Der Fall Ursula Herrmann, Anfang 80er Jahre
18.10.2019 um 14:58monstra schrieb:Hm. Mal angenommen, es ist ein offensichtlicher Fehler (so offensichtlich ist ein Gutachtenfehler zumeist nicht, @robernd hat viele 1000 Zeilen damit zugebracht, andere davon zu überzeugen):Bei der Überforderung spreche ich eigentlich von dem Weg der Wiederaufnahme. Wenn ein offensichtlicher Fehler auf Grund des Scheuklappenblicks der Gutachterin durchgerutscht ist, dann gibt es aus meiner Sicht folgendes Problem: Die Gründe, welche bisher der BGH hier als Wiederaufnahmegrund gesehen hat, können hier nicht erfüllt werden. Die Gutachterin war hier vermutlich ausreichend kompetent, einen Gutachter mit überragenden Mitteln ist hier kaum in Sicht. So, was macht man nun, wenn der Fehler nur durch ein Scheuklappenproblem verursacht war?
Ist es eine Überforderung, wenn die gesetzlichen Rahmbedingungen nun mal so sind wie sie sind? Ist es eine Überforderung, wenn ein Gericht erkennen könnte - aber nicht erkennen will, weil es ein rechtskräftiges Strafurteil nicht in Frage stellen, sondern als bereits entschiedene Vorfrage anerkennen will?
Der Weg, der im vorliegenden Verfahren versucht wird, über ein Zivilverfahren diese Scheuklappenblick der Justiz zu zeigen, ist bisher nicht von Erfolg gekrönt. Sollte der Grund des Urteils des LG Augsburg auf der Basis erfolgt sein, welche Du hier andeutest, hat das mit Rechtsprechung wenig zu tun. Wenn ein Gericht es nicht erkennen WILL (und zu dieser Ansicht kann man hier durchaus gelangen), dann haben wir nicht nur eine Überforderung sondern viel schlimmer u.U. ein generelles Problem der Justiz, wohin gegen eine Überforderung noch geradezu harmlos erscheint.
PS:
@robernd hat sehr sehr viel Zeit in sein Gegengutachten aufgewendet. Er hat minutiös jedes einzelne Glied der Übertragungskette betrachtet und untersucht, welche Glieder dieser Kette Veränderungen bewirken, welche die Gutachterin nicht berücksichtigt hat. Er hat dazu auch Erkundungen beim Bayrischen Rundfunk angestellt, um auch nicht ein einziges Glied dieser Kette auszulassen. Er hat weiter auch nachgewiesen, dass das von der Gutachterin verwendete Jingle nicht das war, was die Täter benutzt hatten (Anhand der Anstiegszeiten und Obertöne). Die Liste ist noch sehr lang, eine grandiose Arbeit.
Man darf aber nicht vergessen, nur ein Punkt von den vielen Punkten des Gegengutachtens reicht, um das Gutachten von Frau Boss auszuhebeln. Die dazu notwendigen Fragen wurden schon von @2r2n im Strafverfahren gestellt, dass war die Frage nach der Raumakustik und der Reparatur/Langzeitstabilität des Gerätes.
Beide Themen hatte die Gutachterin im SCHRIFTLICHEN Gutachten mit keinem Wort erwähnt. Erst in der Verhandlung stellte sich heraus, dass der Hörkopf irgend wann nachjustiert worden war, die Raumakustik nach der Sicht der Gutachterin deshalb nicht zum Tragen kommen solle, weil das Mikrofon dicht vor den Lautsprechern stand.
Das waren auch für das Gericht im schriftlichen Gutachten nie erwähnte neue Behauptungen der Gutachterin. Ein Laie kann solche Dinge im Gerichtssaal aber in keiner Weise nachprüfen, ob er die Aussagen der Gutachterin überhaupt ausreichend erfasst hat, kann man bezweifeln.
An diesem Punkt hätte das Gericht sagen müssen: Bis hierhin und nicht weiter, hier sind ganz neue Tatsachenbehauptungen von der Gutachterin aufgestellt worden, dazu müssen sowohl StA, Angeklagte und auch Nebenkläger in Ruhe das nachvollziehen können.
Aus meiner Sicht erfordert diese Vorgehensweise der Anspruch auf rechtliches Gehörs. Im Zivilverfahren gibt es eine entsprechende Rechtsprechung des BGH (BGH-Urteil vom 30. November 2010 - VI ZR 25/09 bzw. vom 13. Februar 2001 - VI ZR 272/99). Im Zivilverfahren ist es durch das Wortprotokoll und überwiegend schriftlichen Verfahren aber deutlich einfacher um auf solche neuen Tatsachenbehauptunge/Sichtweisen von Gutachtern zu reagieren, im Strafverfahren ist das noch zuisätzlich erschwert.
Nicht umsonst erhalten auch im Strafverfahren diese im Vorfeld auch schon das schriftliche Gutachten um sich darauf vorbereiten zu können und evtl. noch neue Fragen im Vorfeld stellen zu können. Wenn dann so entscheidende Tatsachen erst in der Verhandlung kommen, können sich die "Parteien" nicht mehr drauf einstellen. Evtl. wären weitere Fragen nach einem näheren Befassen notwendig. Auch die Richter selber werden Schwierigkeiten haben sich damit ausreichend zu befassen, sie haben nur ihre handschriftlich angefertigten Notizen, es gibt eben kein Wortprotokoll.