Ich habe oft den Eindruck, die AfD ist die Partei des "Ich wünsch mir was".
Es wundert mich, dass sich in der deutschen Gesellschaft plötzlich über 20 % für eine harte neoliberale Politik aussprechen.
Ich kann mich daran erinnern, dass die FDP (die auch neoliberal ist, aber nicht so stark ausgeprägt wie die AfD) jemals mehr als 14,6 % für sich gewinnen konnte. Auch die Ausrichtung der CDU unter Merkel mehr in die Mitte (und eine gewisse Vorliebe für die GroKo), spricht dagegen.
Es würde mich wundern, wenn sich so viele Bürger für einen wenig stufigen Einkommenssteuertarif aussprechen, das besonders die höheren Einkommen bevorteilt (Grundsatzprogramm 11.1). Es wird Kirchhof erwähnt
Das Steuerreformkonzept des ehemaligen Verfassungsrichters Kirchhoff ist ein gutes Beispiel für eine große Reform. In Orientierung daran könnten, bei Konzentration auf die beiden großen Steuerarten (Umsatzsteuer und Einkommenssteuer), die Grundsteuer, die Gewerbesteuer und etliche, nach ihrem Aufkommen betrachtet, weitere kleinere Verbrauchsteuern auf Bundesebene ersatzlos entfallen.
Quelle: Wahlprogramm 2021, Seite 34
auf das sich das von der AfD angestrebte Modell offenbar bezieht:
Das von Paul Kirchhof im Jahr 2003 vorgestellte Modell mit einer Anpassung im Jahr 2011 sieht vor, die heutige progressive Besteuerung von Einkommen zugunsten eines Stufenmodells mit 15, 20 und 25 Prozent Besteuerung abzuschaffen. Einkommen bis 10.000 Euro bleiben dabei steuerfrei, für Kinder soll ein Freibetrag von 8000 pro Kind gelten. Die Einkommen zwischen 10.001 und 20.000 sollen laut Kirchhof in einem Stufentarif mit 15-20 Prozent besteuert werden. Für alle Einkommen darüber soll ein Spitzensteuersatz von 25 Prozent gelten – egal ob es sich um ein Einkommen von 20.001 Euro oder einer Million handelt. Gleichzeitig sollen zahlreiche Steuervergünstigungen komplett gestrichen werden.
Kirchhofs Modell sieht außerdem vor, dass der maximale Steuersatz von 25 Prozent auch für Unternehmensgewinne und Kapitalerträge gelten soll. Die bisherige Körperschaftssteuer und Gewerbesteuer würde damit abgeschafft werden und Betriebe würden dann wie Arbeitnehmer je nach Einkommen besteuert.
Oder sie auch der Meinung sind, dass die individuelle häusliche Pflege “zu einem Hauptbestandteil der sozialen Sicherungssysteme werden” (Grundsatzprogramm 5.4.4) muss und somit die Verantwortung stärker auf die Familien zu übertragen und die staatliche Unterstützung aufzulösen.
Und ich glaube, viele Unternehmer hätten auch etwas gegen den Plan einer „rechtsformneutralen Besteuerung“:
Die AfD strebt eine rechtsformneutrale Besteuerung an. Damit entfallen rein steuerliche Motive für komplexe gesellschaftsrechtliche Strukturen mit zusätzlichem Arbeitsaufwand bei Unternehmen und Behörden. Gewinne aus unternehmerischen Tätigkeiten bei den Gesellschaftern und Einzelunternehmern müssen rechtsformunabhängig über alle Ebenen einer identischen Ertragsteuerbelastung unterliegen.
Quelle: Grundsatzprogramm 1.2.
Denn eine "rechtsformneutrale Besteuerung" bedeutet, dass die Besteuerung unabhängig von der Rechtsform eines Unternehmens erfolgt. Dies würde bedeuten, dass unabhängig davon, ob ein Unternehmen beispielsweise als Einzelunternehmen oder als Gesellschaft organisiert ist, die Ertragsteuerbelastung auf Unternehmensebene gleich ist.
Auch die aktuellen Bauernproteste sprechen dagegen, ich glaube nicht, dass diese in der Tat den Vorstellungen der AfD folgen, die sich ja ganz klar gegen Subventionen, für mehr Markt und somit weniger „Einmischung“ des Staates aussprechen:
Wir lehnen es ab, dass sich die Bundesregierung zunehmend als Unternehmer versteht und betätigt. Sie nimmt direkten Einfluss auf Unternehmen und Innovationen und versucht die Wirtschaft durch Vorgaben und Subventionen zu steuern. Diese Art von Staatswirtschaft
führt regelmäßig in den wirtschaftlichen Niedergang.
Quelle: Wahlprogramm 2021; Seite 46
Die Bauern rufen gerade nach dem genauen Gegenteil. Sie rufen nach staatlicher Unterstützung.
In der AfD gibt es durchaus auch Bestrebungen, die gesetzliche Arbeitlosenversicherung (und auch die Unfallversicherung) zu privatisieren:
Wir wollen das Arbeitslosengeld I privatisieren. Arbeitnehmern steht dann der Weg offen, mit eigenen und individuell maßgeschneiderten Lösungen für den Fall der Arbeitslosigkeit vorzusorgen. Dabei können private Versicherungsangebote ebenso eine Rolle
spielen wie die Familie oder der Verzicht auf Absicherung zugunsten des schnelleren Aufbaus von Ersparnissen.
Quelle: Entwurf Leitantrag der Programmkommission für das Grundsatzprogramm der Alternative für Deutschland
Ich bezweifle, dass so viele wirklich einen Staat wollen, der sich quasi aus der gesellschaftlichen Verantwortung herauszieht und sich nur noch auf Kernpunkte konzentriert:
Der Staat ist für den Bürger da, nicht der Bürger für den Staat. Nur ein schlanker Staat kann daher ein guter Staat sein. Erforderlich ist ein vom Staat garantierter Ordnungsrahmen, in dem sich die Bürger frei entfalten können.
Die ständige, vielfach ideologiegetriebene Expansion der Staatsaufgaben stößt an finanzielle und faktische Grenzen.
Sie bedroht inzwischen den Kerngehalt der elementaren Freiheitsrechte der Bürger. Der Staat hat sich verzettelt. Es bedarf neuer Konzentration auf die vier klassischen Gebiete: Innere und äußere Sicherheit, Justiz, Auswärtige Beziehungen und Finanzverwaltung.
Aufgaben jenseits dieser vier Kerngebiete bedürfen besonderer Rechtfertigung. Wir wollen prüfen, inwieweit vorhandene staatliche Einrichtungen durch private oder andere Organisationsformen ersetzt werden können. Die gewaltige demografische Problemlage, die uns in Deutschland bevorsteht, wird uns zu einem veränderten Staatsverständnis zwingen.
[...]
Quelle: Grundsatzprogramm 1.2
Das entspricht einfach nicht dem bisherigen Wahlverhalten, denn eigentlich gab es ein, wenn auch abgeschwächteres, neoliberales Angebot schon die ganze Zeit.
Und bei der FDP stellt irgendwie keiner in Frage, wer von ihren Vorschlägen am deutlichsten Profitieren würde und wie sozial diese ist.
Wollen über 20 % der Menschen in Deutschland wirklich eine harte neoliberale Politik, die drastische Einschnitte (besonders in der Sozialpolitik) fordert?