Kriminalfall Kim Wall
16.03.2018 um 11:35
Ich wag mich jetzt mal, anhand der durch den ersten Verhandlungstag hinzugekommenen Fakten, erstmals an eine Rekonstruktion der Tatnacht.
Lange hatte ich Probleme, zu einem halbwegs logischen Ergebnis zu kommen, es zwickte immer an irgendeiner Stelle zu gewaltig.
Warum nun nicht mehr?
Die Information, dass das U-Boot 50 Minuten gestanden ist, und er Zeitpunkt, wann dies war, haben letztlich den Ausschlag gegeben.
Um 19.20 Uhr sind Madsen und Kim losgefahren im Hafen.
Letzter nachweisbarer Kontakt war mit dem Schlauchboot-Fahrer um 20.40 Uhr.
Nur 3 Minuten später war die Nautilus weg vom Radar.
Es war spät, Sonnenuntergangs-Zeit, überhaupt noch einen Tauchgang zu machen, war ja schon fahrlässig. Er wusste ja, dass das Boot keinerlei Außenbeleuchtung oder wenigstens Begrenzungsleuchten hatte.
Nach dem Abtauchen gab es keinen Kaffee und Kekse. Hätte es das nachweislich gegeben, dann hätte die Verteidigung dies als entlastendes Beweisstück ins Spiel gebracht.
Die Anklage hat dies aber getan, also gehe ich davon aus, dass zumindest die Obduktion nichts nachweisbares ergeben hat.
Ich glaube, er hat sie sofort nach dem Abtauchen überrumpelt, gefesselt und all die weiteren grausamen Dinge getan, die letztlich zu Kims Tod geführt haben.
Die Anklage sagt, der Tod sei ab 22.00 Uhr möglich. Es konnten also Abläufe und Handlungen rekonstruiert werden, die es zulassen, eine zeitliche Eingrenzung zu machen.
Das ganze grausame Szenario dauerte also mindestens 1 Stunde.
Er ist dann aufgetaucht und sofort Richtung Süden gefahren.
Angeblich hat er seiner Frau eine Abschieds-SMS geschrieben.
Wenn der Text dieser SMS auch nur annähernd eine solche Interpretation zuließe, dann hätte er den genauen Wortlaut auch gleich erwähnt.
Den Inhalt dieser SMS werden wir von der Anklage im genauen Wortlaut hören, nicht von der Verteidigung. Also eher belastend als entlastend, bin ich mir sicher.
Wie ist er gefahren? Im Turm steuernd oder mit offener Vorderluke, aus der Luke schauend mit der Fernbedienung in der Hand, oder direkt am Steuerpult vor seinem einzigen Monitor sitzend?
Beides möglich. Er hat also hier nicht gelogen. Er hat beim 1. Auftauchen schon bedacht: Auf dem Turm hat er keine so große Kontrolle über sein Boot, außerdem auch keine Möglichkeit, den Funk mitzuhören. Es geht ja nicht nur darum, ob man ihn sucht, es können ja auch vielerlei andere Funksprüche, kommen, die ihm nützen (Warnungen usw.).
Er ist also mit offener Vorderluke gefahren, auch die beiden Türen hin zum Maschinenraum waren natürlich offen. Laut seiner Story hat er ja nach dem 1. Tauchgang zuerst alle Motoren angelassen und die Maschinenraumtüre hinter sich geschlossen. Die Türe zum Maschinenraum ist immer offen, sie muss es auch bleiben, denn der Schnorchel, der eine anderweitige Luftzufuhr ermöglicht hätte, war ja stillgelegt. Es hört sich halt in seinem Märchen plausibler an (er hatte angeblich die Tür geschlossen, nach dem Unterdruck-Unfall war die Tür offen, dies kann also nur eine lebendige Kim geöffnet haben).
Nach seinem Szenario müsste ja das Radarbild in den ersten 10 bis 20 Minuten etwa so ausschauen:
Schnelle Fahrt ohne Kurskorrekturen, mit kontinuierlich langsamer werdendem Tempo, dann, nachdem Madsen wieder Zugriff auf das Boot hat, wieder deutliche Beschleunigung und erste Kurskorrekturen).
Es kommt um 23.30 Uhr zu einer Sichtung, südlich vom Tauchort.
Um 24.00 Uhr kommt es zu einer Beinahe-Kollision mit einem Frachter, südlich vom Tauchort.
