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Was steht wirklich in der Bibel?
25.08.2019 um 14:25Optimist schrieb:woher will man wissen, wann die Evangelien frühestens geschrieben worden sind?Bevor es schriftliche Evangelien gab, wurde alles mündlich überliefert. Und auch nicht alles am Stück, nicht in einer fertigen Reihenfolge. Gerade die Jesusworte, an die man sich erinnerte, wurden oft als separate Einheiten überliefert. "Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein". So gehen wir noch heute mit diversen Zitaten diverser berühmter Leute um.
Erst zu einer Zeit, wo man sich nicht mehr so gut an den Zusammenhang erinnerte, oder unter Leuten, die das nicht miterlebt haben, wurden solche Zitate erklärungsbedürftig. Was soll denn "Stein werfen" bedeuten? Ein Weitwurf-Wettkampf? Steinewerfen im Glashaus? Und wieso soll der erste Werfer der ohne Sünde sein?
Auf dieser Ebene wurde es nötig, noch ein paar Informationen nachzureichen. Eine Ehebrecherin soll gesteinigt werden. Und Jesus sagt denen, die mit ihrem Gerechtigkeitsempfinden die Sünde anderer bestrafen wollen "Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe (auf diese Frau) den ersten Stein".
Dann fragt sich einer, ob Jesus da hinzugekommen ist und diesen Satz von sich aus in die Gruppe gerufen hat. Nee, sagt einer, die Leute, die die Frau richten wollten, die sahen Jesus in der Nähe und dachten sich: "Der tut immer so gerecht und friedlich, den werdenwa mal aufs Glatteis führen. Wenn er die Steinigung fordert, ist er nicht friedlich; fordert er keine, ist er nicht gerecht, da das Gesetz für Ehebruch die Steinigung vorsieht."
Schließlich muß ja noch geklärt werden, was nun mit der Ehebrecherin geschehen ist.
Und schon haben wir ne ganze Erzählung.
Daß es sich wirklich so begeben hat, ist allerdings nicht sicher. Womöglich wurde das Geschehen nur um das Zitat herum konstruiert, um das unverständlich gewordene Zitat wieder sinnvoll zu machen. Daß es sich um ein Steinigungsgeschehen handelt, ist immerhin sehr wahrscheinlich.
Das sollte jetzt nur ein Beispiel sein.
Die schriftlichen Evangelien nun haben solche einzelnen Zitate aufgegriffen und selber erzählerisch aufgefüllt, aber auch bereits zu Einzelerzählungen angewachsene Zitate vorgefunden und integriert. Außerdem haben die schriftlichen Evangelien diese einzelnen Ereignisse in einen zeitlichen und räumlichen Kontext und Zusammenhang gestellt. Das mit der Ehebrecherin fand deutlich außerhalb Jerusalems statt, gehört also in Jesu Zeit als Wanderprediger, und nicht in die Zeit der letzten Tage in Jerusalem.
Soviel als Vorerklärung.
Und nun die Erklärung, wieso keines der Evangelien des NT vor 70 n.Chr. entstanden ist:
Die sogenannte Endzeitrede Jesu findet sich in Markus13,5-37, Matthäus24,4-44, Lukas21,8-36. In keiner Version kommt die Zerstörung Jerusalems bzw. des Tempels vor. OK, bei Lukas findet sich das dann schon, indem eine Passage, die bei Markus und Matthäus noch anders lautete, bei Lukas umgestaltet wurde, damit es zu der Tempelzerstörung 70 n.Chr. paßt.
Mk13,14: "Wenn ihr aber den Greuel der Verwüstung stehen seht, wo er nicht sollte - wer es liest, merke auf! -, dann sollen die in Judäa auf die Berge fliehen"
Mt24,15-16: "Wenn ihr nun den Greuel der Verwüstung, von dem durch Daniel, dem Propheten, geredet ist, an heiliger Stätte stehen seht - wer es liest, der merke auf! -, dann sollen die in Judäa auf die Berge fliehen"
Lk21,20-21: "Wenn ihr aber Jerusalem von Heerscharen umzingelt seht, dann erkennt, dass seine Verwüstung nahe gekommen ist. Dann sollen die in Judäa auf die Berge fliehen und die in seiner Mitte sind, daraus entweichen, und die auf dem Land sind, nicht dort hineingehen."
