SvenLE schrieb am 26.08.2021:Ich hab ein interessantes Interview mit Prof. Dr. Rieck entdeckt. Der erklärt genau das soziale Dilemma bzw. Spieltheorie, in der sich viele Menschen befinden. Der Teile beginnt ab 02:24 min:
Klimawandel | CO2 reduzieren | Grüne Technologien | mit Prof. Dr. Rieck
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Der Typ wird mir immer unsympathischer. Er kennt sich mit diesem Thema Null aus und wiederholt nichts als alte längst widerlegte Argumente oder verdreht Zusammenhänge bis zur Unkenntlichkeit und faselt irgendwas debiles von "Anreizen" und "Marktmechanismen"...
Richtig trashig.
Also der internationale Währungsfonds hat mal die Summe der global gezahlten Subventionen für fossile Brennstoffe berechnet und kam auf 4.7 Billionen (deutsche Billionen, also 4700 Milliarden) Dollar. Das sind 6.3% des globalen BIPs.
https://www.imf.org/en/Publications/WP/Issues/2019/05/02/Global-Fossil-Fuel-Subsidies-Remain-Large-An-Update-Based-on-Country-Level-Estimates-46509Das hab ich hier ja schon gefühlt 1000 mal erzählt, weil es eben so ein zentrales Problem ist.
Aktuell gibt die Menschheit also 6.3% des gesamten in einem Jahr global produzierten Wertes dafür aus Technologien am Leben zu halten die nicht mehr wettbewerbsfähig sind und unsere Lebensgrundlage zerstören. Rational Choice?
Ich denke bevor wir über "Anreize" und "Marktmechanismen" reden, sollte erstmal diese groteske Marktverzerrung beseitigt werden.
Man stelle sich vor dieses Geld flösse in nachhaltige Technologien und Infrastruktur...
Schön, dass das Gefangenendilemma der internationalen Politik angesprochen wird, aber im konkreten Fall ist das bisher nicht wirklich unser Problem gewesen.
Stattdessen werden wir aktuell Opfer einer bestimmten Art und Weise der Pfadabhängigkeit und der Korruption.
Die Pfadabhängigkeiten sind offensichtlich. 150 Jahre lang haben wir unsere Gesellschaften mit und um fossile Technologien herum gebaut. Infrastruktur, Industrie, aber auch Kultur sind eng verzahnt und abhängig von fossilen Technologien. Daran festzuhalten und der notwendigen technologischen Transformation entgegen zu treten ist falsch aber nachvollziehbar, vor allem in Schwellenländern in denen fossile Brennstoffe noch die Basis der Wohlstandssteigerung darstellen. Das ist ein menschliches Problem, dass durch gute Politik und Zusammenarbeit überwunden werde kann. Siehe: Pariser Abkommen, das zuerst verbindliche Reduktionsziele im Einklang mit der Wissenschaft formulierte. Fehlt bisher nur die Umsetzung.
Die Korruption ist ein anderes Problem, nämlich ein systematisches. Und daran scheitert auch die Umsetzung.
Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut. Deswegen haben wir uns Dinge wie Volkssouveränität und Gewaltenteilung ausgedacht. Das sind alte Ideen, "vorkapitalistisch" könnte man fast sagen.
Nach dem 2. Weltkrieg wurden sie überdacht, eine Strömung von Denkern die den Liberalismus reformieren wollte sah was im 2. Weltkrieg passiert war, nämlich die Bündelung von politischer und wirtschaftlicher Macht im Faschismus und überlegt sich wie solch eine Bündelung künftig zu verhindern sei. Ihre Lösung: Gewaltenteilung über den Markt.
Indem der Markt als unabhängige, sich selbst regulierende Entität verstanden wird und politische Kontrolle und Einflussnahme weitestgehend vermieden wird, soll er als gewaltenteilendes Element fungieren, dass verhindert, dass sich zu viel Macht in zu wenigen Händen sammelt. Das war das Ideal des frühen Neoliberalismus. Diese Ideen brodelten seit den 1940er Jahren und hatten sich bis in die 1970er und 80er Jahre weiterentwickelt zu konkreten Wirtschaftstheorien. Milton Friedman, einer der bekanntesten Vertreter des Neoliberalismus brachte es oft sehr prägnant auf den Punkt: Steuersenkungen, Deregulierungen, Privatisierungen.
