Lento schrieb:Ich denke, dass Gericht hat - soweit es die Medien wiedergeben - ein sehr weichgezeichnetes Urteil gesprochen
Vielen Dank für den Hinweis. Es gilt ja zu unterscheiden:
- Was hat das Gericht entschieden? Es hat darüber entschieden, ob die beteiligten Polizisten einen Totschlag (finde ich auch irre) oder eine fahrlässige Tötung, ggf. irrtümlich, begangen haben. Über das Urteil würde ich - ohne schriftliche Gründe - kein Urteil abgeben, weil es hier um eine persönliche Schuld geht.
- Das Gericht mag vielleicht die Notwendigkeit gesehen haben, die Beamten, die seit der Tat unter einem gewaltigen öffentlichen Druck (nebst Beschimpfungen als "Mörder" und "Rassisten") standen, zu "schützen", sie im wahrsten Sinne des Wortes mit Worten des Verständnisses freizusprechen.
- Wie ist dagegen der Einsatz unabhängig von persönlicher Schuld zu beurteilen? Ist das alles richtig und gut gelaufen? Blieb den Beamten zu keinem Zeitpunkt eine Wahl für mildere Mittel? Wohl kaum.
- Militärs betonen immer, wie wichtig es sei, "vor die Lage" zu kommen. D.h. sich proaktiv auf eine Situation so vorzubereiten, dass man Alternativen hat und nicht nur noch hektisch reagieren kann. Diese Alternativen gab es. Ob strafrechtlich vorwerfbar ist nicht die Frage. Es gab sie schlicht tatsächlich. Nichts war von Anfang an ein unausweichlicher Kausalverlauf und die Beamten waren die, die am meisten Einfluss auf das "Setting" hatten. Sie haben das nicht genutzt.
- Wie soll mit solchen Fällen generell umgegangen werden? Die MP5 wurde hier als probates, ja gebotenes Mittel angepriesen. Mal davon abgesehen, dass dafür keine Belege dargelegt wurden, wäre es fatal, Militärwaffen oder auch nur Schusswaffen als Standard für Suizidgefährdete oder ggf. gefährliche Täter einzusetzen. Mal davon abgesehen, dass Schusswaffen auch eine Gefahr für andere Anwesende sind.
- Die Polizei ist zum Glück in Deutschland (anders als in den USA) nicht im Krieg mit ihren eigenen Bürgern. Wenn die Todesfälle steigen, dann ist das kein Schicksal, sondern dann sollten die Verantwortlichen wie auch die Öffentlichkeit innehalten und sich Gedanken machen über: Personal, Ausbildung, Dienstzeiten, Bezahlung, eigenen psychischen Belastungen (die meisten ehemaligen Polizisten, die ich persönlich kenne, sind alkoholkrank), Umgang mit Drogenabhängigen, Obdachlosen, psychisch Kranken und all denen, die nicht Herr ihrer Sinne sind.
- Das Phänomen des 21. Jahrhunderts, dass die Autorität staatlicher Institutionen und ihrer Repräsentanten, egal ob Politiker, Beamte, Lehrer oder Polizisten, massiv erodiert. Die Leute lassen sich nichts mehr sagen, glauben ihre eigene Wahrheit. Egal ob Corona-Schwurbler, Reichsbürger, clangeprägte Parallelgesellschaften, "erlebnisorientierte Jugendliche" oder wer auch immer. Das geht durch die ganze Bevölkerung. Die Erosion ist viel massiver als 1968 ff. Damals wurde auch Autoritätsverlust beklagt, die Folge war aber ein Wechsel von einer noch militärisch (und der NS-Zeit) geprägten hin zu einer modernen zivilen Polizei, die hohes Ansehen in der Bevölkerung genoss. - Bislang hat auf diese letztlich demokratische Krise niemand eine Antwort.
- Und weil man jahrzehntelang gekürzt und sich nicht um Nachwuchs gekümmert hat, zudem jetzt möglichst viele Vollzugsbeamte (früher mittlerer Dienst, die "Meister"-Laufbahn) der Bezahlung wegen auch in den stark verwaltungsrechtlich geprägten gehobenen Dienst ("Kommissar"-Laufbahn) gehieft werden sollen, was viele nicht schaffen, hat man ein Personalproblem. Fehlende Professionalität und zugleich ein "Verheizen" der Beamten führt zwangsläufig zu Vollzugsdefiziten.
Das mag in Bayern auf dem Land anders sein (da sind die Bullen noch echte "Sheriffs"), hier in Berlin ist es unübersehbar (in NRW dürfte es in Großstadtregionen ähnlich sein). Und dass es hier in den letzten 10 Jahren verhältnismäßig wenig Polizeitote und tote Polizisten gibt, liegt an einer politisch motivierten Deeskalationsstrategie, die für die Beamten im Alltag sicher wahnsinnig kräftezehrend ist. Reden, reden, reden, warten, reden, zuhören, sich anschreien lassen, zurück weichen, reden, belehren, sich anschreien lassen. Notfalls zulangen, zuschlagen, sich verteidigen, gegen Widerstand festnehmen, schlagen lassen, beschimpfen lassen. - Permanent zwischen Ruhe und kontrollierter Aggression. Wer will diesen Höllenjob machen?