Lukas wußte also bereits um die Ereignisse, wie Jerusalem von mehreren römischen Legionen belagert und eingenommen wurde, wobei viele in der Stadt befindliche Menschen den Tod gefunden hatten. Lukas schrieb also nach 70. Aber abgesehen von Lukas sagt die Endzeitrede nichts über eine Zerstörung. Vielmehr redet die Endzeitrede davon, daß im Tempel ein Götzenbild aufgestellt wird - der Greuel der Verwüstung, wie er bei Daniel und in Makkabäer genannt wird - was wie wir ja wissen, im Zusammenhang des Jüdischen Krieges nicht erfolgt ist. Die Endzeitrede hat also keinen Bezug zum jüdischen Krieg. Wurde aber spätestens von Lukas darauf bezogen. Und ausgerechnet die Passage, die nun nicht mehr paßt (wurde ja kein Greuel der Verwüstung an verbotener Stelle (Tempel) aufgestellt), hat Lukas dann auch abgeändert.
Nun gibt es auch für die Endzeitrede einen erzählerischen Rahmen. Und innerhalb dieser um die Endzeitrede gesetzten Kurzerzählung findet sich ein weiteres Jesuswort, nämlich "Es wird nicht ein Stein auf dem anderen gelassen werden, der nicht abgebrochen werden wird." Für sich genommen betrachtet könnte das ein Wort sein, mit dem Jesus die totale Zerstörung von allem am "Tag des HERRN" zusammenfaßt. Und auch dieses Wort hat wieder einen kurzen erzählerischen Rahmen zur Erklärung erhalten. Die Jünger bestaunen die großen festgefügten Steine des Tempels, worauf Jesus seinen Satz entgegenhält. Ab der Ebene der erzählerischen Rahmung des kurzen Jesuswortes ist damit eindeutig die/eine Tempelzerstörung gemeint.
Indem diese Kurzerzählung mit Jesuswort der Endzeitrede voransteht, wird die Tempelzerstörung mit der Endzeitrede in Zusammenhang gebracht.
Könnte es nicht eine von Anfang an zusammengehörige Überlieferung sein, die kurze Tempelzerstörung und die lange Endzeitrede? Nein, kann es nicht, und das kann man auch gut erkennen. Denn nachdem Jesus das mit dem "kein Stein aufm anderen" gesagt hatte, geht es in allen drei Evangelien wie folgt weiter:
Mk13,3-4: "Und als er auf dem Ölberg dem Tempel gegenübersass, fragten ihn Petrus und Jakobus und Johannes und Andreas für sich allein: Sage uns, wann wird das sein, und was ist das Zeichen, wann dies alles vollendet werden soll?"
Mt24,3: "Als er aber auf dem Ölberg sass, traten seine Jünger für sich allein zu ihm und sprachen: Sage uns, wann wird das sein, und was ist das Zeichen deiner Ankunft und der Vollendung des Zeitalters?"
Lk21,7: "Sie fragten ihn aber und sagten: Lehrer, wann wird denn dies sein, und was ist das Zeichen, wann dies geschehen soll?"
Das ist der erzählerische Rahmen für die Endzeitrede. Allerdings ist er nicht vollständig, denn die Jünger setzen etwas voraus, das zuvor angesprochen worden sein muß, und das sie "das"/"dies alles" nennen. Das paßt überhaupt nicht zu einem angekündigten singulären Ereignis einer Tempelzerstörung.
Ganz offensichtlich: von der ursprünglichen erzählerischen Einleitung der Endzeitrede wurde ein Stück weggenommen und durch das Tempelzerstörungswort ersetzt.
Das aber kann erst zur Zeit des Jüdischen Krieges erfolgt sein, während der Spätphase oder kurz danach.
Und damit ist auch das Markusevangelium erst kurz vor oder kurz nach 70 n.Chr. entstanden. Und Matthäus und Lukas, die beide auf dem Markusevangelium aufbauen, sind dann nochmals später.
Bei Matthäus finden sich noch zwei weitere Belege für die Kenntnis der Zerstörung Jerusalems im Jahr 70.
Unter den Gleichnissen, Vergleichen, Bildreden und Allegorien in den synoptischen Evangelien gibt es einige, die von Schuld und Strafe sprechen. Da wird einem Knecht, dem etwas anvertraut wurde, dies aber nicht vermehrt hat, dieses weggenommen. Ein anderer Mensch wird, weil er unwürdig ist, von einer Hochzeit wieder ausgeladen. Andere werden gefesselt, geschlagen odgl. Aber in einem Gleichnis, das sich so bei allen drei Synoptikern findet, werden die "Bösen" sogar getötet. Das ist sehr drastisch und für die Gleichnisse insgesamt ungewöhnlich. Es handelt sich um das Gleichnis von den bösen Weingärtnern / Pächtern Mk12,1-9 parr. Mt21,33-41 und Lk20,9-16. Ein Weinbergsbesitzer übergibt seinen Weinberg an Weingärtner. Später schickt er mehrmals Knechte, die den ihm zustehenden Anteil an der Ernte einfordern sollen, doch werden diese geschlagen. Schließlich schickt er seinen eigenen Sohn, der aber von den Weingärtnern getötet wird.