Je weiter sich der Staat zurück zieht und Souveränität an den Markt und seine Mechanismen abgibt, umso besser, laut Friedman.
Friedman wurde in den 80ern Wirtschaftsberater der US-Regierung unter Ronald Reagan, sowie der UK-Regierung unter Margarete Thatcher und setzte diese Ideen in Politik um. Und hier wird es interessant, vor allem mit Hinblick auf die ursprünglichen Anliegen des Neoliberalismus (pathologische Machtakkumulation verhindern). Die neoliberale Politik produzierte Wachstum, sie verbreitete sich global, sie entkoppelten Reallöhne vom Wirtschaftswachstum und sie begann langsam aber stetig zunehmen von unten nach oben umzuverteilen.
Die Machtakkumulation die man zu verhindern suchte holt man sich somit wieder ins Haus.
In westlichen Demokratien bedeutete die Ansammlung von großen Vermögen und wirtschaftlicher Macht, dass auch der politische Einfluss der Personen bzw. Konzerne stieg, was im Gegenzug bedeutete , dass sie anfingen ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen politisch durchzusetzen. Und das bedeutete eben Klimaschutz verhindern, Konkurrenz durch neue nachhaltige Technologien unterdrücken und den Wettbewerb zu ihren Gunsten verzerren.
4:12 Ja, aber wir halten an den alten Technologien fest, während die Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts von anderen Playern besetzt werden. Weil die Konzerne die mit diesen alten Technologien Geld verdienen zu viel Einfluss auf unsere politischen Entscheidungsträger haben.
4:19 Aktuell subventionieren wir fossilen Geschäftsmodelle exakt um solche Anreize zu verhindern und alternative Technologien zu unterdrücken. Wir preisen die Schäden, die fossile Geschäftsmodelle verursachen nicht ein und lassen Konzerne auf Basis ihrer Bilanzen Politik diktieren. Das ist genau das was die Lobbyisten der Konzerne wollen und man verkauft es den Wählern als "verantwortungsvolle Wirtschaftspolitik" mit "Maß und Mitte". Perfide Propaganda-Framings die in zukünftigen Abhandlungen zum Thema ganz schlecht davon kommen werden.
4:30 Die Kostendebatte ist aus vielen Gründen absurd. Hauptsächlich deswegen, weil dabei meistens die Kosten des Klimawandels ignoriert werden, was ein ziemlich zentrales Problem ist. Klimaschutz ist nicht teuer. Radikaler Klimaschutz ist auch nicht teuer. Es sind vielmehr die langfristig günstigsten Optionen die wir haben. Die wirtschaftlichen Schäden die ein 3-6°C wärmerer Planet verursachen würde sind nicht zu beziffern aber sie übersteigen jegliche Kosten des Klimaschutzes um ein vielfaches. Ein stabiles globales Ökosystem ist die notwendige Basis jeder erfolgreichen Gesellschaft und jedes erfolgreichen Wirtschaftssystems.
Das Ganze so darzustellen als wäre es der Klimaschutz der uns Kosten aufbürdet und Dinge abverlangt ist grundlegend falsch. Die wirklich exorbitanten Kosten und Bürden kommen durch den Klimawandel. Alles daran zu legen den Klimawandel so gering wie möglich zu halten ist vernünftige Fiskalpolitik mit Maß und Mitte.
Das was wir aktuell machen, der Eierkurs zum Klimaschutz, das ist radikal. Radikale Pflichtverweigung der Politik. Radikale Einflussnahme von Konzernen. Radikale Gleichgültigkeit im Lichte unserer Verantwortung gegenüber künftigen Generationen und radikale Ignoranz gegenüber der besten Wissenschaft die unsere Spezies je vorgebracht hat.
Abgesehen davon ist der Umkehrschluss das Klimaschutz und das einsparen von Co2 sich kurz- bis mittelfristig in nennenswerte Weise negativ auf die Lebensqualität auswirkt falsch. Lebensqualität mit fossilem Konsum gleichzusetzen ist klassischer Status Quo Bias.
6:00 Gut gesagt. Wenn die Marktkräfte in die falsche Richtung wirken (so wie aktuell) dann ist das ein extremes Problem. Diese Wirkung gilt es umzukehren.
Aber wie?
Ich denke in erster Linien müssen wir anfangen über das richtige Problem zu reden.
