christian01 schrieb:Meines Erachtens weil man trotz enormen Ermittlungsaufwandes "nur" Indizien und keine unumstößlichen Beweise zu Tage gefördert hat ( z.B. Zeugen, DNA am Tatort etc. )
Und einige Indizien davon eigentlich gar keine sind oder sehr schwach sind. Das einzige harte Indiz ( und das obwohl noch nicht einmal dieses absolut zweifelsfrei belegt ist ) ist der Download oder der Aufruf der Schalldämpferanleitung durch A.D.
Andante schrieb:Man kann doch nicht von Willkür sprechen, wenn das Gericht eine schlüssige Indizienkette bildet und begründet.
Es ist eben in vielen Fällen nicht so, dass bei Begehung einer Tat im Hintergrund eine Kamera mitläuft und alles aufzeichnet. Dann wäre Rechtsprechung ja supereinfach. Und nicht immer findet sich an einem Tatort verwertbare DNA, die einen Täter zweifelsfrei überführt. Damit fehlt es dann an den von dir gewünschten „gewöhnlichen Beweisen“. Wenn zu den „gewöhnlichen Beweisen“ auch keine Geständnisse oder Zeugenaussagen zählen sollen (weil die ja widerrufen werden bzw. falsch sein können), müsste nach deiner Auffassung also jeder Tatverdächtige freigesprochen werden, weil eben von ihm keine DNA am Tatort war und keine Kameraaufnahme existiert, die ihn bei der Tatbegehung zeigt. Zeugen brauchten erst gar nicht vernommen zu werden.
Gäbe es eine Indizienkette, und sei die auch noch so schlüssig, würde die nach deiner Meinung nicht zählen. Und wie willst du das einem Opfer bzw. dessen Angehörigen erzählen?
Was mich als interessierten Leser dieses Threads von Anfang an erstaunt hat ist die Argumentation, die sich konsequent von der ersten Seite an durch den ganzen Thread (und auch alle ähnlichen Threads) durchzieht: eine diffuse Unterscheidung zwischen "Indiz" und "Beweis" und die vehemente Forderung, dass nur "Beweise" Grundlage einer Verurteilung sein dürfen.
Juristisch und praktisch gesehen ist das kompletter Unfug. Die ganz überwiegende Mehrheit der Strafprozesse in allen mir bekannten Ländern sind nun mal sogenannte Indizienprozesse. Sonst müssten wir ins finstere Mittelalter zurück. Da nämlich galt, dass nur ein Geständnis Grundlage einer Verurteilung sein konnte, und notfalls wurde dieses dann mit Folter erpresst.
Im spätmittelalterlichen Rechtsverständnis war das Geständnis des Angeklagten unabdingbar, um ein Urteil fällen zu können. Notfalls erzwang man dieses Geständnis eben durch die «peinliche Befragung», also die Folter. Indizienprozesse wurden erst mit der Aufklärung möglich. Sie sind oft mit grossem Medieninteresse verbunden – vielleicht, weil die Neugier besonders angestachelt wird, wenn ausser der Täterschaft niemand die Wahrheit kennt. Vielleicht beängstigt und fesselt uns aber auch die Möglichkeit, dass ein Unschuldiger verurteilt wird, der hartnäckig seine Unschuld beteuert hat.
https://www.20min.ch/wissen/news/story/Darum-reichen-auch-Indizien-12461408Im modernen Strafrecht gibt es Indizienprozesse. Offensichtlich verstehen aber die meisten Leute nicht den Unterschied zwischen "Beweis" und "Indiz." Dazu zitiere ich noch einmal:
Ein klassisches Beispiel für ein Indiz ist der Fingerabdruck auf der Tatwaffe. Dieses Indiz, das selbstredend bewiesen sein muss, belegt die Tatsache, dass der Verdächtige die Tatwaffe berührt hat – nicht aber, dass er den Mord damit begangen hat. Immerhin kann der Fingerabdruck je nach Umständen auch aus anderen, harmlosen Gründen auf die Waffe gelangt sein. Genau wie der Beweis muss auch das Indiz gewürdigt werden.
Ich vermute, viele hätten von vorn herein den Fingerabdruck als "Beweis" definiert. Man kann auch DNA Spur oder Zeugenaussage oder sonst etwas hier einsetzen. Aber auch das sind nur Indizien. Denn alle diese Indizien müssen gewürdigt werden, vom Gericht, und dieses muss dann feststellen, dass die Indizien dazu ausreichend sind, den Tatvorwurf zu beweisen. Erst dann hat man einen Beweis. Und erst dann kommt es zu einem Schuldspruch.
Anders gesagt: am Ende auch jedes Indizienprozesses, der mit einem Schuldspruch endet, steht ein Beweis. Das Gericht sieht den Tatvorwurf als bewiesen an.
Ein anderer Kollege erklärt das so:
Je länger man an deutschen Gerichten verteidigt, umso deutlicher wird, dass der Indizienprozess sogar die Regel ist. Der direkte Beweis liegt nur dann vor, wenn sich dem Strafrichter oder dem Vorsitzenden des Kollegialgerichts das Vorhandensein eines einzelnen gesetzlichen Tatbestandsmerkmals ohne jeden weiteren Beweis sinnlich vermittelt.
Zum Beispiel:
Dass es sich beim Opfer einer Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB um das gesetzliche Tatbestandsmerkmal Mensch handelt („eine andere Person“), vermittelt sich dem Gericht durch Augenschein, wenn das Opfer als Zeuge aussagt. Dass es sich bei dem zur Verletzungshandlung benutzten Gegenstand um eine Messer und damit um einen gefährlichen Gegenstand iSd § 224 I Nr. 2 StGB handelt, vermittelt sich dem Gericht ebenso durch Augenschein, indem es das Messer anschaut. [Aber] schon das Geständnis des Angeklagten, das Tatopfer mit einem Messer verletzt zu haben, ist Indizienbeweis, weil dazu noch die Bewertung der Glaubhaftigkeit des Geständnisses hinzukommen muss.
https://www.anwalt.de/rechtstipps/indizien-und-beweise-im-deutschen-strafprozess-bgh-und-strafverteidigerpraxis_131340.htmlSomit muss ich
@Andante folgen und fragen: bei aller gerechtfertigter Kritik an einzelnen Urteilen und manchen Erscheinungsweisen der Justiz, welches Strafrechtsystem will man denn hier wirklich fordern? Ein Geständnis-muss-sein System, wenn auch ohne Folter? Dann würden in Zukunft die meisten Gefängnisse leerstehen. Verurteilungen nur noch mit DNA-Spuren am Opfer? Auch dann werden kaum noch Gewaltverbrechen geahndet werden können.
Bei aller menschlichen Fehlbarkeit, solange wir uns einig sind, dass wir irgendein Strafrechtssystem brauchen, erscheint mir das vorliegende System einer gerichtlichen Gesamtwürdigung aller Indizien immer noch das rationalste zu sein.