jamie71 schrieb: Eine Distanz zum System ist da hilfreich.
Heißt es nicht immer, sei der Wandel, den du in der Welt sehen willst? Heißt es nicht immer, man kann nur von innen heraus verändern?
jamie71 schrieb:Und wie S_C richtigerweise darlegt, kann man den Fall Darsow nicht ausschließen, wenn seine Aussage generell gemeint war.
Auch das ist ein Denkfehler. Ich kann darüber reden, dass meine Katze generell alle Mäuse frisst, die er fängt, aber diese eine Spitzmaus, die hat er nicht gefressen. Ein sogenannter Disclaimer ist ja genau dafür da.
"Ich sage über diesen speziellen Fall nichts, aber im Allgemeinen ist es so, dass..."
Wenn mir jemand die Telefonnummer von Herrn Fischer besorgt, ruf ich ihn gerne an und frage ihn persönlich, wie er es gemeint hat, wenn dann endlich Ruhe einkehrt.
jamie71 schrieb:Denn ich finde, es sollten Kapazitäten und Ressourcen verfügbar sein, um eben das zu bewältigen. Ich habe den Anspruch schon, dass Gerichte wirklich alles beleuchten, was mit einem Fall zu tun hat, auch 1500 Seiten, die potentiell beschreiben, ob Ermittler alles richtig gemacht haben.
Auch dazu zwei Anmerkungen: Wenn Personal nicht da ist, ist es nicht da. Jeder Mensch hat Anspruch auf ein zügiges Verfahren. Es ist niemanden geholfen, wenn die Gerichte 1500 Seiten Buchstabengenau überprüfen. Denn dann sitzen die Beschuldigten womöglich dennoch jahrelang in U-Haft. Solche Akten füllen ja auch jede Menge Material, dass eben keiner besonderen Überprüfung bedarf. Und ich traue einem Richter mit gewisser Erfahrung auch zu, nicht jedes Wort einzeln abwägen zu müssen - das darf natürlich nicht Überhand nehmen, aber genauso wenig darf das die Verfahrensdauer.
jamie71 schrieb:Wer hat Recht?
@Andante :D Seine Argumentation beruht nicht nur auf "Subjektiv, subjektiv!", sondern auf: "Glaubhaft, weil dies und jenes."
Das zieht - zumindest bei mir - besser.
jaska schrieb:Diese objektiv falschen aber subjektiv richtigen Zeugenaussagen über Sichtungen gibt es in nahezu jedem einzelnen Vermittsten- oder Mordfall.
Man denke an Kris Kremers und Lisanne Froon. Wie oft die beiden am Mirador gesehen wurden, noch Tage nach ihrem Verschwinden! Es ist ein völlig üblicher Umstand vor Strafgerichten, dem weniger Bedeutung beigemessen werden muss, als 2 unabhängige Beobachtungen.
jamie71 schrieb:wenn die Schüsse um 4 Uhr gehört wurden, kann man daraus sicher ableiten und belegen, dass Toll zu diesem Zeitpunkt auch getötet wurde?
Du sagst selbst: Wenn die SCHÜSSE gehört wurden, dann ja, kann man sich sicher sein, dass Toll auch starb. Sonst hätte man
a) Kugeln gefunden, die das Ziel verfehlten
b) festgestellt, dass Toll nach den Treffern noch eine Weile lebte und langsam verblutete
jamie71 schrieb:Weshalb glaubst du, dass der WA-Antrag dann in sich zusammenfällt, wenn die Geräusche um 4 Uhr morgens nicht gehört wurden?
Weil wesentliche Säule des Antrages ist, dass der gehörte Mündungsknall ein Anbringen eines improvisierten Schalldämpfers verbietet, sprich, eine kurzläufige Waffe verwendet worden sein muss. Wenn dies nicht der Fall ist, nach deiner Argumentation - irgendwer sonst hätte die Schüsse am Tag erst Recht gehört - dann kommt Darsow genauso in Betracht wie vorher auch. An der Indizienkette ändert das Hören oder Nicht-Hören gar nichts.
jamie71 schrieb:Praktisch könnte auch alles nach 8 Uhr passiert sein.
Nicht praktisch, theoretisch. Aber seis drum.
Ich könnte jetzt erneut all die Zufälle aufzählen, die dennoch zusammen kämen und die Annahme, dass Herr Darsow nicht schuldig ist, immer noch unwahrscheinlich macht.
So oder so - ich weiß ja, dass den Urteilskritikern diese Uhrzeit soo wichtig ist. Also werde ich jetzt versuchen darzulegen, warum das nicht in Frage kommt.
1. Die Zeugen. Die Schüsse wurden gehört, diese Aussage wurde vor Gericht gemacht und noch wissen wir nicht, warum es nicht glaubhaft sein sollte. (Im Gegensatz zur Sichtungszeugin, aber siehe oben)
2. Die Tolls wurden seitdem weder gehört noch gesehen. Weder Herr Toll bei seinem täglichen Morgenlärm, noch Frau und Tochter bei ihren tierischen Lauten und Gezänk.
3. Wären die Tolls später ermordet worden, wären Tochter und Mutter dann noch im Bett gewesen? Ich kenne ihren Tagesablauf nicht, aber zumindest bei Astrid Toll als Autistin ist ein Hang zur Pünktlichkeit und Routine, immer gleichen Abläufen zumindest anzunehmen. 8 Uhr könnte für sie eine Zeit gewesen sein, in der sie bereits wach ist - Spekulatius, ist mir schon klar.
4. Gerade Tagsüber ist mehr auf den Straßen los. Das heißt, die Wahrscheinlichkeit, dass jemand etwas beobachtet oder hört ist höher, die Wahrscheinlichkeit das ein Täter zuschlägt geringer. Gerade in der Zeit zwischen 7-9 sind Schulkinder noch und nöcher, arbeitstätige Eltern und joggende Mütter unterwegs.
5. Wären die Tolls deutlich später ermordet worden, dann wären möglicherweise signifikante Veränderungen in Leichenstarre und Blutgerinnungsgrad sichtbar gewesen. Gerichtsmediziner und Ermittler verfügen über einen gewissen Erfahrungsschatz.
6. Unschuldsvermutung ist vorbei. Belege du mir doch, warum die Schüsse nach 4:00 gefallen sein müssen?
-> Kannst du nicht. Demzufolge müssen wir uns auf weitere Indizien stützen, um die These zu untermauern.
-> Oh, was haben wir da? Einen Mann mit Motiv, der direkt nebenan wohnt und das Haus wie auch die Nachbarn kennt wie seine Westentasche.
-> Oh, was ist da noch? Er hat kein Alibi für die Tat, nicht nur das, er ist das ganze Wochenende alleine?
-> Oh je, der Mann hat sich auch noch über die Möglichkeiten des lautlosen Tötens informiert?
Wird das Bild langsam klarer, warum die Ermittler diesen Todeszeitpunkt für wahrscheinlich erachten - und niemand, auch nicht Strate - dass so wirklich anzweifelt?