Der Weinberg ist ein Bild und Symbol auch im Alten Israel für das Land Israel bzw. für den Frieden Israels im Land, wobei stets betont wird, daß das Land Gott gehört und dieser das Land Israel anvertraut hat. Genau dies wird hier deutlich aufgegriffen. Entsprechend ist deutlich, daß es hier um den Tod Jesu Christi geht, den Sohn Gottes, des "Weinbergsbesitzers". Knecht ist im AT nebenbei auch eine wiederkehrende Bezeichnung für die Propheten im alten Israel, "seine Knechte, die Propheten". Und an anderen Stellen der Evangelien wird eine damals durchaus verbreitete jüdische Vorstellung erwähnt, daß das vormalige Israel nicht auf die Propheten hörte, sie sogar mißhandelte und tötete. Hier wird die Tötung um der Aussage willen auf "den Sohn" konzentriert. Wir haben hier also eine Allegorie über das Verhalten Israels gegen Gott, gegen das von ihm Anvertraute, und gegen alle von Gott Gesandten, über Jahrhunderte hinweg bis hin zu Jesus, "dem Sohn".
In allen drei Evangelien endet das Gleichnis wie folgt:
Mt21,40-41: "Wenn nun der Herr des Weinbergs kommt, was wird er jenen Weingärtnern tun? Sie sagen zu ihm: Er wird jene Übeltäter übel umbringen, und den Weinberg wird er an andere Weingärtner verpachten, die ihm die Früchte abgeben werden zu ihrer Zeit."
Mk12,9: "Was wird der Herr des Weinbergs tun? Er wird kommen und die Weingärtner umbringen und den Weinberg anderen geben."
Lk20,15b-16a: "Was wird nun der Herr des Weinbergs ihnen tun? Er wird kommen und diese Weingärtner umbringen und den Weinberg anderen geben."
Der letzte Teil spricht also von der Tötung der bösen Weingärtner. Allerdings wird dies nicht als Teil der Erzählung wiedergegeben, sondern als nachgereichte Frage und Antwort. Bei Markus und Lukas erzählt Jesus dieses Gleichnis den Hohepriestern, Schriftgelehrten und Ältesten (Lk20,1; Mk11,27), stellt ihnen am Ende diese Frage, beantwortet sie dann aber selbst. Bei Matthäus fragt Jesus, und die Angesprochenen geben die Antwort: die Hohepriester und Ältesten (21,23) bzw. die Hohepriester und Pharisäer (21,45).
Die Frage und die Antwort scheinen nicht zum ursprünglichen Gleichnis gehört zu haben. Dafür spricht auch, daß dieses Logion auch im Thomasevangelium vorkommt, Logion Nr. 65:
"Er sprach: Ein rechtschaffener [χρηστός] Mann hatte einen Weinberg. Er gab ihn Winzern, damit sie in ihn bearbeiteten und er die Frucht von ihnen erhielte. Er schickte seinen Diener, damit die Winzer ihm die Frucht des Weinbergs gäben. Sie ergriffen seinen Diener, schlugen ihn und hätten ihn fast erschlagen. Der Diener ging und sagte es seinem Herrn. Sein Herr sprach: Vielleicht hat er sie nicht erkannt. Er schickte einen anderen Diener und die Winzer schlugen auch diesen. Dann schickte der Herr seinen Sohn. Er sprach: Vielleicht werden sie Achtung haben vor meinem Sohn. Die Winzer, da sie erfuhren, daß er der Erbe des Weinbergs war, packten ihn und töteten ihn. Wer Ohren hat, möge hören."
Auch wenn das Vokabular deutlich abweicht, so doch nicht die erzählerischen Details; die stimmen bis hin zur Überlegung, daß die Winzer mit dem Sohn anders verfahren würden.
Auch dies zeigt, daß das Element der Tötung der Sohnesmörder nicht zur ursprünglichen Allegorie gehört. Sie ist also sekundär hinzugekommen, durch Markus selbst oder zuvor in dem Überlieferungsstrang, der zu ihm führte.
War das Gleichnis ursprünglich eine Allegorie auf den Umgang des verstockten Israel mit seinen Propheten, christlich erweitert auf Jesus, so wurde durch die synoptisch belegte Erweiterung die jüdische Katastrophe des jüdischen Krieges als göttliches Strafhandeln gedeutet. Auch dieses Gleichnis datiert die synoptischen Evangelien somit auf frühestens 70 n.Chr.
