Neupythagoreer schrieb:Für einen Mitnahmesuizid (Suizid zusammen mit der Tötung von Menschen, die einem persönlich nahe stehen, z.B. Beziehungstat), ja. Aber hier handelt es sich, wenn, um eine Amoktat, und da kenne ich eigentlich kein Beispiel, wo jemand rein aufgrund einer Depression dies getan hätte bzw. konnte keine solche Fallbeschreibung finden.
Da bestehen parallelen, laut Experten war der Germanwings Absturz aber keine Amoktat, sondern ein sog. Homizid-Suizid. Da bestünden wichtige Unterschiede.
Neupythagoreer schrieb:Bei Lubitz war die Depression vielleicht komorbid, vielleicht auch kausal für die weiteren psychischen Störungen, insbesondere die Psychose, vielleicht auch eine Persönlichkeitsstörung (mit Verlust von Empathie, das gibt es natürlich schon). Die konkrete Situation kam natürlich hinzu.
Lubitz hatte keine Psychose, auch wenn das von Medien immer wieder so dargestellt wurde. Ich gebe dir insofern recht, dass eine Depression ohne z.B. Persönlichkeitsstörung nicht zu so einer Tat führt. Aber die Grunderkerkrankung muss depressiver Natur sein und nicht eben psychotisch, darum geht es mir hauptsächlich. Auch führen Persönlichkeitsstörungen alleine nicht zum Suizid und sind ziemlich häufig. Das sieht auch Micha Hilgers, ein Experte zum Thema in einem „Zeit-Online“-Interview so:
Hilgers: […] Denn die Crew treffen, mit ihr vernünftig kommunizieren, den Check vor den Flügen machen, das Gerät mit dem Piloten gemeinsam fliegen, starten, landen, Kommunikation mit Towern und Lotsen. Das bedeutet hohe soziale Dichte mit Teamorientierung, Konzentration, Disziplin, Aufstehen in aller Herrgottsfrühe, Belastbarkeit über Stunden und formal geordnetes Denken. Glaubt jemand im Ernst, dass ein Mensch mit psychotischer Erkrankung oder wahnhafter Depression zu solch komplexen Leistungen über lange Zeit in der Lage ist? Allenfalls minutenweise. Für mich kommt deshalb nur eine Persönlichkeitsstörung infrage, die durchaus depressive Symptome enthalten kann.
Die Persönlichkeitsstörung mag ausschlaggebend sein, aber im gesamten deckt es sich mit der Tatsache, dass die meisten Suizide auf depressive Grunderkeankungen zurückzuführen sind. Auch Homizid-Suizide. Laut einem Bericht von „Welt-Online“, spielen dafür Rachegedanken gepaart mit Selbstmordabsichten die größte Rolle.
Dass man Andreas L. eine Suizidabsicht nicht unmittelbar vor der Tat anmerkt, ist jedoch nicht so ungewöhnlich.
Aus einzelnen Verhaltensweisen lasse sich kein Hinweis darauf ablesen, ob eine Suizidgefährdung vorliegt, sagt der Psychotherapeut Stefan Leidig aus Berlin. „Es müssen mehrere Problembereiche über eine längere Zeitspanne auftreten.“ Wer Andreas L. nicht gut kannte, konnte also möglicherweise auch gar nichts Auffälliges an ihm bemerken.
Merkmale, die, wenn sie gehäuft auftreten, laut Leidig auf eine Suizidabsicht hindeuten könnten, sind neben konkreten Äußerungen über Suizidgedanken etwa Gespräche über zunehmenden Druck und das Gefühl, nicht mehr damit zurechtzukommen, eine bereits bekannte Depression, gepaart mit einer Zunahme von Fehlzeiten oder Verspätungen, Rückzug vom normalen und gewohnten Umgang mit den Arbeitskollegen und Freunden oder eine Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes, die darauf schließen lässt, dass sich die Betroffenen nicht mehr um sich selbst kümmern.
