Karakachanka schrieb:meiner Sicht sind es Ängste. Gegen die helfen kollektive Beleidigungen von ner Rotte selbsternannter AfD-Hasser nicht, die sich auf jeden stürzen der versucht zu erklären, warum die Partei im Moment für ihn protestwählbar ist.
Ich habe mich daraufhin - als Faschisten bezeichnet, weil Verständnis für Protestwähler - sehr schnell zurück gezogen. Ich muss nicht mit Leuten diskutieren, die einfach nur alle AfD-Wähler als Nazis ansehen und sich keine Gedanken darüber machen, wie es zu solchen Wahlergebnissen kommen kann und wie man diese Menschen wieder abholen kann.
Was die Parteien dafür machen müssen, damit sich diese Wähler wieder von ihnen verstanden und vertreten fühlen.
Die Ironie ist - ich war selbst mal zeitweise AfD-Wähler. Gut, das war Mitte der 2010er, wo die Partei gefühlt eine ganz andere war, eher ein Mix aus FDP und CDU/CSU oder so was. Euro-Skeptisch, wirtschaftsliberal, etc. Gab damals schon rechte Spinner darin bzw. zog 'Alternative' an usw. Machen wir uns nichts vor. Galt damals schon als höchst skeptisch oder quasi-Nazi (aber nicht so wie NPD, aber bestimmt kurz davor) für Leute aus einem Umfeld jenseits von Mitte-Links.
Aber man muss verstehen warum es zumindest damals auch für diverse Leute auf einmal wählbar war. Auch wenn die Partei damals im Schnitt noch eher eine andere war (diesen zeitlichen und personellen Kontext muss man in der Bewertung irgendwo bedenken) macht(e) man es sich zumindest damals einfach alles über einen Kamm zu scheren. Heute als AfD-Kritiker sehe ich das auch anders, weil die Partei einen krassen Rechtsruck hatte.
Dennoch ist mein Punkt: Damals war das für Hinz und Kunz auf einmal im wahrsten Sinne eine Wahlalternative für bzw. in Deutschland. Aus diversen Gründen. Ich saß mit jungen Leuten die man einer relativen Mitte zuordnen konnte, mit denen ich ausgebildet wurde, am Mittagstisch und es gab auch mal Politik-Talk. Da fielen Sätze wie "Boah ich hab so was von keinen Bock mehr, ich wähl definitiv AfD" und breites Nicken in der Runde. 2015 rum wohlgemerkt. Aus diversen Gründen. Frust auf manche Entwicklungen. Stagnierungsempfinden. Empfinden von Linksextremismus als anhaltendes Problem. Waren die Leute mit denen ich am Tisch saß Nazis, Ausländerhasser, Erzkatholiken? Hinterwäldler ohne große politische Vorbildung? Ne, wenn auch manche im Schnitt konservativer eingestellt waren, irgendwie nicht. Teil hatte selbst Migrationshintergrund, aber zu dem Zeitpunkt war die CDU wohl auch nicht mehr zwingend eine Wahl für manche.
Ich wills betonen: Wir saßen da nicht als Hardcore-Rechte am Tisch sondern als eher als gefrustete Leute einer relativen Mitte am Tisch und haben diese Partei damals zumindest als regelrechte Alternative betrachtet weil das Vertrauen in andere Parteien halt zu dem Zeitpunkt fehlte. Weil gewisse Ängste dominierten und man adäquate oder zeitnahe Lösungen nicht mehr den anderen Parteien zutraute. Ich glaube, es war im Kern auch damals ne Art Protestverhalten. Alternativ wählen um Weckruf in Politik zu bringen.
Zu unserer (aus heutiger Sicht) "Ehrenrettung": Als die Partei immer radikaler und extemer wurde haben de-facto alle Leute mit denen ich am Tisch saß inklusive mir selbst die Meinung geändert und die Partei kritisch gesehen. Das unterstreicht, dass wir keine bösen Nazis usw. waren sondern halt einfach mit diversen Entwicklungen unzufrieden und die AfD war dann halt als dann noch relativ neue Partei eine Art Option oder Lösungsmöglichkeit, auch wenn es nur eine Art Protest(wahl)verhalten war.
Was ich, auch wenn ich nun ein relativ großer Kritiker der Partei bin, sagen will, ist hiermit:
Der Punkt ist, auch wenn die Partei heute maßgeblich anders ist, an dem Punkt an dem meine Kollegen und ich waren, an dem sind heute dennoch viele andere Leute die nicht zwingend im Kern ultra-rechts, ultra-konservativ sind. Ja, sie mögen am Ende "Enabler" aller weiteren extremen Elemente der Partei sein, aber irgendwas bewegt sie halt die AfD zu wählen oder anzupreisen. Ich sah die letzten Jahre immer wieder vor allem einen von Angst oder Unzufriedenheit geprägten Duktus bei pro-AfD Aussagen, primär von Leuten die augenscheinlich keine Mitglieder aber Wähler waren.
Während sicherlich harte Rechtsradikale und Nazis so oder so sich dahin orientierten und vorhanden sind ist mein Rat nach viel Reflektion, dass man als restliche Parteienlandschaft probieren sollte weiter zu analysieren (tat/tut man hoffentlich schon vorher) was Leute die AfD wählen ZUM TEIL bewegt und diese Sorgen, Ängste und Nöte aufzugreifen und besser in der eigenen Politik aufzugreifen bzw. auch besser zu kommunizieren an sein Wahlklientel bzw. seine Bürgerinnen und Bürger, da wo man in Regierungsverantwortung sein mag, ob kommunal oder höher.
Genau so was wird nämlich abstrakt und auf Dauer, gerade bei jenen die noch nicht 'für immer verloren' (weil radikalisiert ohne Weg/Wille zurück) sind, wieder auf kurze wie längere Sicht Vertrauen aufbauen, Leute präventiv von populistischen Parteien eher fernhalten und eine AfD oder vergleichbare Parteien einhegen oder eindämmen, statt stärken.
Es ist sogar eine 'fast' einfache Rechnung: Man müsste gerade die Reizthemen (wo dienlich und sinnvoll) mit der sich die AfD im Kern profiliert besser aufgreifen und auch kommunikativ bearbeiten, für viele Leute die ggf. keine so ausgeprägte politische Bildung oder Sachverstand über gewisse Themen haben erklärbar machen. Dann gibts sogar einen besseren informativen Effekt.
Es ist doch schon historisch bewiesen: Immer da wo größere Sorgen und Nöte, sei es wirtschaftlich, politisch, sozial, anderweitig vorherrschten und wo sich abstrakte Ängste ausbreiten, da ist der Nährboden für Populismus auch immer stärker. Wir sollten versuchen, als Gesellschaft mehr das Thema nachhaltiger anzugehen. Auch als Ottonormal.
Ich will hier niemandem auch den verbalen Frust über die AfD und so weiter nehmen aber wir sollten in der direkten Kommunikation mit jenen zumindest doch stärker überlegen, wie wir mit ihnen kommunizieren wollen. Statt manchmal pure Beschimpfungstiraden abzusondern ist es manchmal besser, tief Luft zu holen, kurz innezuhalten und einen ggf. etwas konstruktiveren Ansatz und Wortschatz zu wählen, der auf Dauer gerade Protestwählern usw. immer eine Art "Weg zurück" offeriert statt den Keil eher weiter reinzutreiben.
Karakachanka schrieb:Ich mag deine Texte, deinen Diskussionsstil und deine Ausdrucksweise.
Danke
:D