Andante schrieb:Die Vorstellung, diese würden gottgleich immer gleich wissen, was Sache ist, und von sich selber glauben,, sie seien allwissend, ist grundfalsch (Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel).
Wer das glaubt, sollte sich wirklich mal ehrenamtlich als Schöffe bei der Strafgerichten oder als ehrenamtlicher Richter bei Arbeits-, Sozial- oder Verwaltungsgerichten zur Verfügung stellen.
So ist es. Jeder der hier Mitschreibt sollte sich die Frage stellen, ob er als Schöffe, der keine Akteneinsicht hat, sondern bei seiner Entscheidungsfindung auf das angewiesen ist, was er im Prozess erlebt, wohl Mazurek verurteilt hätte oder nicht.
Ich bin seit Anfang 2019 (Hilfs-)Schöffe an meinem örtlichen Amtsgericht (wo es "nur" um Strafen von max. 5 Jahren geht, also kein Mord und Totschlag) und beurteile die Strafjustiz (mit der ich beruflich ohnehin schon länger ab und an zu tun habe) nochmals respektvoller als vorher. Selbstverständlich macht sich das Gericht ausführlich einen Kopf über das, was es da entscheidet und zwar auch dann, wenn der Sachverhalt einigermaßen klar ist.
Und, kurzum, ich hätte Mazurek nicht verurteilt. Und viele, die hier mitschreiben und am Prozess als Zuschauer teilgenommen haben, kommen zu dem gleichen Ergebnis. Das heißt nicht, dass ich M. für unschuldig halte. Es heißt nur, dass das, was die Staatsanwaltschaft da präsentiert hat, mir persönlich viel zu dünn wäre, um jemanden lebenslang hinter Gitter zu schicken.
Das ganze lässt sich doch allein auf die Frage der Glaubwürdigkeit des Zeugen P. herunterbrechen. Keine Verurteilung ohne P. Denkt man sich P. weg, bleibt nichts, außer einem Mann, den man die Tat vielleicht zutrauen würde und der ein Motiv, aber kein Alibi hat. Letzteres ist trivial, sonst hätte man ihn nicht angeklagt.
Der Fall war irgendwann 1982/83 ausermittelt und eine Staatsanwaltschaft stand dann vor der Frage des § 170 StPO. Anklage oder Einstellung. Man hat sich zu Zeiten eines lebenden P. für Einstellung entschieden. Und knapp 30 Jahre später beurteilt die gleiche Stelle - jetzt aber natürlich mit anderen persönlich Handelnden - P. posthum für glaubwürdig. Alles möglich, alles richtig, alles rechtsstaatlich. Gleichwohl: Wenn ich davon ausgehe, dass die Staatsanwälte von 1982 die gleiche Qualifikation hatten, wie die von 2007, dann vertraue ich denen, die zeitlich näher dran waren. Und wenn ich mir dann die Begründung des Gerichts anschaue, warum man P. für glaubwürdig hält, rollen sich bei mir die Fußnägel hoch. Davon ist rein gar nichts irgendwie nachvollziehbar oder logisch auch nur ansatzweise haltbar.
monstra schrieb:2. Wo ich als Richter verurteilen würde, würde vielleicht ein anderer Richter frei sprechen. Und umgekehrt. Dieses Maß an Subjektivität einer Entscheidung ist Teil der richterlichen Unabhängigkeit. Deshalb können zwei Urteile beim gleichen Sachverhalt in rechtlich zulässiger Weise eine Entscheidung treffen, obwohl sie konträr ist.
3. Das ist oft schwer zu akzeptieren. Für Opfer, für Angehörige und für Verurteilte. Ist eine Entscheidung nicht erkennbar falsch, treten die Fehler nicht offen zu Tage, hat das Gericht nach besten Wissen und Gewissen entschieden, dann wird den Betroffenen eines schweres Sonderopfer auferlegt.
Auch das ist ja völlig unstrittig, andernfalls könnte man nur geständige Täter verurteilen. Und eigentlich nicht einmal das, weil das Geständnis ja falsch sein könnte.
Offensichtlich falsch ist an dem Urteil sicher nichts. Aber von allen Indizienfällen, die wir hier im Forum diskutieren, ist es mit Abstand das dünnste, das ich hier gelesen habe.