Photographer73 schrieb:wenn sich hier mal auf Fakten begrenzt werden würde, anstatt ständig irgendwelche was wäre wenn Geschichten zu bemühen. Was wäre, wenn er sich vorher Tabletten besorgt hätte, wenn er aggressiv grworden wäre, wenn er auf die Beamten losgegangen wäre, sich selbst getötet hätte etc. Fakt ist - er hatte sich keine Tabletten besorgt, er war nicht aggressiv, er ging nicht auf die Beamten los und er tötete sich nicht selbst.
Vorab. Dass wir wohl nicht darüber diskutieren müssen, dass dieser Polizeieinsatz schief lief, muss ich wohl nicht extra bei jedem Satz betonen.
Dennoch kann man das alles so aber auch nicht sehen.
Während eines laufenden Einsatzes, egal ob Feuerwehr, Rettungsdienst oder eben auch Polizei, muss ich mich als Einsatzleiter an dem orientieren, was ich sehe, was passieren könnte und darauf aufbauend eine Einsatzstrategie entwerfen. Die Fakten, die anschließend irgendwann feststehen, kenne ich während des Einsatzes eben noch nicht.
Anders ausgedrückt, ich kann im Einsatz nicht wissen, was die Bewertung, Untersuchung, im Nachhinein ergibt. Dieses Wissen habe ich als Einsatzleiter oder Einsatzkraft eben beim Einsatz defintiv noch nicht.
Das ist nämlich der Punkt, den die meisten hier vergessen.
Ich weis, wenn ich an eine Einsatzstelle komme eben nicht, ist der mir gegenüber teilnahmslos sitzende Jugendliche voll gepumpt mit Drogen oder Medikamenten. Bisher hat es zudem noch Jeder, auch jüngere Jugendliche geschafft, der es wollte, in jeder fremden Stadt an das Zeug heran zu kommen, wenn er das wirklich wollte.
Ich weis genauso nicht, hockt der nun nur apathisch da, oder ist er gerade dabei sich mental auf irgend etwas vorzubereiten. Egal ob den eigenen Tod oder den Versuch, einem meiner Leute zu attackieren.
Dazu weiß ich nicht, ob das was mir Betreuer erzählen stimmt oder nicht. Ich selbst habe mehrfach erlebt, dass bei Feuerwehreinsätzen Bewohner von brennenden Häusern versicherten, es ist niemand (selbst aus der eigenen Familie) mehr im Gebäude. Schickte man als der Einsatzleiter dennoch Seine Leute zur Kontrolle rein, dann haben wir öfter noch Bewohner gefunden, diese gerade noch so heraus bekommen, dass es nicht zu spät war.
Es gibt eben Situationen, wo alles was man entscheidet falsch ist (sein kann).
Doch klar ist, dass die heute bekannten Fakten keinesfalls so bewertet werden dürfen, als wären die während des Einsatzes bereits als solche gesichert bekannt gewesen.
Klar ist für mich auch, dass die Aktion völlig schief lief, nach dem was derzeit bekannt ist, der Einsatz der Schusswaffe wohl eher nicht nötig, damit nicht gerecht fertigt war. Dennoch glaube ich kaum, sind dem eventuell noch jungen und unerfahrenen Beamten nicht die Nerven durchgegangen, was wir alle nicht wissen, was natürlich keinesfalls passieren dürfte, dass dieser aus Spass an der Freude schoss. Nicht vergessen sollte man, dass keiner bisher weis, warum er zu diesem Zeitpunkt abdrückte. Das muss der Prozess klären. Das ist völlig klar. Wichtig dabei ist "was er wie und warum" aus Seiner subjektiven Sicht sah, wie einschätzte.
So einfach ist eben nicht, zu sagen, die Fakten stehen jetzt fest, danach muss/kann man das alles beurteilen. Diese Fakten waren zum Einsatzzeitpunkt nicht klar. Das darf man nie vergessen.
