Wahrheit von seinem Mandanten? Ist dieser etwa wohnhaft bei den Eltern, in Ausbildung und ohne Partnerin, gar ohne sexuelle Erfahrungen? Hier schimmert, nachdem es wohl nicht um die prinzipielle Zurückweisung des Tatvorwurfs mehr zu gehen scheint, die mögliche Verteidigungsstrategie des Juristen im kommenden Verfahren durch. Welches laut StPO auch nur eröffnet werden kann, wenn eine Verurteilung wahrscheinlicher ist als ein Freispruch.
Weiter lässt sich der Herr Anwalt auch zur Qualität eines großen Teils der Zeugenaussagen ein:
Wenn 500 Zeugen vernommen wurden, aber all diese sagten, 'wir haben nichts gesehen', dann fließt das nicht in die Hauptakte mit ein. Diese bekomme ich regelmäßig von der Staatsanwaltschaft. Das läuft sehr gut. Sobald die Freigabe da ist, gibt sie neue Erkenntnisse an mich weiter.
Quelle: ebda.
Es scheint also so zu sein, dass es eben auch unter den hunderten von Befragten viele zu geben scheint, die zur Aufklärung des Verbrechens nichts beitragen konnten. Es spricht aber für die Gründlichkeit, mit der die EB in alle Richtungen zu ermitteln scheinen.
Auf die Frage, ob der TV mit seinem Anwalt spricht antwortet dieser:
Ja. Ich bin jede Woche ein- bis zweimal bei ihm. Aber es gibt auch Fälle, wo Beschuldigte überhaupt nichts sagen. Auch nicht zum Anwalt, der sie vertritt.
Quelle: ebda.
Man darf also davon ausgehen, dass der Verteidiger sehr genau über die Befindlichkeit des TV informiert zu sein scheint, denn offenbar vertraut dieser ihm und spricht mit ihm. Unwahrscheinlich, dass sich TV und Anwalt dabei über Belanglosigkeiten austauschen.
Dann geht es noch darum, warum der anscheinend bekannte Advokat immer wieder zu derartigen Fällen als Pflichtverteidiger hinzu gezogen wird, und um die rechtstaatliche Rolle des Anwalts im Strafverfahren.
Fassen wir das Gesagte zusammen, so führt der Anwalt seine Hinzuziehung auf seine langjährige Erfahrung zurück und dass er das Verfahren nicht als einfach betrachtet. Er gibt uns einen möglichen Hinweis, wie er evtl. seine Forderung nach der Anwendung des Jugendstrafrechts zu begründen gedenkt, und gibt uns mit damit auch einen möglichen Hinweis auf ein Tatmotiv.
Ob ein Zwanzigjähriger eine Freundin oder generell Erfahrung mit dem jeweils begehrten Geschlecht hat, war mit bislang als Kriterium für die Anwendung des Jugendstrafrechts nicht ins Auge gefallen. Hier könnte man also ein Motiv vermuten - im schlimmsten Fall, und da müsste man sich u.a. die Internetaktivitäten des TV ganz genau anschauen, steckt hinter der Tat auch eine frauenverachtende Mentalität, wie sie sich etwa in Kreisen so genannter
Incels (unfreiwillig Zölibatäre) findet - wenn es der TV denn überhaupt gewesen sein sollte. In einschlägigen Internetforen wird unter "Incels" zum Teil über Gewalt gegen Frauen und deren "Legitimation" fabuliert. Natürlich ist ein solcher Zusammenhang Spekulation, gewinnt aber dadurch Nahrung, dass die attraktive, gebildete, im Ausland studierende junge Frau möglicherweise genau dem selbstbewussten, emanzipierten und attraktiven Frauenbild entspricht, auf das sich der Hass dieser "Incels" konzentriert. In Reichweite als potentielle Partnerin des TV sehe ich sie nämlich schon vom Altersunterschied her nicht.
Aber bislang gilt die Unschuldsvermutung, an der ich nicht rütteln möchte. Vielleicht war auch alles ganz anders.