Quelle: Welt Online
Neupythagoreer schrieb:Bei einer Psychose könnte ich mir viel eher vorstellen, dass sich ein solcher Flugverlauf plausibel machen ließe. Also wenn man sich z.B. über mehrere Stunden von Dämonen verfolgt sieht, und entsprechend mit dem Flugzeug in den Südlichen Indischen Ozean entkommen möchte oder dgl.
Eine Psychose lässt sich eben ausschließen, also zumindest bei MH 370 oder Germanwings, da die Piloten keinerlei Auffälligkeiten in diese Richtung zeigten und bis zu dem Absturz in der Lage waren, am normalen Flugbetrieb teilzunehmen.
Neupythagoreer schrieb:Bei Silk Air 185 ging es wohl um Versicherungsbetrug:
Das ist nicht ganz richtig interpretiert und das kann zumindest als Motiv keinesfalls stimmen. Die Lebensversicherung wurde wohl lediglich abgeschlossen, damit die Hinterbliebenen von dem Suizid profitieren können, war aber mit 100%iger Sicherheit nicht der Grund. Vielmehr müssen die vielen Schicksalsschläge gepaart mit psychischen Problemen dazu geführt haben.
Neupythagoreer schrieb:Bei Japan-Air-Lines-Flug 350 war der Pilot nachweislich und schon zuvor psychisch erkrankt, hatte also wohl eine Psychose, war nicht zurechnungsfähig
Er litt wohl an Schizophrenie, was wohl auch auffällig genug war, dass andere es im Vorfeld bemerkten.
Neupythagoreer schrieb:aber es handelte sich wohl um einen romantischen Konflikt im Cockpit:
Daran siehst du ja was ausreichen kann. Ein romantischer Konflikt ist viel harmloser als eine Depression. Auch da muss es unerkannte Grunderkankungen gegeben haben, die ihn mit der Situation so hat umgehen lassen.
Neupythagoreer schrieb:Eine suizidale Person ist nicht automatisch empathielos
Hab ich auch nie behauptet, allerdings gibt es Formen von Depression und vor allem von depressiven Menschen, die so unterschiedlich sind wie Menschen eben sein können. Bei manchen Suizidgefährdeten entsteht Frust oder Hass, weil andere für die eigene Lage verantwortlich gemacht werden.
Wenn wir jetzt doch nochmal den Bogen zu Amoktaten schlagen, ist das interessante, dass immer gesagt wird, depressive neigen nicht zur Gewalt, es müssten andere Erkrankungen vorliegen. Tatsache ist jedoch, dass es bei so gut wie jedem Amoktäter der jüngeren Geschichte Belege für eine Depression gibt oder sie sogar diagnostiziert war.
Depressionen selbst mögen nicht gewalttätig machen, aber ich wage jetzt mal einen Gedankenschluss: Wenn Depressionen stark werden, führen sie fast immer zu Suizidgedanken. Wenn eine stark depressive Person aber sowieso zur Gewalttätigkeit neigt oder z.B. an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung leidet, bzw. wenig Empathie gegenüber Mitmenschen empfindet oder Hass- und Rachegedanken hegt, kann eine Depression sehr gefährlich werden, da sie eben suizidal macht und die Hemmschwelle zur Selbsttötung senkt. Und ein Mensch, der Selbstmord begehen will, hat etwas vor, wonach er absolut keine Konsequenzen für nichts zu fürchten hat, was glaube ich bei einer sowieso Hass- oder Racheerfüllten Person oder einer Person mit z.B. narzisstischer Störung, jeglichen Grund nimmt, so eine Tat nicht zu begehen. Ich bin kein Experte, aber das ist eine einfache, logische Schlussfolgerung. Eine Depression mag nicht gewalttätig machen, aber eine suizidale Depression in den ‚falschen Händen‘ kann eben dazu führen, dass die Hemmungen fallen sowieso ersehntes in die Tat umzusetzen.
