@allIch habe in letzter Zeit nicht viel Zeit, aber nachdem man mich hier angesprochen hat, werde ich mich nochmal kurz äußern.
1. Ich halte das Urteil für äußerst schlecht geschrieben: konkrete schlechte Formulierungen; einzelne Passagen, die nicht nachvollziehbar sind; völlig unbewiesene rein spekulative Behauptungen, die teilweise nichtmal etwas zur Urteilsbegründung beitragen; einzelne Schlussfolgerungen, die so nicht getroffen werden können; seitenweise Redundanzen; dafür fehlen dann an anderer Stelle Ausführungen oder sind ungenau.
Das bedeutet aber nicht, dass das Urteil im Ergebnis falsch liegt. Das bedeutet auch nicht, dass jede im Urteil getroffene Behauptung und/oder Bweisführung unhaltbar wäre.
2. Zur Entsorgung von ADs Rechner:
a) Dieser Rechner war nach Aussage von Frau D sieben Jahre alt und hatte schon seit einem ca. halben Jahr Probleme ua beim Hochfahren bereitet. Der Rechner war so alt, dass es angeblich der einzige Rechner war auf dem noch der völlg veraltete IE 6.0 installiert war. Darüber hinaus lief auf dem Rechner auch noch Windows XP, zu dem Zeitpunkt auch bereits völlig veraltet - das Nachfolgebetriebssystem Vista wurde im Oktober durch Windows 7 ersetzt. Der Computer von AD hatte zum Zeitpunkt der Fehlfunktion seine Lebensdauer bereits mehr als deutlich überschritten. Dass hier AD noch nachhelfen musste, um diesen Rechner loszuwerden ist völlig abwegig. Bei uns in der Kanzlei werden die Bürorechner spätestens nach 5 Jahren ausgetauscht, die meisten wegen entsprechender Fehlfunktionen früher. Ich arbeite seit 1999 mit Computern an diversen Büroarbeitsplätzen, dh Computern, die von 8.00 Uhr bis 18.00 Uhr mindestens 5 Tage die Woche regelmäßig in Betrieb sind. Dass der Rechner von AD hier sieben Jahre alt ist, ist das wahre Wunder, nicht dass dieser PC nach sieben Jahren einen schwerwiegenden Fehler auf der Hauptplatine entwickelt hat, der ein weitreres Hochfahren verhindert.
b) Darüber hinaus und nur ganz am Rande: Die Angaben im Urteil beschränken sich darauf, dass der Zeuge K ausgesagt habe, AD hätte sich am geöffneten PC zu schaffen gemacht. Ein Schraubenzieher wird da nicht erwähnt, ebensowenig wie ein anderes Werkzeug. Ich stehe dieser Aussage auch skeptisch gegenüber, weil hier viel zuviele Informationen im Urteil zu dieser Aussage fehlen. Konnte sichergestellt werden, dass der Zeuge die Wahrnehmung machte, bevor AD den Admin konsultiert hatte und dieser eventuell bereits den Rechner selber geöffnet hatte? Was bedeutet überhaupt "zu schaffen machen" ganz konkret? Ohne diese zusätzlichen Informationen (und ohne den Zeugen selber gehört zu haben) ist es schwierig diese Aussage zu bewerten. Jedenfalls hätte hier das Gericht durchaus etwas ausführlicher in seiner Darstellung sein dürfen.
c) Davon unabhängig ist das ein nicht notwendiges Indiz. Wenn man AD verurteilen will, dann gibt es bessere Argumente dafür.
3. Auch wenn ich selbst dem Urteil (vom Ergebnis her) skeptisch gegenüber stehe, ist es nicht von der Hand zu weisen, dass AD ein Motiv hatte (sicherlich gibt es bessere Motive, aber er hatte eines), und seine Verbindung mit dem Tatort und der Tatausführung über die Internetrecherche und den Ausdruck zum Schalldämpferbau ist stark genug, um ihn als Täter zu verdächtigen. Insofern muss ich
@Rick_Blaine recht geben. Für eine abschließende Beurteilung fehlen mir wesentliche Informationen. Wie auch
@Rick_Blaine richtigerweise bereits dargestellt hat, ist es wichtig, die Akten zu kennen, den Prozess komplett selbst mitverfolgen und ggf. auch selbst Fragen stellen zu können.
