VanDusen schrieb:Mit Verlaub, ich halte diese Isotopenanalyse für ziemlichen Humbug.
Humbug in Sinne von Schwindel ? Da möchte ich dir entschieden widersprechen. Die Isotopenanalyse ist in der Forensik eine wissenschaftlich anerkannte Methode zur Bestimmung der geographischen Herkunft.
VanDusen schrieb: Die Zuverlässigkeit der zugrundeliegenden Modellrechnungen hängt von der Anzahl der verfügbaren Vergleichsproben ab.
Zustimmung. Die Referenzdatenbank ist entscheidend für die Analyse. Wie schwierig die Interpretation der Ergebnisse sein kann, wird am folgenden Bild deutlich. Es zeigt den Anteil der Sauerstoffisotope im europäischen Trinkwasser. Es ist ersichtlich, dass in Schottland, Norwegen und Deutschland vergleichbare Anteile der O-Isotope feststellbar sind.
Nachfolgend einige Fallbeispiele: Quelle: Chemie/Leben/Biotechnik, Stabilisotopenanalysen am Menschen
Kopfloser Mann mit chinesischen Wurzeln
Einer der Fälle, an denen Lehns Team beteiligt war, drehte sich um die Leiche eines jungen Mannes, zu der es keinen Kopf gab – ein Umstand, der die Identifizierung erheblich erschwerte. Die Isotopenanalyse des Femurs wies mit ähnlichen Wahrscheinlichkeiten auf zwei Regionen hin, nämlich Deutschland und West-China, während jüngeres Gewebe auf Deutschland und Großbritannien/Irland hinwies. Als der Mann identifiziert war, wurde auch klar, wie diese Daten zustandegekommen waren: Nicht der Tote, aber sein Vater war chinesischer Herkunft, was den Speiseplan im sächsischen Elternhaus stark beeinflusst hatte. Wenig Fleisch und Milchprodukte senkten den in Deutschland üblichen δ15 N-Wert; stattdessen gab es mehr Fisch und Meeresfrüchte, was wiederum den δ34 S-Wert erhöhte. In der ersten eigenen Wohnung ernährte sich der junge Mann dann so, wie die meisten seiner Altersgenossen hierzulande es tun – eher ungesund, mit vielen Kohlenhydraten und tierischem Eiweiß, wenig davon aus Fisch. Das spiegelte sich auch in seinen Haaren und dem Beckenkamm wieder, die asiatische Signatur war nach seinem Umzug vor ein paar Jahren verschwunden. Gelebt hatte der junge Mann immer in derselben Gegend.
Die Mutter eines Neugeborenen
Die junge Mutter eines Mädchens, dessen kleiner Körper in der Nähe eines Einkaufszentrums gefunden wurde, hatte während der Schwangerschaft den Atlantik überquert. Aus den USA kam sie als Austauschschülerin nach Deutschland, wo sie bei einer Gastfamilie lebte bis sie 11 Wochen später ihr Kind gebar. Die Isotope im Körper des Babys zeigten diese Veränderung deutlich: Das älteste Gewebe, nämlich das Kopfhaar, zeigte für 13 bis 6,5 Wochen vor der Geburt eine nordamerikanische Signatur. Am ehesten passten sie zu Werten aus Illinois, für die eigentliche Heimat der jungen Frau gab es keine Referenzproben. Typisch sind für diese Gegend in Nordamerika niedrige δ34 S-Werte, also wenig Fisch, dafür viel Fleisch und andere tierische Produkte, δ15 N-Werte liegen ähnlich wie in
Europa. Aufgrund des hohen Anteils von C3-Pflanzen wie Mais und Zuckerrohr sind die δ13 C-Werte sehr viel niedriger als bei uns. Als die Jugendliche nach Deutschland gekommen war, entwickelte das ungeborene Kind nicht sofort die hier typischen Signaturen in seinem Körpergewebe. Haar, das nach der 6,5ten Woche vor der Geburt gewachsen war, deutete eher auf Japan hin, die Rippen, deren Substanz etwa die letzten vier Wochen widerspiegeln, ließen sich am ehesten mit Daten aus
Ost-China vergleichen. Diese asiatisch anmutenden Werte liegen zwischen jenen, die Nordamerika zugeordnet werden und denen, die in Proben aus Mitteleuropa erwartet werden. Vermutlich stellen sie eine Mischisotopie aufgrund der Reise und Ernährungsumstellung dar. In den finalen Wochen einer Schwangerschaft wird sehr viel kindliches Knochenmaterial aufgebaut, darum zeigt insbesondere die stark durchblutete Spongiosa, das weichere Material im Knocheninneren, die Isotopensignatur der letzten Tage vor der Niederkunft. In diesem Fall ergab der Vergleich mit Referenzdaten eine Wahrscheinlichkeit von 81%, dass die Mutter sich kurz vor der Geburt in Norddeutschland aufgehalten hatte.