Nehmen wir als Beispiel den Alaska-Airlines-Techniker, der ein Flugzeug klaut, Loopings fliegt und sich dabei umbringt. Er begeht keinerlei Gewalttaten, er ist ein ‚normaler‘ Depressiver. Aber er tut Dinge, die hätte er niemals gemacht, wenn er nicht vorgehabt hätte, sich unmittelbar dannach das Leben zu nehmen, weil er dann eben massive Konsequenzen zu fürchten hätte. Jetzt stell dir mal vor der Mann hätte unbeschreiblichen Hass in sich getragen. Ähnlicher Hass, wie ihn Z.B. Attentäter oder auch Rassisten in sich tragen, die im Schutze des Mobs auf einmal gewalttätig werden. Ist denn überhaupt jeder Attentäter psychisch krank? Oft wird nach einem Anschlag die Frage gestellt: „islamistisch oder psychisch krank?“ Eine ziemlich rassistische Frage. Neigen wir evtl. auch als Gesellschaft dazu, in Dinge, die wir nicht verstehen im nachhinein andere Dinge hineinzuinterpretieren? Es gibt viele hassbesessene Menschen, die sog. „Gefährder“ darstellen, die offenbar aber nicht psychisch Krank genug sind, sodass man sie einweisen zu lassen kann. Wenn aber die Tat begangen ist, sucht und findet aufeinander jeder eine massive psychische Erkrankung die das alles halbwegs erklärbar macht. Nicht selten widersprechen sich Experten da auch in verschiedenen Interviews. Außer, die Person war islamistischer Attentäter. Dann lautet die Erklärung meistens schlicht und einfach: Extremist.
Selbst beim Thema Persönlichkeitsstörungen sind sich nicht alle Experten einig. Es gibt Psychiater, die Persönlichkeitsstörungen lediglich als stärkere Ausprägung bestimmter Charaktereigenschaften sehen und nicht unbedingt zwangsläufig als Störung.
Im Gegensatz dazu spricht man von einer Störung der Persönlichkeit, wenn bestimmte Persönlichkeitseigenschaften oder Verhaltensstile sehr stark ausgeprägt und gleichzeitig starr und unflexibel sind – wenn sie also in verschiedenen Situationen immer wieder auftreten, obwohl sie teilweise unangemessen oder wenig hilfreich sind.
Quelle: therapie.de
Schätzungsweise 10% aller Menschen sollen unter solch einer Störung leiden - das sind ziemlich viele, immerhin etwa soviel wie es Vegetarier in Deutschland gibt.
Vlt. gibt es einfach Menschen, die zur Gewalt neigen, aus welchen Gründen auch immer, die gepaart mit Selbstmordabsicht oder getrieben von Rache, Verzewiflung oder Hass solche Taten begehen. Die Gründe sind vlt. dabei so individuell wie die Taten selbst. Aus diesem Grund würde ich niemals aufgrund von anderen Taten auf MH 370 schließen. Du hast es selber aufgezählt: es gibt Fälle, da fällt soetwas auf und in anderen garnicht. Manchmal wird sogar noch der Profit der Familie mitbedacht. MH 370 kann ich mir ähnlich vorstellen. Die Selbstmordabsicht war da, aber die Familie oder Gesellschaft sollte aufgrund der Stigmatisierung davon nicht erfahren. Oder vlt. sogar aus Scham.
Neupythagoreer schrieb:Zudem haben die Fälle von Pilotensuizid (auch andere, die einigermaßen bestätigt sind) gemeinsam, dass der Absturz immer so bald wie möglich erfolgte, nachdem der suizidale Pilot die Kontrolle über das Flugzeug hatte. Es gab niemals einen stundenlangen Flug dazwischen.
Da gebe ich dir vollkommen recht. Das ist auch etwas, was mich an der Theorie stört. Aber es ließe sich vlt. genau dadurch erklären, dass es in diesem Fall dem Selbstmörder/Mörder wichtig war, dass dieser Suizid ‚niemals passiert ist‘, also niemals aufgedeckt werden würde und ihm durch die Flugdatenschreiber klar war, dass dies passieren würde, sobald man das Flugzeug findet.
Neupythagoreer schrieb:Ich glaube auch eigentlich nicht, dass man das aushalten könnte. Also sowohl in Bezug auf den eigenen Tod, der wenn einmal der endgültige und unumkehrbare Entschuss gefasst ist, möglichst bald erfolgen sollte.