4. Die Tatsache, dass AD geschwiegen hat, ist weder Beweis noch auch nur Indiz für seine Täterschaft. Dies ständig in die Diskussion einzubringen, ist völlig verfehlt - erst recht dann, wenn der Anwalt zu diesem Schweigen geraten hat.
5. Die Tatsache, dass Strate lange braucht, um den WAV-Antrag vorzubereiten ist kein Beleg dafür, dass das Urteil "gut" oder "richtig" wäre. Um einen erfolgreichen WAV-Antrag zu stellen müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein, die in erster Linie nichts mit dem konkreten Urteil und dessen Fehlern zu tun haben. Konkret regelt § 359 StPO, wann ein WAV-Antrag zu Gunsten des Angeklagten begründet ist: Da geht es nicht um Fehlschlüsse oder falsche Beweiswürdigung. Da geht es im Wesentlichen um schwer nachzuweisende Dinge wie gefälschte Urkunden, vorsätzlich falsche Zeugenaussagen oder Gutachten oder eben völlig neue Beweise, die geeignet sein müssen, ggf. einen Freispruch zu erwirken. Dahin zu kommen ist nicht schwierig, weil das ursprüngliche Urteil so hieb- und stichfest ist, sondern weil eben völlig neue Beweise schwer zu beschaffen sind, wenn das Beweismaterial schon umfassend in der HV gesichtet worden war, aber eben zB nicht richtig gewürdigt wurde. Das zu überprüfen ist nämlich Sache der Berufung (die es bei Mord nicht gibt) und der Revision. Und wenn die Revision hier - und auch hier kann es zu Fehlern der Richter kommen - nichts findet, kann ein RA Strate mit eben diesem Material erstmal auch kein WAV begründen, selbst wenn Strate das Urteil an sich - eventuell auch richtigerweise - für angreifbar hält. Strate muss also neue Beweismittel finden, um überhaupt den WAV-Antrag durchzubringen, und dann erst im WAV selbst kann auch das Urteil auf der Basis des bereits zur Urteilsfindiung bekannten Beweismaterials angegriffen werden. Denn dann befinden wir uns wieder in einer ganz normalen HV.
In diesem Zusammenhang empfehle ich den exzellenten Beitrag von
@Rick_Blaine über die Problematik von Gutachten als neuen Beweismitteln im WAV-Antragsverfahren un den dort verlinkten Artikel von Strate dazu nochmals zu lesen.
6. Zum Thema Justizirrtümer generell: Ja, die gibt es in Deutschland mit einer nicht zu unterschätzenden Dunkelziffer. Diese werden sich nie abstellen lassen, Menschen machen nun mal Fehler. Man kann aber versuchen sie weiter zu minimieren.
a) Die Einführung einer Tatsacheninstanz bei Kapitaldelikten.
@Rick_Blaine und
@SCMP77 haben das ja auch schon begrüßt und ist auch unter Strafrechtlern schon lange in der Diskussion.
b) Verbesserungen im Bereich der Juristenausbildung, insbesondere Vernehmungs- und Aussagepsychologie. Das Lernen von richtigen Vernehmungstechniken und der anschließenden Bewertung von Aussagen. Mehr praktische Übungen in diesem Bereich auch und gerade durch Moot Courts und entsprechend gut geschultes Personal.
c) Generelle Schaffung eines Bewusstseins für typische Fehlerquellen, insbesondere die Problematik von Zeugenaussagen, aber auch das dem Inquisitionssystem zwangsläufig inhärente unbewusste Vorurteil über einen Angeklagten durch den/die Richter.
7. Abschließend um entsprechende Einwände vorweg zu nehmen: Nein, ich bin kein juristischer Laie. Ich habe mein erstes und zweites juristisches Staatsexamen mit Prädikat in Bayern bestanden und habe das Strafrecht von all seinen drei Seiten kennengelernt.