Hierzu eine Anekdote zum Begriff "Carbon Footprint" (Co2-Fußabdruck): Der Begriff stammt aus einer PR-Kampagne die der Ölkonzern BP 2004 in Auftrag gegeben hatte mit dem Ziel von der Verantwortung des Konzerns für den Klimawandel abzulenken und Klimaschutz als ein Problem der persönlichen Entscheidungen der Einzelnen zu framen.
https://www.piqd.de/klimawandel/der-co2-fussabdruck-ist-eine-erfindung-der-fossilindustrieDer Mensch verhält sich seinen Umständen entsprechend. In einer fossilen Gesellschaft nutzt er fossile Produkte und Dienstleistung, weil sie vorhanden sind. Das ändert man nicht indem man darauf hofft, dass sich jeder einzelne anders entscheidet (so kam es nie zu Veränderung) sondern indem man die Systeme, die die Grundlage dieser fossilen Gesellschaft sind ändert.
Das Umlegen der Verantwortung auf das Individuum ist was die großen verschmutzenden Konzerne wollen um von ihrer eigenen Verantwortung und Schuld abzulenken und somit so lange wie möglich effektiven Gesetzen und Regularien zu entgehen.
8:20 Diese Darstellung ist falsch. Deutschlands Emissionsanteil liegt bei 2%. Ein 2% Anteil bei fast 200 Nationen ist aber extrem viel. kumulativ betrachtet ist Deutschland sogar der 4. größte Verschmutzer der Welt.
Wenn man 200 Leute hat, die zu einem Problem beitragen und sich jeder damit rausredet, dass sein Beitrag ja nur ein paar Prozent sind, dann hat man ein intellektuelles Problem.
Eine andere Sache hier ist, dass Emissionen auf verschiedene Arten und Weisen berechnet werden. So gibt es produktionsbasierten sowie die konsumbasierten Emissionen und ganz verschiedene Arten der Allokation(die Frage auf wessen Emissionskonto welche Emissionen gehen).
Wird also ein Gut in China produziert aber in Deutschland konsumiert, landen diese Emissionen auf Chinas Rechnung oder auf Deutschlands? Je nach dem welche Daten man gerade ran zieht.
Die meisten westlichen Nationen haben die Produktion ihrer Konsumgüter längst in Niedriglohnländer outgesourced. Macht es da Sinn jetzt mit dem Finger auf die zu zeigen und sich über diese Emissionen aufzuregen, deren Zweck letztendlich unser Konsum ist?
8:38 "Wir müssen den anderen zeigen wie man im Überfluss leben kann, ohne, dass es schädlich ist"
Ähm, ob und wie das geht wissen wir doch selber nicht...
Diese Annahme, dass kontinuierliches Wachstum in einem physikalisch endlichen System (Erde) nachhaltig sein kann halte ich für sehr fragwürdig und es ist naiv sie an den Anfang jeglicher Überlegungen zum Klimaschutz zu stellen, nur weil unser bisheriges Wirtschaftssystem nicht ohne permanentes Wachstum funktioniert.
Das aktuelle System hat es geschafft uns in nicht einmal 150 Jahren an den Rand des Kollaps unseres globalen Ökosystems zu bringen. Und das obwohl nur ein winzig kleiner Teil der Menschheit exzessiv davon profitiert hat.
Es gibt heute fast 8 Milliarden Menschen auf dem Planeten, knapp eine Milliarde davon lebt im Luxus und selbst mit dem Verzicht der 7 Milliarden anderen Menschen ist das System weit davon entfernt nachhaltig zu sein.
Ein globales Wirtschaftssystem muss auch nachhaltig sein können, wenn all diese Menschen an diesem System teil haben und davon profitieren, ansonsten kodieren wir uns die Unterdrückung ja bereits ins System hinein.
Insofern macht es schon Sinn das die Kids heute sich nicht um Weltraumtourismus scheren sondern um konkrete Lebensbedingungen hier auf der Erde. Das ist Vernünftig. Das was der Prof. Dr. sagt ist nicht vernünftig.
13:00 Ich denke der westliche Kapitalismus des "freien Marktes" (in Anführungszeichen, da die bestehenden Machtstrukturen das Ideal vom freien Markt ad absurdum führen, wie man bspw. an den erwähnten Subventionen für fossile Brennstoffe erkennen kann) ist was den technologischen Fortschritt bezüglich nachhaltigen technologischen Lösungen angeht gerade im Begriff von China's zentralstaatlich gesteuerten Innovationstaktik abgehängt zu werden. Statt auf den Markt zu vertrauen hat sich China explizit das Ziel gesetzt Weltmarktführer in jeglichen Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts zu werden (das sind in erster Linien regenerative Technologien) und investiert entsprechend.