Könnte man annehmen, aber da muss ich dir sagen, dass du da falsch liegst. Ich hab erst vor einer Weile das Buch von Robert Enke gelesen, dass ein mit ihm befreundeter Journalist geschrieben hat. Und was mich darin stutzig gemacht hat: sobald die Selbstmordabsicht fest steht, geht es depressiven Menschen oft sehr gut. Es ist ein Gefühl der Erleichterung. Im Fall von Robert Enke haben die Angehörigen gemerkt wenn ihn „der schwarze Hund“ also die Depression wieder gepackt hat. Auch im November 2009. Doch wenige Tage vor seinem Selbstmord als er den Entschluss schon gefasst hatte, wirkte er auf einmal locker und entspannt. Jeder dachte ihm ginge es wieder gut. Er hat damals noch ein Spiel für Hannover 96 bestritten und befreit aufgespielt, dannach Interviews gegeben. Die Sicherheit, dass das Leiden der Depression bald beendet ist, scheint den Betroffenen inneren Frieden zu geben.
Sicherlich, Robert Enke war kein Mitnahmetäter; allerdings vergessen wir dabei, dass viele Slebstmörder - auch Enke, bei ihrer Tat Menschen bewusst schweren Schaden zufügen. Im Fall von Robert Enke war es der Lokführer.
Neupythagoreer schrieb:Als auch vor allem auf die Massentötung. Insbesondere bei einer depressiven Person, welche die Abscheu vor dem, was man im Begriff ist zu tun, noch viel stärker wahrnehmen würde als einen negativen Gedanken.
Genau das ist die Kategorisierung, die mich da immer stört. Es mag sein, depressive neigen dazu, den Hass eher nach innen, gegen sich selbst zu richten und haben kein höheres Gewaltpotenzial als andere Menschen - allerdings sind sie auch nicht automatisch Heilige. Wie ich vorher geschrieben habe, es gibt auch sehr Hasserfüllte und gewalttätige Menschen, bzw. Menschen die auf Rache sinnen, die auch von einer Depression ereilt werden können und ich persönlich halte diese Kombination für äußerst gefährlich. Depressionen werden jedenfalls nicht automatisch gute Menschen aus ihnen machen.
In der Luftfahrtbranche wird zumindest am meisten auf Depressionen geachtet, was psychische Erkrankungen angeht. Depression war auch in Verbindung mit Mitnahmesuizid mehrfach Thema. Diese Verbindung hat man da automatisch gezogen, ob das jetzt richtig ist oder nicht.
Ich will nochmal betonen, dass ich keineswegs zu 100% von der Suizidtheorie überzeugt bin. Ich halte nur daran fest, da sie aktuell mit den wenigen vorliegenden Beweisen, die einzig sinnvolle ist. Für etwas anderes gibt es schlichtweg keinerlei Belege. Wie gesagt, es gibt durchaus auch Dinge die mich daran stören, die du auch erwähnt hast, wie etwa der stundenlange Weiterflug oder die Aktivierung von Satcom. Allerdings sehe ich das keineswegs als Gegenbeweise. Diese Dinge lassen sich unter Umständen erklären. Und ich will mal frei einen befreundeten Richter zitieren: ‚Wenn ein Urteil zu gut geschrieben ist, dann stimmt etwas nicht. In jedem Fall gibt es widersprüchliche Dinge, oder Dinge die absolut keinen Sinn ergeben. Aber das Gesamtbild ist entscheidend.‘ In diesem Gesamtbild deuten eben alle bisherigen Hinweise auf einen Suizid hin, alles andere wäre einfach reine Spekulation und würde uns nicht weiter bringen. Allerdings ist die Hinweislage schwach. Mich würde es keinesfalls wundern, wenn irgendwann Beweise auftauchen, die alles ganz anders dastehen lassen; insbesondere in Bezug auf etwaige politische Verstrickungen. Allerdings auch nicht, wenn wir dann über einen Suizid reden.