AusLeipzig schrieb:PS: wenn sie tatsächlich RA wegen der Ähnlichkeit der Stimme schuldig sprachen würde das für mich hauptsächlich gegen Geschworenen Prozesse sprechen. Menschen sind nicht gut darin so etwas wiederzuerkennen.
Das habe ich nicht gesagt, dass ich denke, dass das für einen, mehrere oder alle Juroren ausschlaggebend war. Wir wissen es eben nicht.
Aber es hätte ja auch umgekehrt passieren können, man kann dazu einfach mal ein theoretisches Gedankenspiel machen: in dem Moment, in dem alle im Gerichtssaal das erste mal RA's Stimme auf einer Aufzeichnung hören, denken alle, dass das nie im Leben die Stimme von BG ist. Hätte RAs Stimme so gar nicht zu BG gepasst, hätte das vielleicht bei dem ein oder anderen Geschworenen Zweifel gesäht, selbst wenn die StA noch jede Menge mehr belastende Indizien gegen RA vorgelegt hätte, als sie es getan hätte. Dieses eine Detail hätte also genauso zu einer hung jury oder einem Freispruch führen können.
Vielleicht hat auch RAs seltsames Benehmen in dem Prozess den ein oder anderen dazu bewogen, ihm die Tat zumindest zuzutrauen. Oder das gehässige Lachen seiner Frau an unangemessenen Stellen. Oder Rozzis überheblich wirkender Auftritt bei der Juryauswahl. Ich denke schon, dass bei dem Gesamteindruck, den ein Juror hat, die Dinge zwischen den Zeilen (oder besser zwischen den präsentierten Argumenten) auch eine große Rolle spielen, ohne dass sich dieser davon bewusst ist.
Mich hat von RAs Schuld vor allem überzeugt, dass er nach 5 1/2 Jahren bei seiner Vernehmung als er danach gefragt wurde spontan noch sagen konnte, was er an genau diesem Tag getan hat, wann er bei seiner Mutter losgefahren ist, welche Route er genommen hat, welche Kleidung er getragen hat, wem er wo begegnet ist, wo welche fremden Autos geparkt waren.
Ich kann Dir nicht sagen, welche Klamotten ich am letzten Freitag getragen habe. Und wenn ich sagen müsste, um wie viel Uhr ich an dem Tag von einem Besuch bei einer Freundin losgefahren bin, müsste ich sehr lange überlegen und versuchen, es an irgendwelchen Umständen zu verankeren und könnte dann nur einen groben Rahmen nennen.
Dieses Argument wurde im ganzen Prozess nicht einmal so genannt. Es hat sich sozusagen zwischen den Zeilen rauskristalisiert und hat bei mir im Kopf sofort ein großes rotes Fragezeichen aufleuchten lassen: wieso weiß der Typ das nach 5 1 /2 Jahren noch?! Muss doch wohl ein verdammt einschneidender Tag in seinem Leben gewesen sein!
Mag sein, dass das für alle in Delphi ein einschneidender Tag war, ist ein kleiner Ort und so was schreckliches ist da noch nie passiert. Da merkt man sich vielleicht mehr, als über andere Tage, gerade, wenn man selber grob um den Tatzeitpunkt auf dem gleichen Wanderweg unterwegs war.
So weiß ich zum Neispiel auch noch genau, wo ich mit wem war, als ich zum ersten Mal von 9/11 gehört habe. Aber frag mich nicht, welche Kleidung ich an dem Tag anhatte, wann wir zu dem Termin aufgebrochen sind, während dem ich davon erfahren habe und welche und wie viele Autos vor dem Haus geparkt waren, in dem dieser Termin stattfand!
Natürlich sind Menschen nicht gut darin, so etwas wiederzuerkennen. Menschen sind auch nicht gut darin, sich opbjektive Urteile über kompelxe Zusammenhänge und über andere Menschen zu bilden. Aber letztendlich gibt es nur die Möglichkeit, das, wenn es um juristische Prozesse geht, Menschen die Urteile sprechen.
Ich finde das deutsche Prozessrecht tatsächlich um sehr viel besser. Auch da urteilen Menschen, aber es sind halt Berufsrichter, wobei die Schöffen natürlich auch je eine vollertige Stimme haben, und ich denke, dass sie da doch meist mit mehr emotionalem Abstand und Routine rangehen, als so eine US-Jury. Und vor allem muss das deutsche Gericht sehr ausführlich begründen, warum es zu welcher Entscheidung gekommen ist und wie es die verschiedenen Argumente, Beweise und Indizien gewichtet hat.
Aber ich verstehe schon auch den Gedanken, dass man so ein Urteil "im Namen des Volkes" eben von Menschen fällen lassen möchte, die das Volk bestmöglich repräsentieren.