China geht es hier weniger um Klimaschutz als um die Macht, die es mit sich bringt wenn man Schlüsseltechnologien kontrolliert. So wie die Weltpolitik die letzten 150 Jahren maßgeblich von Abbau und Verarbeitung fossiler Energieträger beeinflusst wurde, erhofft sich China enorme Machtpositionen durch technologisches Leadership im Bereich regenerative Energien und Infrastruktur.
So wie der Prof. Dr. dogmatisch auf das naive Konzept eines "freien Marktes" zu bauen, der sich selbst reguliert und unvergleichliche Innovationskraft hat, wenn man ihn nur "lässt" (heißt: dereguliert, privatisiert, steuern senkt) halte ich der modernen Wirtschaftswissenschaft nicht mehr für würdig.
14:28 "Da sitzen also Bürokraten da und versuchen eine Wirtschaft zu lenken".
Ist doch jetzt auch nicht anders. Jetzt sind es eben Lobbyisten die lenken. Die Vorstellung, dass unsere aktuelle wirtschaftliche Entwicklung in irgendeiner Art und Weise unabhängig und "frei", "natürlich" bzw. "marktgesteuert" ist, was sich grundsätzlich von ökosozialistischen Ansätzen mit stärkerer staatlicher Einflussnahme und staatlichen Investitionen unterscheidet, statt ein kontingenter, durch unzählige legitime und illegitime Einflussfaktoren determinierter Prozess zu sein, ist absurd. Ich weiß nicht wo dieser Glaube in Teilen der Wirtschaftswissenschaft her kommt. Weder die Theorie noch die Empirie gibt ihn her.
Selbst Milton Friedman sprach sich in den 80ern für eine Co2-Steuer aus mit der eindeutigen und zutreffenden Begründung, dass ein solches langfristig wachsendes Problem wie Umweltverschmutzung nicht durch Marktmechanismen gelöst werden kann, die nichts anderes sind als die emergente Wirkung der kurzfristigen ökonomischen Rationalität von Konzernen. Liegt die negative Konsequenz des aktuellen Handelns, wie beim Klimawandel, zu weit in der Zukunft wird das ökonomische Handeln nicht rechtzeitig angepasst um diese negativen Konsequenzen zu verhindern.
Das war Friedman klar, aber seine Jünger einige Jahrzehnte später scheinen das nie verstanden zu haben.
17:25 Einer der Gründe für die Abholzung des Regenwalds ist, dass Deutschland in einem Handelsabkommen mit südamerikanischen Staaten eine Abnahmepflicht für Agrarprodukte unterschrieben hat im Gegenzug dazu, dass deutsche Autos dort zollfrei importiert und verkauft werden dürfen. Diese Abnahmepflicht sorgt für einen Teil der Nachfrage nach so Dingen wie Palmöl für die der Regenwald abgeholzt wird.
Zu einem gewissen Grad wird der Regenwald also abgeholzt, damit wir unsere Autos in Südamerika günstiger verkaufen können.
Auf diese Idee kamen natürlich keine Politiker oder der freie Markt, sondern Lobbyisten. Politiker setzten es dann für sie um. Denn was gut für "die Wirtschaft" ist ist ja bekanntlich gut für alle...
Ein zentrales Element guter Wissenschaft ist es kritisch zu sein. Die Art der Wirtschaftswissenschaft für die Leute, wie der Prof. Dr Rieck stehen ist alles anderes als kritisch - sie ist affirmativ. Sie bestätigt ein bestehendes System und richtet seine Methodik und Forschungsfragen entsprechend aus. Eine Sozialwissenschaft die sich ihrer Kontingenz nicht bewusst ist und vor lauter Operationalisierung die normativen Werte hinter den Zahlen aus den Augen verloren hat und sich in seiner intellektuellen Verlorenheit an religiös anmutende Dogmen zu den Eigenschaften des Marktes klammert. Ein jämmerliches Wissenschaftsverständnis, ein Armutszeugnis für die Disziplin. Dieses mangelhafte Wissenschaftsverständnis, gepaart mit einer, der Jugend des Feldes geschuldeten Arroganz und extremen nähe zu politischer Macht ist eine gefährliche Mischung.