Wer niemals in die Situation kam, einen Einsatz leiten zu müssen, eine Entscheidung (das meine ich jetzt allgemein, nicht auf den Fall bezogen) treffen zu müssen, die in letzter Instanz über Leben und Tod entweder der eigenen Einsatzkräfte, oder eines Dritten (Bewohner, Betroffener usw) entscheiden könnte, wird sich diese Situation nicht vorstellen können.
Eines könnt Ihr glauben, es ist bedeutend anders als im Sessel vorm Computer und anders als in vielen Filmen sowas gezeigt wird.
Als Einsatzleiter bist Du in solchen Fällen der einsamste Mensch am Objekt, denn Du musst eine Entscheidung treffen, die eigentlich unbedingt richtig sein sollte, obeohl Du oft ahnst, alles was ich jetzt entscheide kann falsch sein. Die Anspannung, bis des erlösende "Sie sind wieder raus, haben die Person gefunden/raus gekriegt" kommt, die kann sich keiner vorstellen. In den 10 - 15 Minuten stirbst Du selbst 1000 Tote und hinterfragt 100 Mal Deine Entscheidung.
Ich möchte nicht erleben, dass ein solcher Einsatz einmal anders endet. Daher tun mir auch diese eingesetzten Beamten definitiv leid.
Was nichts daran ändert, dass auch mir klar ist, nachdem ich den Ausgang kenne, dass wohl etwas schief lief, das will ich keinesfalls bezweifeln. Ob es nur das vielleicht übereilte Vorgehen des Einsatzleiter war, ob es ein Versagen mehrerer Beteiligter war, eine Verkettung unglücklicher Umstände, das wissen wir alle noch nicht. Ich jedenfalls gehe davon aus, dass niemand dieser 11 Mann, dieses Ende wollten. Absicht war das mit Sicherheit nicht.
Wobei ich dennoch zumindest nicht verstehe, dass man angeblich nicht wissen will, was die Polizei von einem will, wenn ich mit einem riesen Messer vor Ihnen stehe. Das sollte einem eigentlich der klare Menschenverstand sagen.
Ich habe es schon einmal geschrieben, ich erlebte eine ähnliche Situation in Frankreich. Ich verstehe kein Wort Französisch, sah die Polizisten auch nicht auf mein Auto zu kommen, da ich mit einem nicht ganz so langen Messer im Auto hantierte, mir gerade Brote machen wollte.
Ich hörte nur das klopfen, erschrak, fuhr herum und sah diese beiden Polizisten, sah den scharfen Blick auf mein Messer, hörte nur relativ scharfe Worte, die ich absolut nicht verstand, weiß noch nicht einmal ob einer der beiden Seine Dienstwaffe schon in der Hand hatte, doch das eine war mir sofort klar. Die wollten, dass ich das Messer weg lege, was ich auch sofort tat. Ich legte es auf dem Beifahrersitz gut sichtbar ab und zunächst beide Hände aufs Lenkrad.
Damit war das Problem eigentlich gelöst. Trotz Sprachbarriere konnten wir dann den Rest klären. Sie wollten "nur" den Führerschein und die Fahrzeugpapiere sehen.
Diese Aktion mit einem Messer, ohne Sprachkenntnisse endete zum Schluss mit einem beidseitigen freundlichen Lächeln und dem Satz der Beiden "Bon Appetit", den selbst ich verstand.
Daher verstehe ich eigentlich nicht, warum man einen Dolmetscher brauchen sollte, dass der Gegenüber kapiert, dass er Seine Waffe ablegt.
Auch gehe ich davon aus, dass es genügend Länder gibt, wo kein Mensch auf die Idee käme, das zu tun, oder dass es nicht erfolgte, zu bemängeln. Kann mir das selbst in Frankreich, Italien oder den USA, Länder die ich auf jeden Fall als Rechtsstaat bezeichnen würde, kaum vorstellen. Ich jedenfalls habe bei Kontrollen in Frankreich oder Italien oft Probleme mit der Sprache gehabt, da niemand Deutsch oder Englisch (zumindest wurde das so betont) verstand. Da wäre aber auch keiner auf die Idee gekommen, einen Dolmetscher zu holen. Denke das wäre auch in Seiner Heimat nicht anders gelaufen.
Auch das sollte man nicht völlig verdrängen.