Jamegumb schrieb:Frau.N.Zimmer schrieb:
Da werden auch noch die wildesten Horrorgeschichten erfunden
Die müssen nicht erst erfunden werden, die gibt es leider wirklich.
Es geht ja um das Für und Wider und es gibt eben auch Argumente, die gegen eine Organspende sprechen. Und das wird hier diskutiert.
Wenn jeder, der sich gegen die Organspende entscheidet, seine Erfahrungen und Ansichten nicht kundtun darf, kann man den Thread auch schließen, oder die Leute, die es für eine grandiose Sache halten, können sich fortan unwidersprochen gegenseitig auf die Schulter klopfen.
In der Argumentation gibt es natürlich unsachliche Argumente und Bedenken. Wie z. B., dass jemand, der sich als Organspender hat registrieren lassen, nicht ausreichend intensivmedizinisch versorgt werden würden; dass der Hirntod nicht richtig diagnostiziert werden würde, etc.
Das ist natürlich Quatsch, bzw. gibt Anlass dazu, dass Menschen Verschwörungstheorien anheim fallen und hilft in der Sache nicht weiter.
Es hilft aber auch nicht mMn Hochglanzbroschüren zu verschicken und den Leuten zu erzählen, dass Organspende eine ganz tolle Sache wäre, oder, wie es Spahn gemacht hat, diese ziemlich widerwärtige Argumentation anzubringen, mit der Widerspruchslösung würde man im Zweifelsfall Angehörige entlasten (also, ihnen in Extremsituationen, wenn ein geliebter Angehöriger unwiderruflich im Sterben liegt, eine Entscheidung abnehmen und damit für sie eine Art psychische Entlastung schaffen). Hier ist mMn das Gegenteil der Fall, und ganz besonders dann, wenn der Mediziner nur darauf verweist, dass mit einer Spende einem anderen Menschen Leben und Hoffnung geschenkt werden könnte.
Das ist so, und ist eine absolut unterstützenswerte Sache, aber man sollte auch (vorher!) den Menschen schon ganz klar kommunizieren, dass der Vorgang der Organentnahme natürlich ein echt heftiger Vorgang ist, und dass allein die Vorstellung davon viele Menschen an ihre Grenzen bringt. Ganz besonders dann, wenn es sich um Angehörige handelt!
Hier scheinheilig von "Entlastung" zu sprechen, ist geradezu eine Verhöhnung, und ich denke, genau das war auch der Punkt, der zum Scheitern der Spahnschen INitiative geführt hat.
Wie eine Organentnahme abläuft, das hat hier:
https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/organspende-das-war-ein-katastrophaler-ausbau-von-ersatzteilen-12536010.htmleine junge Ärztin beschrieben.
Dieser Artikel ist eine Art Klassiker in der Organspendediskussion, da er die "dunklen" Seiten zeigt, die gerne (auch von Medizinern) unter den Tisch gekehrt werden. Ja, es ist ein sehr schwieriges Thema, sich mit dem eigenen Tod zu beschäftigen und ja, es ist noch viel schwieriger, dies im Fall eines tödlich verletzten oder erkrankten Angehörigen zu tun.
Und ja, auch für die Mediziner ist es garantiert schwierig, und es ist ein menschliches Bedürfnis, gewisse Tatsachen auszublenden.
Bei all den unterstützenswerten und hoffnungsspendenden Aspekten, die eine Organspende mit sich bringt, darf man aber einfach nicht die gnadenlos in die Verzweiflung führende Dimension des Sterbens und des Verlustes vergessen, und wie damit umgegangen wird.
Man braucht menschliche, mitfühlende Ärzte, und niemanden, der den auf der INtensiv liegenden als "Ersatzteillager" sieht. Ich denke, hier sind viele Fehler gemacht wurden, das Vertrauen der Bevölkerung ist erschüttert, und es wird Zeit brauchen, bis dieses wiederhergestellt ist. Und das erreicht man unter Garantie nicht durch eine anbiedernde und bevormundende Politik a la Spahn.
Bei dieser Diskussion muss ich immer daran denken, als ich das erste Mal (und letzte) bei einer Obduktion anwesend war - das ist viele, viele Jahre her und es hat sich mir eingeprägt, als wäre es gestern gewesen (und auch den weiteren Verlauf meines Lebens bestimmt).
Ein kleiner Junge war gestorben, erdrückt beim Spielen durch einen Sandhaufen, der sich in Bewegung gesetzt hatte und ihn verschüttet. Äußerlich waren keine Verletzungen erkennbar, aber die inneren Organe waren durch den Druck irreparabel geschädigt worden. Der ganze Ablauf des Obduzierens war furchtbar - wir waren eine ganze Gruppe, und es gab auch keinen Hinweis, kein einziges Wort, dass die Tragik des Todes thematisiert hätte. Keine Schweigeminute, keinen kurzen Moment des Innehaltens für diesen Jungen - es ging nur um die "Sache". Ganz besonders heftig fand ich, dass einer meiner "Kollegen" damals völlig übereifrig ständig Fragen stellte und dieses und jenes noch wissen wollte ... als wäre das kein Mensch, der dort tot liegt, als gäbe es keine grenzenlos trauernden Angehörigen, als wäre das alles nur ein Anlass, um seine eigene REputation zu steigern.
Mit einer FReundin habe ich den Raum verlassen - und bis heute verfolgt mich diese Szene manchmal, und es graust mich, wenn ich daran denken muss, wie gefühllos manche Menschen sein können.
Ich finde es sehr wichtig, dass es Organspende gibt.
Jeder, der sich dafür entscheidet, verdient den höchsten Respekt! Jeder, der für einen anderen Menschen entscheidet, wenn z. B. das eigene Kind im Sterben liegt, noch mehr.
Aber ich finde eben auch, dass sich in unserer Gesellschaft grundlegend etwas ändern muss, dass man viel offener über dieses Thema diskutiert und auch den Schmerz und die Verzweiflung von Angehörigen, die darüber entscheiden müssen, ob sie die Organe ihres toten, geliebten Menschen spenden sollen, ob das in seinem Sinne wäre.
Sie brauchen mitfühlende, menschliche Mediziner, die ehrlich zu ihnen sind; die ihnen und dem Sterbenden ihre Würde lassen.
Und sie brauchen Politiker, die die Würde jedes Einzelnen schützen, und den Wählern nicht erzählen, mit einer Widerspruchslösung wäre die Entscheidung einfacher.