SCMP77 schrieb:Da muss man sich erstmal schon fragen, was ist die komplette Akte?
"Die" Akten sind erst einmal alle Akten, die dem Gericht vorliegen. Das müssen nicht alle Akten sein, die der StA vorgelegen haben und erst recht nicht alle Akten, die die Polizei angelegt hat. Die Begrifflichkeiten divergieren dabei und sind nicht immer klar. So gibt Haupt- und Neben- und Beiakten, es gibt Ermittlungs- Spuren- und Handakten.
Aus Sicht der Polizei sieht die Aktenführung bei komplexeren Verfahren ungefähr so aus (Profis mögen mich berichtigen!):
1. Hauptakte
auch Ermittlungsakte, enthält den gesamten Ermittlungsvorgang und geht so an die StA (nicht zwingend, sofern Teile für StA für Anklageerhebung und für Gericht für Eröffnung und Durchführung Hauptverfahren nicht relevant)- Anzeigen
- Tatortbefundbericht
- Strafprozessuale Maßnahmen
- Gutachten
- Geschädigtenvernehmungen
- Zeugenvernehmungen
- Beschuldigtenvernehmungen
In der Regel chronologisch geordnet und handschriftlich durchnummeriert (oben rechts)2. Fallakten
- Alle auf einen Fall bezogenen Seiten aus der
Hauptakte
Sofern es mehrere Taten oder Fälle gibt.3. Personenakten
- Alle auf eine Person bezogenen Seiten aus der
Hauptakte
Gegenstand können auch wichtige Zeugen oder Geschädigte sein. Auch bei mehreren Tätern.4. Spurenakten
- Detailhinweise, die der Überprüfung bedürfen.
Können bei komplexen Fällen großen Umfang annehmen, wenn 1000 oder mehr Spuren verfolgt werden.5. Nebenakten
- Verwaltungsakten, Abordnungen, Reisekosten, pp.
- Presseakten
- Handakten
Können bei großen Verfahren ebenfalls recht umfangreich sein, wenn z.B. Beamte zahlreiche Reisen machen müssen. Handakten dürfen keine exklusiven Informationen enthalten, die nicht der Hauptakte zugeführt wurden.6. Beiakten
- Abgeschlossene andere Verfahren, deren Inhalt
relevant sein kann
Je nach Fallgestaltung. Z.B. Verdachtsfälle, Vorverurteilungen oder Täter, die ähnliche Taten begangen habenNach:
http://www.weihmann.info/images/Kriminalistik/Kapitel%2015,%20Aktenfuehrung.pdf (Archiv-Version vom 23.11.2015)Ma_Ve schrieb am 10.04.2018:Staatsanwaltschaft, Richter und Verteidigung lesen selten die komplette Akte und kennen somit nicht alle Einzelheiten, sondern nur die aus ihrer Sicht wesentlichen.
Wenn man daran denkt, dass die polizeilichen Akten in einem "rätselhaften" Mordfall, bei dem jahrelang ermittelt wird, schon mal schnell 800 oder 1000 dicke Ordner füllen können, dann geht das sowieso nicht.
Was dann als Haupt- bzw. Personen- oder Fallakten an die StA und letztlich an das Gericht geht, kann dann noch immer zwischen 30 und 100 Aktenordner umfassen - oder auch nur ein paar Blätter (beim Ladendiebstahl). Der Umfang kann auch während einer Ermittlung divergieren, weil vielleicht ein Verdächtiger nach langer Ermittlung wieder ausgeschlossen werden kann. Geschulte Juristen wissen dann zwar, wo die für Anklage und Verurteilung wichtigen Informationen zu finden sind, aber es bleibt eine Heidenarbeit. Ein bestimmter "Drive" in den Ermittlungen kann so natürlich "weitervererbt" werden, Fehler der Ermittler sind nicht mehr so leicht zu finden.
Für Verteidiger können gerade Akten spannend sein, die gemeinhin nicht vorliegen, also Spuren-, Neben- und Beiakten. Daraus kann sich z.B. ergeben, dass es noch andere Ermittlungsansätze gegeben hätte, denen man nicht oder nicht ausreichend nachgegangen ist. Das kann dann zum Gegenstand von Beweisanträgen gemacht werden.
Ma_Ve schrieb:Bist du nicht der Meinung, dass dann deutlich mehr Bauschaum an den Tatorten zu finden gewesen wäre, statt weniger Partikel?
Gab es mehrere Versuche, wie sich der Bauschaum bei einer Schussabgabe verhält? Ob durch eine Form von Überzeug (Stoff) über die Flasche die Streuung von Bauschaum vielleicht gemindert gewesen wäre? Wie der Dämpfer konstruiert gewesen sein muss, dass er sich so verhält, wie vom Gericht angenommen?