Doppelmord Babenhausen
05.05.2018 um 19:47
Meines Erachtens ist keiner der hier immer wieder vorgebrachten Einwände geeignet, die vom Gericht gewürdigten Elemente der Indizienkette, die für Ds Schuld sprechen, nachhaltig zu erschüttern. Diese Meinung lässt sich, denke ich, damit begründen, dass es in der Würdigung einer Indizienkette nicht um die Beweiskraft eines einzelnen Indizes für sich genommen geht, sondern um die Zusammenschau einer hinreichend großen Anzahl unterschiedlicher Indizien, also um die Bedeutung einer gesamten Indizienkette.
Schmauchspuren an der Kleidung, Bauschaum an den Opfern, DIY-Bauanleitung auf dem Rechner, Motiv und Gelegenheit! Wie das Gericht, muss man sich fragen, ob diese Indizienkette ausreicht? Ich bin letztlich zu dem Schluss gekommen, dass sie ein überzeugendes Gesamtbild ergibt und meines Erachtens mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht das Ergebnis reinen Zufalls sein kann.
Zwar werden z.B. die Schmauchspuren von den Ds sowie den Urteilsgegnern relativiert, man muss aber so oder so eingestehen, dass die eingewendeten Zweifel, das Indiz an sich nicht auszuradieren vermögen. Genauso wenig können sie die anderen Indizien, die für Ds Schuld sprechen, entkräften.
Ebenso verhält es sich mit dem DIY-Dämpfer bzw. dem Ausdruck der entsprechenden Website von Darsows Arbeitsplatz und den Bauschaum-Partikeln an den Opfern: Die erhobenen Zweifel, ein Arbeitskollege könne die Seite ebensogut aufgerufen und den Ausdruck veranlasst haben, relativieren bestenfalls (!) das einzelne Arbeitsplatz-Indiz, aber sie löschen es eben ebensowenig aus wie die gesamte Indizienkette.
Dasselbe gilt für den Bauschaum an den Tatorten: Ist es für die Beurteilung dieses Indizes maßgebend, wenn Laien (andere Laien) glauben (machen) können, der Dämpfer habe sich nicht bauen, nicht befestigen, nicht benutzen lassen, wenn der Bauschaum aber nun einmal nachgewiesen ist, ebenso wie der Webseitenzugriff und wenn gleichzeitig ein deutsches Gericht, bestehend aus drei Richtern und zwei Schöffen (auf Grundlage mehrerer sachverständiger Gutachten), inklusive einer Überprüfung des BGHs, zu dem Schluss gekommen ist, ‚jawohl, ein Dämpfer, wie der von Ds Arbeitsstellen-Rechner wurde benutzt‘ - bei jedem einzelnen (!) der Schüsse - und so auch zu erklären vermag, wie der Bauschaum überhaupt an den Tatort gelangen konnte!?
Es bleiben somit, trotz aller (möglichen) Zweifel: Schmauchspuren, in derselben Zusammensetzung wie am Tatort, an Kleidung und Gegenständen des AD, Baumschaumpartikel an den Opfern (bzw. an allen Einzeltatorten) und eine Bauschaum-DIY-Dämpfer-Bauanleitung, abgerufen und ausgedruckt von Ds Arbeitsplatz.
Ebenso verhält es sich schlussendlich auch mit dem zugrundegelegten Tatmotiv: Hass und eine - subjektiv empfundene - existenzielle Bedrohung durch T lassen sich vielleicht ein wenig herunterreden, sowie von D selbst, der von einem ‚Verhältnis des wechselseitigen Ignorierens’ mit T ausgesagt hat, aber die im Urteil wiedergegeben und auf Zeugenaussagen basierenden Schilderungen der Lärmbelästigung (und des verbundenen Leidensdrucks) sind einfach zu gravierend, als dass sie sich durch Relativierungen vollständig veruneindeutigen ließen.
Was bleibt sind - neben (oder abseits von) Ohrstöpseln - die Aussagen von Nachbarn vor Gericht, die den Lärm bezeugen, die Polizeikontakte und geschriebenen Beschwerdebriefe, die vergeblichen Versuche den Wohnort zu wechseln, der bezeugte Streit.
Diese Indizienkette - Schmauchspuren, Bauanleitung, Bauschaum und Tatmotiv - reicht meines Erachtens aus, um in der Gesamtschau zu dem Urteil zu gelangen, zu dem auch die Richter, auf Grundlage einer ungleich breiteren Datenbasis, gekommen sind. Selbst mit bestem Willen lassen sich die Einzelmomente dieser Kette nicht - auch nicht teilweise - als vollständig entkräftet betrachten, sodass im umgekehrten Fall, wäre D freigesprochen worden, sicher mindestens ebenso laut von einem Justizskandal die Rede gewesen wäre, wie es jetzt hier im Forum und in Bezug auf die Verurteilung Ds zu beobachten ist.
Letztlich bleibt noch festzuhalten, dass es - nicht allein im deutschen Rechtssystem - nicht darum geht, Tätern ihre Schuld eineindeutig nachweisen zu können, wie es im Rahmen eines idealen Rechtsswesens wünschenswert wäre. In der Praxis muss Justiz sich im der Regel mit einem wesentlich bescheideneren Kriterium, nämlich der Wahrscheinlichkeit, begnügen, und es ist offensichtlich, dass dies aus Gründen der Umsetzbarkeit von Recht und Ordnung schlicht notwendig ist, da unsere Gefängnisse leer stünden, legte man ernsthaft ideale Maßstäbe an. In der Wirklichkeit muss man sich damit zurecht finden, dass der Pfeil eben nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit ins Schwarze trifft, selbst wenn Justitia höchst selbst den Bogen spannt. (Dies generell zu akzeptieren gehört vielleicht mit zu dem Preis, den das zur Reife gelangte bürgerliche Individuum in modernen Demokratien einerseits zu zahlen bereit sein muss (und idR auch ist), um andererseits seine persönlichen Freiheitsrechte in Anspruch nehmen zu können.)