Lento schrieb:Beim Schützen und den Polizisten wahrscheinlich weniger, aber es ist befremdlich, dass dies nicht dem Einsatzleiter angelastet wurde. Man hätte die notwendigen Maßnahmen VOR dem Pfeffersprayeinsatz ergreifen müssen, denn der Konsens, den man im Laufe des Verfahrens vermittelt wurde, ist der, dass die Situation statisch war und von ihm keine Gefahr ausging. Den Zeitverlust, der durch das Zurückziehen der Polizisten in ausreichender Entfernung gedauert hätte, wäre mit hoher Sicherheit ohne Folgen geblieben. Und das war eine klare Aufgabe des Einsatzleiters. Die Polizisten selber hatten - zumindest laut ihren Aussagen - die Situation nicht als gefährlich eingestuft, daher erhöhten sie von sich aus nicht den Sicherheitsabstand. Das gilt jedoch offensichtlich nicht für den Einsatzleiter, denn er ergriff Maßnahmen, um seine Leute zu schützen, ihm war die Gefahr also 100%ig bewusst. Weil er jedoch die Polizisten auf ihren Positionen ließ, hat er letzlich diese unnötig gefährdet und hat aus meiner Sicht den Tod schon mitzuverantworten.
Ja. Es hätte eben andere Möglichkeiten gegeben, als eine Notwehrlage zu provozieren.
Das Gericht hat entschieden, dass auch dem Einsatzleiter kein fahrlässiges Handeln vorzuwerfen ist. Das mag ich nicht beurteilen, es dürfte die konkrete Situation entscheidend gewesen sein, ob er persönlich eine Sorgfaltspflichtverletzung begangen hat oder nicht. In dubio pro reo - das hat das Gericht in seinem rechtlichen Hinweis schon angedeutet.
Aber Notwehrlagen kann man auch provozieren. Unabsichtlich durch falsches Verhalten. Wenn man da an Polizisten keine übertrieben hohe Anforderungen stellt, da sie zwischen Parkknöllchen, Leichenteile suchen, Unfallprotokolle schreiben und Streitigkeiten im Famillienclan heillos vielen völlig unterschiedlichen Situationen ausgesetzt sind, die sie irgendwie lösen müssen.
Das haben sie hier auf denkbar schlechteste Art und Weise. Persönlich trifft sie keine Schuld, so das Gericht. Ich halte das im Ergebnis für vertretbar., war auch nie der Meinung "Die müssen bestraft werden!" oder gar "Rassisten!". Aber in so einer Situation ist das erste Gebot: Distanz, wenn Eigen- und Fremdgefährdung zugleich. Also wenn nicht klar ist: "Tut er sich was an?" Oder "Tut er dem was an, der ihm die Tatwaffe wegnehmen möchte?" Distanz, Distanz, Distanz.
Anstatt da in Rambo-Manier reinzugehen und sich dann nicht mehr helfen zu wissen. Nicht zu deeskalieren, sondern das Opfer in die Enge zu treiben und seine Aggressivität wie im Dampfkessel zu erhöhen.
Keine Fahrlässigkeit heißt nicht, keine Fehler.
Es gibt genügend Handlungsanweisungen, die auch bei Sprachbarrieren funktionieren, weil der Ton der Kommunikation entscheidender ist, als die Information. Und es gibt eben viel mehr traumatisierte Flüchtlinge als vor 10 oder 20 Jahren, die in ihren Herkunftsländern evtl. schon als Kinder Schreckliches erlebt haben, traumatisiert und schwer therapierbar sind.
Wenn es bei der Strategie "immer ran an den Feind" bleibt, kommt der nächste Fall bestimmt. Und gewinnen tut da keiner, weder diejenigen, die "Polizisten sind Rassisten!" noch die, die "Selber schuld!" brüllen. Die Polizisten erst recht nicht. Psychisch kranke Menschen werden entwaffnet, das ist keine seltene Situation, das ist auch ohne MP möglich. Ruhe, Distanz und Deeskalation anstatt deutsches Gebrülle, Pfefferspray, Teaser und tödliches Geballer.
Dafür müsste aber auch so was wie Fehlerkultur und der Wunsch "besser zu werden" in der Polizei bzw. den obersten Dienstbehörden einsetzten. Ob dafür nach diesem Urteil die Notwendigkeit gesehen wird? Ich hoffe. Sehr leise.
SpoilerIn Berlin hat es geklappt. Da gab es um die 2010er Jahre eine Reihe von ähnlichen Todesfällen (z.B. auch filmisch dokumentiert im "Neptunbrunnen"). Taktisch gesehen hatte der Polizist alles falsch gemacht, was falsch zu machen war. Ohne Schutzkleidung rein in den Brunnen, ran an den nackten Messermann, Pistole im Anschlag, "Messer fallen lassen!" Stattdessen richtete er das Messer gegen den Beamten. Der schoss. Nicht persönlich vorwerfbar, deshalb keine Anklage. Man hat danach dann wohl an sich gearbeitet, es kamen solche tödlichen Einsätze nicht mehr oder nicht so oft vor. Richtlinien im Umgang mit PsychosenLento schrieb:Auch ein Freispruch bedeutet noch lange nicht, dass das Urteil unter rechtstaatlichen Gesichtspunkten zustande gekommen ist.
Ich sehe jetzt keine Anhaltspunkte dafür, dass das Urteil rechtsstaatswidrig zustanden gekommen ist. Auch wenn man es persönlich nicht für richtig hält. Es gibt halt die Unabhängigkeit der Richter, das ist Teil des Rechtsstaats. Sie müssen das Verfahren beachten, sind aber in ihrer Beweiswürdigung frei.
Es wird eine schriftliche Fassung des Urteils geben, das geht dann wohl seinen Weg zum BGH und wird hoffentlich auch in der Öffentlichkeit überprüft werden können.
Über den Inhalt der mündlichen Urteilsbegründung habe ich keine Kenntnisse.