Kofferleiche aus südlichen Regionen
Als „Kofferleiche“ ging der Tote durch die Medien, der im September 2014 bei Berlin-Spandau gefunden wurde. Auch hier bezeugten die Isotope, dass der Unbekannte sein Leben in mehr als einem Land verbracht hatte. Anders als im Fall des jungen Mannes aus Sachsen war das Skelett zwar stark verwest, aber vollständig; so konnten sich die Ermittler die für ihre Zwecke idealen Gewebeproben aussuchen. Sogar ein Weisheitszahn konnte analysiert werden, um die Isotopensignatur aus der Pubertät des alten Mannes zu ermitteln und mit der aus früheren Kindertagen in zwei Backenzähnen zu vergleichen. Zahnschmelz und Dentin wurden getrennt analysiert, dazu teilte man den Zahn in Krone und Wurzel auf. Zusammen mit den Daten aus Rippe, Oberschenkelknochen und Haaren konnten so Informationen gesammelt werden, die Lebensphasen von der Kindheit bis wenige Tage vorm Tod des Mannes abdeckten (Tabelle 2). Es zeigten sich deutliche Veränderungen, die die Biografie dieses Menschen geprägt haben mussten. Seine Kindheit und Jugend hatte er sicher nicht in Deutschland verbracht. Die δ13 C-Werte wiesen auf C4-Pflanzen hin und viel tierisches Eiweiß verursachte hohe δ15 N-Werte, wobei ebenfalls hohe δ34 S-Werte belegten, dass dieses hauptsächlich von Meerestiere gestammt hatte. Das Trinkwasser hatte mehr schweren Wasserstoff enthalten als es das in unseren Breiten tut, man schloss aus den δ2 H-Daten, dass der Mann in Küstennähe am Fuß höherer Berge gelebt haben könnte. Im jüngeren Gewebe dann zeigten sich die für Mitteleuropa üblichen Isotopensignaturen. Für die Zeit kurz vor dem Ende seines Lebens legten die Daten des Mannes nahe, dass er sich schlecht ernährt hatte, vielleicht sogar hungern musste oder eine kräftezehrende Krankheit gehabt haben könnte. Jedenfalls erklärte
man sich so die Zunahme der δ15 N-Werte im Keratin. Als ein halbes Jahr nach Auffinden der Leiche die Biografie des Mannes bekannt war, bestätigten sich viele Vermutungen, die aufgrund der Isotopendaten gemacht worden waren. Der Mann war tatsächlich in südlicheren Regionen aufgewachsen. Nach Angaben des Sohnes kam ursprünglich aus der Türkei und war
im Alter von 26 Jahren nach Deutschland emigriert, wo er als gelernter Schreiner arbeitete und eine Familie gründete. Während der letzten zehn Jahre seines Lebens hatte er mehrere Krankenhausaufenthalte gehabt, eine Mangelernährung war schließlich manifest gewesen
und er verstarb kurz nach einem Schlaganfall im April 2013. Es war kein Mord geschehen, trotzdem musste sich jemand vor Gericht verantworten. Der Sohn, der mit dem Vater zusammengelebt hatte, hatte ihn im Koffer auf dem Bahngelände versteckt und damit gegen das Bestattungsgesetz verstoßen, die Rente des Toten hatte er weiterhin bezogen.
Die Daten gaben dem Umzug nach Deutschland her, aber die Türkei passte nicht richtig zu den Referenzwerten, die eher auf Südamerika oder südost- oder vorderasiatische Regionen wie Iran deuteten. Allerdings kann das mit den Haarproben erklärt werden, die für die Datenbank gesammelt wurden: Für die Türkei stammen sie mehrheitlich aus Gegenden des bergigen Inlands, wenige Probe wurden bei Bewohnern der Küstenregionen genommen. Ein weiteres Problem für die Vergleichbarkeit liegt in den Veränderungen der Ernährungsbedingungen. Der Mann war 1941, also während des Zweiten Weltkrieges geboren, die Auswirkungen auf das Nahrungsangebot waren noch
Jahre nach Kriegsende spürbar. Zusätzlich zu dieser historischen Besonderheit findet heutzutage eine immer stärkere Vernetzung des internationalen Handels statt. Während früher viele Lebensmittel aus eigenem Anbau, auf jeden Fall aber aus der Region, kamen, ist es heute nicht unüblich, Grundnahrungsmittel regelmäßig aus ganz anderen Gegenden zu beziehen. Die Isotopenwerte in den Zähnen des Mannes können also gar nicht mit denen der zeitgenössischen Haarproben aus der Türkei übereinstimmen.