@allInteressant, es geht in den letzten Beiträgen um den Schrift-Interpretations-Unterschied zwischen Judentum und Christentum.
Gibt es einen Unterschied oder ist da kein Unterschied?
Zusammengefasst:
Gerlind schrieb:«70 Gesichter hat die Torah», so lautet ein altes Sprichwort der Rabbinen. Und es verdeutlicht einen Zug der jüdischen Bibelauslegung,...
Bibel zu lesen, Worte auszulegen, ist nicht wie eine physikalische Formel zu bestimmen.
Die Wahrheit der Bibel liegt möglicherweise in einer kommunikativen Differenz und nicht in einer monologischen Identität. Mir ist eine Art "jüdischen Auslegen", wie hier beschrieben, näher und fehlt mir manchmal in Threads.
perttivalkonen schrieb:Ach, das ist nicht wirklich ne andere Einstellung. Wie es das auch im Christentum gibt, gibt es auch im Judentum die Vorstellung von den verschiedenen Auslegungsebenen der Bibel. Im Christentum sprach man vom "Vierfachen Schriftsinn". Damit sind nicht vier Auslegungen (statt 70) gemeint, sondern vier Ebenen.
Gerlind schrieb:Und man kann verschiedene Auslegungen im selben Raum als solche stehen lassen oder sie als falsch oder richtig behaupten wollen.
perttivalkonen schrieb:Ist trotzdem kein Unterschied zwischen jüdisch und christlich.
Gerlind schrieb:Ja. Mag sein. Es ist aber ein Unterschied, eine Differenz.
Ich will mal versuchen, diesen Unterschied, der in den letzten Beiträgen nicht wirklich dargelegt wurde, in Bezug auf den Bibeltext anzusprechen.
Es ist wohl grundlegend so, dass das Judentum aus den jüdischen Schriften heraus
keine Missionierung kennt, während es im Christentum ein zentral verankertes Verhalten zu sein scheint.
Ein Christ hat über den Bibeltext die Auflage/Anweisung/Befehl die "neue Botschaft" in "alle Welt" zu tragen. Ist nicht weiter erstaunlich, denn das "letzte Gericht des Lammes" soll wohl überhaupt erst starten können, wenn alle die Möglichkeit zur Entscheidung ("pro Jesus, contra Jesus") hatten.
Bei den Christen geht es letztlich um das "Kommen des Gottes-Reiches" mit dem Herren/König "Christus/Messias".
Das steckt zwar auch im Judentum irgendwie drin, aber
nicht in der unmittelbaren Betonung, wie im Christentum.
Im Durchschnitt wird das Christentum damit eher ein "national" (Gottes-Reich) ausgerichtetes Verhalten zeigen, als das Judentum.
National denkende Menschen tragen immer eine "Reinheitsidee" mit sich herum.
Im Christentum gibt es einen grundlegenden Eifer in Richtung "Gottes-Reich" und das wird sich auf die Interpretations-Toleranz niederschlagen.
Ein Nebeneinander von Ansichten wird es nur solange geben, wie sich keine der Richtungen über Machtausübung durchsetzen kann.
Über die Missionierung enthält das Christentum die fundamentale Idee, dass Menschen "die richtigen Erkenntnisse" aufstellen und verteilen müssen.
Ich sehe dies als zelotisches Erbe an, denn über den Eifer rund um das "Erreichen des Gottes-Reiches" ist es zur Idee der "Missionierung" gekommen.
Damals wurde dies mit Gewalt durchgesetzt, aber auch die späteren "Jesus"-Christen zeichneten sich gerade in der Missionierung ("Christianisierung") durch Gewalteinsatz (Macht, Druck und/oder direkte Brutalität) aus.
Es ist also vollkommen egal, ob man offen auf Gewalt setzt oder einen Friedens-/Liebes-Anspruch aufstellt.
Die Idee einer hohen christlichen Toleranz gegenüber verschiedenen Ansichten, ist nett, aber der Inhalt der Bibel wird dies verhindern, sobald eine christliche Organisation zu Machtvorteilen kommt oder ein Christ die "absolute Wahrheit" in seinen Ideen zu erkennen glaubt.
Bereits in der symbolischen Ausdrucksweise "Alter Bund"/"Neuer Bund", "es steht geschrieben, ich aber sage euch" und "zerrissener Vorhang" ist ausgedrückt, dass man den Anspruch einer "besseren Stellung" (als das Judentum) erhebt. Damit
muss ein Christ letztlich immer einen "abzulehnenden" Unterschied zum Judentum finden.
Ein gleichberechtigtes Nebeneinander wird wohl nur bei Schwäche der Organisationen möglich sein - da hilft auch keine Friedens- und Liebes-Glasur.