Der selbe Zusammenhang zwischen Verstocktheit Israels gegenüber den Propheten (und Jesus) und dem Schicksal der Verstockten wie im Gleichnis der Synoptiker findet sich auch in Matthäus23,37-38, diesmal bezogen auf das Schicksal des Tempels:
"Jerusalem, Jerusalem, die da tötet die Propheten und steinigt, die zu ihr gesandt sind! Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne ihre Küken versammelt unter ihre Flügel, und ihr habt nicht gewollt! Siehe, euer Haus wird euch öde gelassen".
Noch ein Gleichnis läßt die Bezugnahme auf den Jüdischen Krieg erkennen. Ein Gleichnis, welches sich nur bei Matthäus und Lukas findet, also aus der Logienquelle Q stammen dürfte. Hier zunächst der Lukastext, der noch nicht auffällig ist.
Lk14,16-24: "Er aber sprach zu ihm: Ein Mensch machte ein grosses Abendmahl und lud viele. Und er sandte seinen Knecht zur Stunde des Abendmahls, um den Geladenen zu sagen: Kommt, denn schon ist alles bereit. Und sie fingen alle ohne Ausnahme an, sich zu entschuldigen. Der erste sprach zu ihm: Ich habe einen Acker gekauft und muss notwendig ausgehen und ihn besehen; ich bitte dich, halte mich für entschuldigt. Und ein anderer sprach: Ich habe fünf Joch Ochsen gekauft, und ich gehe hin, sie zu erproben; ich bitte dich, halte mich für entschuldigt. Und ein anderer sprach: Ich habe eine Frau geheiratet, und darum kann ich nicht kommen. Und der Knecht kam herbei und berichtete dies seinem Herrn. Da wurde der Hausherr zornig und sprach zu seinem Knecht: Geh eilends hinaus auf die Strassen und Gassen der Stadt und bringe die Armen und Krüppel und Lahmen und Blinden hier herein. Und der Knecht sprach: Herr, es ist geschehen, wie du befohlen hast, und es ist noch Raum. Und der Herr sprach zu dem Knecht: Geh hinaus auf die Wege und Zäune und nötige [sie] hereinzukommen, dass mein Haus voll werde; denn ich sage euch, dass nicht einer jener Männer, die geladen waren, mein Abendmahl schmecken wird."
Matthäus hat dies Gleichnis in Erweiterung:
Mt22,1-10: "Und Jesus begann und redete wieder in Gleichnissen zu ihnen und sprach: Mit dem Reich der Himmel ist es wie mit einem König, der seinem Sohn Hochzeit machte. Und er sandte seine Knechte aus, um die Geladenen zur Hochzeit zu rufen; und sie wollten nicht kommen. Wiederum sandte er andere Knechte aus und sprach: Sagt den Geladenen: Siehe, mein Mahl habe ich bereitet, meine Ochsen und mein Mastvieh sind geschlachtet, und alles ist bereit. Kommt zur Hochzeit! Sie aber achteten es nicht und gingen hin, der eine auf seinen Acker, der andere an seinen Handel. Die übrigen aber ergriffen seine Knechte, misshandelten und töteten sie. Der König aber wurde zornig und sandte seine Truppen aus, brachte jene Mörder um und steckte ihre Stadt in Brand. Dann sagt er zu seinen Knechten: Die Hochzeit ist zwar bereit, aber die Geladenen waren nicht würdig; so geht nun hin auf die Kreuzwege der Landstrassen, und so viele immer ihr finden werdet, ladet zur Hochzeit. Und jene Knechte gingen aus auf die Landstrassen und brachten alle zusammen, so viele sie fanden, Böse wie Gute. Und der Hochzeitssaal wurde voll von Gästen."
Das Brandschatzen einer Stadt taucht total unvermittelt im Gleichnis auf und paßt nicht mal recht (weil später andere zur Hochzeit geladen werden sollen, die unschuldigen unter den Städtern aber keine Gelegenheit erhalten). Als Anspielung auf das zerstörte Jerusalem hingegen paßts.
Bezeichnenderweise wird in den beiden Gleichnissen die Zerstörung Jerusalems etc. nicht als "Teil der Endzeit" gedeutet, sondern als Strafe für die Tötung Christi. Im zweiten Gleichnis wird die "Heidenmission" auch ausdrücklich in die Zeit nach der Zerstörung Jerusalems gelegt. Dies ist also deutlich längere Zeit nach dem Untergang Jerusalems, nach 70 n.Chr. entstanden, als man erkannte, daß die Tempelzerstörung nicht zu den unmittelbaren Endzeitereignissen gehören konnte. Das Matthäusevangelium wird auch gemeinhin eher um 80 n.Chr. verortet.