Ich bin durch und durch Wissenschaftler und Anhänger der Schulmedizin. Ich war mal auch als Nichtmediziner Mitglied in der Ethikkommission einer medizinischen Fakultät einer etablierten Universität. Dort ging es häufig um placebokontrollierte doppelverblindete Arzneimittelstudien. Dabei fiel mir auf, dass es teilweise eine ausgesprochen hohe Placeboresponse gab. Das hing vom Arzneimittel ab, aber z.B. bei Antidepressiva und manchen Schmerzmitteln, da war das schon krass.
SpoilerIch lasse mal die schulmedizinischen Probleme mit Lobbys, die häufig unrühmliche Rolle der forschenden Arzneimittelhersteller ("Scheininnovationen"), den Kostendruck der Sozialversicherungssysteme und der oft miesen Studienlage mangels unabhängiger Forschung beiseite.Mein Eindruck war, dass dieser Placeboeffekt von den Medizinern mehr oder weniger als Phänomen hingenommen oder gar abgetan wurde. Es wurde darüber nicht diskutiert.
Nach meinem Verständnis ist dabei komplementäre Medizin ein Teil der Schulmedizin, die lindernd oder therapiefördernd ist. Quasi auf Sekundär- statt Primärebene. Und eben nicht das Karzinom behandelt, sondern das individuelle Schmerzempfinden. Denn leider ist es so, dass die Schulmedizin nicht nur oftmals sehr erbarmungslos und karg ist (man sehe sich nur die Krankenhäuser in ihrer kalten Funktionalität an), sie nimmt es auch selbstverständlich hin, dass Therapien
de lege artis bzw. als "Goldstandard" in ihrer Wirkung beschränkt sind und bei einem bestimmten Prozentsatz von Patienten keine oder nur geringe Wirkung zeigen. Und bei anderen große Effekte. Und man weiß nicht warum. Und dann gibt es auch den Nocebo-Effekt, wenn Beipackzettel oder Patientenaufklärungen für Studien dazu führen, dass man plötzlich alles an Nebenwirkungen hat, was es gibt. Kenne ich von mir selber, weshalb ich keine Beipackzettel mehr lese. Was auch nicht immer gut ist...
Davon zu unterscheiden ist die "Alternativmedizin", die naturwissenschaftlich widerlegte oder unbewiesene Verfahren anwendet und (absichtlich oder nicht) den Placeboeffekt mehr oder weniger effektiv anspricht und fördert. Oder den Noceboeffekt mindert. Das geschieht mittels Verfahren, die wir als modernes esoterisches Schamanentum bezeichnen können. Und es ist eigentlich völlig egal, ob mit Kinesiologie oder Homöopathie. Hauptsache viel Brimborium und ein charismatischer Behandler sowie ein gläubiger Patient. Ob das die Lebenserwartung erhöht oder mindert, wäre mal eine interessante Frage. In die anthroposophischen Kliniken gehen die Leute jedenfalls gerne, weil die "wohnlicher" sind, sich die Ärzte (angeblich) mehr Zeit lassen und weil das Essen besser ist. Da habe ich auch noch keine Sorgen. Gefährlicher ist der anthroposophische Hausarzt, der sich weigerte, gegen Covid 19 zu impfen (die Grippeimpfung aber verabreichte) oder von einer dringend notwendigen Operation abrät.
SpoilerIch war kürzlich für längere Zeit im Krankenhaus. Das Essen war ein Graus. Gibt es Studien, inwieweit sich die Qualität des Essens auf die Liegezeit auswirkt?Kurz und gut meine These: Der Erfolg der Heilpraktiker, Homöopathen, Schwurbler und Kurpfuscher beruht auf zwei Phänomenen: Zum einen auf dem Placeboeffekt, der gerade bei chronischen Schmerzen oder Befindlichkeitsstörungen zu wirken scheint. Und zum anderen auf einer Schulmedizin, die nicht oder nicht ausreichend im Blick hat, dass es Linderung und Heilung ohne erklärbare naturwissenschaftliche Kausalität gibt. Und daher nicht weiß, wie sich dieser Effekt möglichst effizient triggern lässt. Vielleicht mit etwas mehr Schall und Rauch?
Über die Gefahren, die von diesen "Alternativheilern" ausgehen, brauchen wir uns im Übrigen nicht unterhalten. Die sind gefährlich, wenn sie ihre Grenzen nicht beachten.