@Ma_Ve Weiter hinten im Urteil* (Seite 205 bis 207) geht es noch einmal ausführlicher um die finanzielle Situation der Familie Toll. Einige der Informationen dort findet man auch schon zu Beginn des Urteils auf Seite 6 und 7, andere sind aber neu und beantworten vielleicht zumindest einige der Fragen, die in der Diskussion hier auf den letzten Seiten aufkamen:
Die Feststellungen des Gerichts zur finanziellen Situation der Familie Toll beruhen auf den Angaben der beiden Beamten, die hierzu ermittelt haben (KOK Mühlsiegl und KHK Kern), und auf den Angaben der Geschwister von Klaus Toll (Barbara und Peter Toll) [sowie auf weiteren Zeugenaussagen, nachzulesen auf Seite 206].
Nach den Ermittlungen der beiden Beamten Mühlsiegl und Kern hatte Klaus Toll als Makler seit den 80er Jahren zuerst relativ erfolgreich gearbeitet, jedoch waren die Umsätze in den letzten Jahren immer weiter zurückgegangen. Die Rückgänge begannen 2006, bis Klaus Toll im Jahr 2009 [bis zu seinem Tod Mitte April] schließlich nur noch eine einzige Maklerprovision [in Höhe von 3.000 €] erhielt. Hierzu überprüften die Ermittler die Umsätze auf dem Geschäftskonto von Klaus Toll rückwirkend bis 2006.
Klaus Toll hatte sich zwar immer weiter bemüht, sein Geschäft durch Anzeigenschaltungen u.a. anzukurbeln, was aber offensichtlich nicht gelungen war. Abgemildert wurde die angespannte finanzielle Lage nur durch den Verkauf des Hauses, das Astrid von ihrer Großmutter erhalten hatte. Von den ca. 300.000 DM Verkaufserlös hatte die Familie dann insbesondere die letzten Jahre mehr und mehr gelebt, da die finanziellen Einnahmen durch Klaus Tolls Maklertätigkeit nicht mehr ausreichten.
Klaus Toll unterhielt bei der Deutschen Bank ein Geschäftskonto und bei der Sparkasse Babenhausen ein Privatkonto. Zusätzlich hatte er bei der Sparkasse Babenhausen ein Schließfach, in dem 30.000 € in verschiedenen Briefumschlägen aufbewahrt wurden. Auf dem Privatkonto bei der Sparkasse Babenhausen lagen ursprünglich 140.000 €. Dieser Betrag stammte sehr wahrscheinlich aus dem Hausverkauf, war aber mit der Zeit mehr und mehr verbraucht worden.
Wie die Ermittler feststellten, hatte Familie Toll ihre normalen Lebensführungskosten grundsätzlich bar bezahlt und daher kein Geld überwiesen, insbesondere auch keine höheren Beträge. Vielmehr sei Klaus Toll regelmäßig samstags zu seiner Bank gegangen und habe dort jeweils mehrere hundert Euro abgehoben. Weitere größere auffällige Ausgaben hatte es nicht gegeben.
Die finanzielle Situation verschärfte sich auch deshalb immer weiter, weil die monatlichen Kosten die Einnahmen der letzten Jahre deutlich überstiegen. Zwar erhielt die Familie einen staatlichen Zuschuss für die behinderte Tochter, gleichzeitig jedoch spielte Klaus Toll jahrelang für ca. 2.000 € im Monat Lotto, ohne größere Gewinne. Recherchen bei der Lottogesellschaft ergaben, dass bei Klaus Toll keine Gewinne über 5.000 € angefallen waren.
In Anbetracht des Geldabflusses durch diese hohe Kostenbelastung und der relativ wenigen Geldeingänge auf den Konten war davon auszugehen, dass die Familie überwiegend von dem Geld aus dem Hausverkauf gelebt hatte. Darüber hinaus hatte die Familie auch keine Altersvorsorge, insbesondere auch nicht für die Tochter, so dass durch das verbrauchte Geld aus dem Hausverkauf letztlich keine Sicherheiten mehr vorhanden waren.
Diese Ermittlungsergebnisse der Polizei wurden bestätigt durch weitere Zeugenaussagen. Die beiden Geschwister von Klaus Toll wussten von dem Hausverkauf, waren allerdings bis dahin davon ausgegangen, dass der Erlös für Astrid angelegt worden wäre. Astrid sei für ihre Eltern "das einzig Wichtige" im Leben gewesen, und Klaus Toll hätte immer wieder erklärt, dass sie abgesichert sei.
Des Weiteren sagte der Bruder, Klaus Toll habe in Telefonaten davon gesprochen, dass es bei ihm in den vergangenen Jahren geschäftlich "immer schlechter" gelaufen sei. In der letzten Zeit seien die Geschäfte sogar "sehr schlecht" gelaufen.
In Anbetracht der oben geschilderten Ausgaben und der weiteren Kosten, die der Familie Toll durch die nahezu täglichen Essenslieferungen durch die Pizzeria "Maria" entstanden waren, kam die Kammer zu der Überzeugung, dass die laufenden Kosten der Familie in keinem Verhältnis zu den immer geringer werdenden Einnahmen standen und dass für den Lebensunterhalt mehr und mehr das eigentlich zur Absicherung gedachte Geld aus dem Hausverkauf verbraucht worden war. –
So weit die Erläuterung des Gerichts zur finanziellen Lage der Familie Toll.
Das alles klingt für mich nicht danach, als hätte Klaus Toll neben seiner Maklertätigkeit irgendwelche weiteren Einnahmen gehabt. In seiner näheren Umgebung räumte er zwar ein, dass die Geschäfte "schlecht" liefen, aber wie prekär die Situation tatsächlich war, verschwieg er sogar seinen Geschwistern. Offenbar sah er noch nicht einmal eine Möglichkeit, auf anderen Wegen Einnahmen zu erzielen, und setzte seine ganze Hoffnung in einen großen Lottogewinn.
Die Entwicklung der finanziellen Situation bei Familie Toll, wie das Gericht sie oben darstellt, erscheint mir absolut plausibel. Herr Toll war offenbar über Jahre in seinem Geschäft durchaus erfolgreich und bis zum Schluss sehr bemüht, sein Maklerbüro am Laufen zu halten und den Lebensunterhalt und die Zukunft seiner Familie zu sichern, jedoch gelang ihm das am Ende nicht mehr, aufgrund der zunehmenden Konkurrenz und dann der Wirtschaftskrise Anfang der 2000er Jahre. Anhaltspunkte für irgendwelche krummen Geschäfte, die schließlich sogar zur Ermordung der gesamten Familie hätten führen können, kann ich nicht erkennen. Hätte Herr Toll über nennenswerte Mittel verfügt, hätte er doch bestimmt zumindest seine Familie abgesichert.
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https://strate.net/de/dokumentation/Darsow-LG-Darmstadt-begruendet-2011-7-19-7.pdf