Um 02:51 Uhr versucht Lyngby Radio (dän. Küstenfunkstelle) zum ersten Mal, Kontakt mit dem U-Boot aufzunehmen, ohne Antwort von Madsen. Aber auch ohne Reaktion von Madsen?
In etwa diesem Zeitraum steht das U-Boot 50 Minuten still.
Und genau diese Information war wichtig für mich, um endlich eine plausible Erklärung zu finden für den weiteren Verlauf. Jetzt sind die letzten Unstimmigkeiten und großen Zweifel für mich beseitigt.
Für mich steht fest: Madsen hat den Funkspruch mitgehört und auch sofort reagiert.
Er hat 50 Minuten gebraucht, nicht um Kim von Bord zu schaffen, sondern um überhaupt die gröbsten Spuren zu beseitigen. Man fand 4 abgeschnittene Gurte. Warum wurden diese abgeschnitten? Meine Vermutung (und das ist keine schöne): Zu dem Zeitpunkt war Kim immer noch an 4 Punkten im Salon gefesselt. Die Leiche muss schnellstens zumindest aus dem ersten Blickfeld. Also schnell losgeschnitten, sie in den Duschraum geschleppt. Darum die Blut-Spuren dort. Dann die gröbsten Spuren beseitigt. Tatwerkzeuge, Kleidung usw., alles in den Duschraum zu Kims Leichnam geschmissen.
Vorbereitungen getroffen, um im weiteren Verlauf bei Bedarf das U-Boot schnell versenken zu können. Nach 50 Minuten war das Gröbste erledigt.
Die Anklage wollte von ihm wissen, was er da gemacht hat, in diesen 50 Minuten.
Entweder, weil es ein weiteres Puzzle der Unwahrscheinlichkeiten bei Madsen Story ist, weil ja Kim nicht nur da, sondern noch bis nach 05.00 Uhr gelebt haben soll.
Die Vielzahl der Stiche sind ja um den Todeszeitpunkt herum gesetzt worden, nach Madsens Story frühestens beim 2. Tauchgang.
Oder eben, die Anklage hat deutliche Spuren sicherstellen können, die beweisen, dass er etwas anderes getan hat in dieser Zeit, eben ähnliches wie von mir oben beschrieben.
Er gibt sogar an, der Körper habe sich abgekühlt angefühlt.
Was nach mindestens 3 Stunden nach angeblichem Unfall nachvollziehbar wäre.
Er konnte jetzt weiterfahren, vielleicht nicht zum ursprünglich geplanten 2. Tauchort, aber zum nahe gelegensten, halbwegs geeigneten Tauchplatz, der zudem wegen der in diesem Bereich befindlichen Leucht-Boje zielgenau angesteuert werden konnte.
Am Ziel angekommen, ist er dann abgetaucht.
Dort hat er sofort begonnen, die Leiche zu zerstückeln. Er hat das langsam und gewissenhaft gemacht, befürchte ich, auch nicht voller Ekel und Abscheu, sondern neugierig und fasziniert.
Das werden die Spuren am Leichnam bestätigen.
Die Beschwerung der einzelnen Teile war geradezu stümperhaft, warum?
Er hat sich damit nie beschäftigt. Learning by Doing, das wird ihm doch auch bescheinigt, dass er immer so vorgegangen ist bei seinen Projekten.
Er hat sich intensiv damit beschäftigt (zumindest die letzten Wochen oder Monate), wie man Menschen (nein, genauer gesagt, Frauen) foltert, quält und tötet.
Er hat genau solche Sachen gegoogelt.
Er hat es dann auch fast genau so gemacht, wie SMS-Kontakte mit Frauen und Videos auf seiner beschlagnahmten Festplatte bestätigen.
Auch die Zerteilung war ein offensiver Akt, er machte es weil, es seine sexuell sadistischen, abartigen Triebe befriedigte. Dass die Entsorgung so viel einfacher war, spielt nur eine untergeordnete Rolle hier.
Wenn er Kim im Ganzen von Bord schaffen hätte wollen, dann hätte er entsprechende Ausrüstung in seiner Werkstatt gehabt, das ist seine eigene Aussage vor Gericht.
Auch hier stimme ich ihm zu. Wenn er gewollt hätte. Das wollte er aber nicht.
Er wollte einen Körper zerteilen.
Das ist meine Meinung zu dem Fall.