Mr.Moe schrieb:Die Frage ist, inwieweit letzteres grundsätzlich machbar ist. Auf jeden Fall wird ein Verteidiger die (selbstverständlich mögliche) Tat auch vor Augen haben und diese in irgendeiner Form, ebenso wie sein Plädoyer, mit seinem Gewissen in Einklang müssen. Ich sehe keinen Grund dafür anzunehmen, dass man dieses einfach so "ausknipsen" könne. Auch eine 18-Jährige hat das Recht, von heute auf morgen alle Brücken abzubauen, die Familie hinter sich zu lassen und einfach so zu verschwinden, ohne Ankündigung. Ich sehe es aber nicht ein, von der Mutter (oder außenstehenden Betroffenen) zu verlangen, sie müsse eben noch lernen zu "verstehen", dass die Tocher doch das Recht dazu habe. Das wird ihr nicht weiterhelfen, selbst dann nicht, wenn sie Juristin ist und alles "begriffen" hat. Da wird sich die Bestürzung mit dem Rechtsverständnis streiten, unweigerlich.
Mir ist schon klar, dass beide Fälle nicht vergleichbar sind (hinsichtlich betroffener Außenstehender vielleicht schon...), aber man wird wohl hinnehmen müssen, dass es solche Gewissensregung gibt und bei soundso vielen Menschen dazu führt, dass sie die Vertretung der Rechte des Angeklagten nicht mit sich vereinbaren können, speziell in unserem Fall. Es gibt auch Strafverteidiger, die die Verteidigung in bestimmten Fällen ablehnen. Grundlage dafür ist ein Gewissenskonflikt, und nicht einfach (pauschal) mangelnde Schulung über die Rechte eines Angeklagten und das Aufgabengebiet eines Strafverteidigers. Intellektuell ist es ja nicht schwer zu "kapieren", welche Aufgaben ein Verteidiger hat.
Zusätzlich dann aber noch zu meinen, der angesprochene Gewissenskonflikt sei Grundlage für "den geballten Hass der Massen", finde ich schon recht dreist. Die gesamte Judikative könnten wir uns schenken, wenn sich das menschliche Gewissen nicht von Zeit zu Zeit melden würde. Und dieses meldet sich eben emotional, und nicht intellektuell, da können wir nichts machen. Mit grundsätzlich "geballtem Hass" hat das herzlich wenig zu tun.
Damit - ich formuliere es wohl besser noch ganz ausdrücklich - ist natürlich noch lange nicht gesagt, in welcher Art und Weise man nun einem Angeklagten oder der Verteidigung gegenübertreten, inwieweit man sich mal eben an dem Prinzip der Strafverteidigung "abreagieren" oder sich diese "zum Feind" machen kann.
Ein bisschen Differenzierung wäre da wünschenswert. Und vielleicht die Bereitschaft zu respektieren, dass recht viele Menschen aus oben genannten Gründen der Verteidigung (vor allem in diesem Fall) ablehnend gegenüberstehen. Ablehnung ist noch lange kein Hass, noch lange kein "Pöbel".
Um es einmal ganz, ganz pragmatisch zu sagen: es ist ja Gott sei Dank nicht "verboten", ein Gewissen zu haben und diesem gegebenenfalls auch Ausdruck zu verleihen...
Das hast du gut gesagt. Sogar ein Pflichtverteidiger könnte das Mandat mit ausreichender Begründung ablehnen oder niederlegen, ein Wahlverteidiger mal sowieso, auch ohne Begründung (Vertragsfreiheit) oder zB wenn er keine Extremisten vertreten will oder keine Mindest-Vertrauensbasis zum Angeklagten besteht.
In Bezug auf den Fall Madsen würde sich bei mir erst eine Antipathie ggü. der Verteidigung aufbauen, wenn diese penetrant und ausschließlich auf Verfahrens- / Formfehlerchen der Anklage aus wäre und bei ziemlich offensichtlichen Beweisen / Indizien den Bereich "ohne vernünftigen Zweifel" künstlich oder schmutzig (zB Opfer-Diffamierung) aufzublähen versucht.
Mein persönlicher Eindruck ist bisher, dass die Verteidigung einfach nichts weiter vorzubringen hatte, außer während der 6-monatigen Ermittlungsphase 2-3x auf kleine Fehlerchen in der Öffentlichkeitsarbeit hinzuweisen. Bei den eigentlich wichtigen Sachverhalten des Falls (Unfall, Madsen bestreitet Tötung und schweigt zu den Stichen) konnte sie nicht punkten. Im Gegenteil, die einst zaghaft verteidigten Unfall- und Bestattungs-Versionen stellten sich als komplette Lügen heraus und zB auch in Bezug auf die psych. Untersuchung oder die Untersuchung von Madsens Computer musste man sachlich einlenken.
Im Prozess erwarte ich daher von der Verteidigung ein ähnlich sachliches Vorgehen, also mehr die rechtliche Überwachung der wahrscheinlichen Verurteilung, als ein wirksames Auseinandernehmen der Anklage oder gar ein versuchtes Victim blaming. Sollte die Verteidigung wider Erwarten substanzielle neue Fakten oder begründete Zweifel an den Indizien / Beweisen der StA hervorzaubern, hätte ich damit natürlich auch kein Problem.
Insofern liegt es mMn. am Auftreten der Verteidigung selbst, ob sich ein vllt. öffentlicher "Hass" auf den Täter ggfs. zum Teil auf sie selbst überträgt oder nicht. Das gleich pauschal anzunehmen bzw. undefiniert "vielen anderen" pauschal anzudichten, ist mir aber zu billig und undifferenziert.