[ von Michail Logvinov ] Das archetypische Russlandbild „deutscher Medien“ kennt man ja recht gut. Es landen nur die Themen in den Programmen und in den Zeitungen, die in die vorherrschende Wahrnehmung passen – wie die fehlende Demokratie, bedrohte Pressefreiheit, marodes Militär, Großmachtansprüche, Erpressung durch Energie.
Aus mehreren Gründen haben sowohl die sich auf dem internationalen Parkett sicher bewegenden (russischen) Journalisten als auch die Kommunikationswissenschaftler immer wieder die „Richtigkeit“ dieses Image angezweifelt. Inzwischen hat sich ein bedeutender deutscher Russlandkorrespondent in einem ausführlichen Interview [1] zu Wort gemeldet und tiefgehende Einblicke in die deutsche News-Küche ermöglicht. Die Bilanz ist für Russland niederschmetternd: Es landen nur die Themen in den Programmen und in den Zeitungen, die in die Wahrnehmung vieler Kollegen in den Redaktionen passen, und das sind im Einzelnen „Themen wie die fehlende Demokratie, bedrohte Pressefreiheit, marodes Militär, Großmachtansprüche, Erpressung durch Energie“.
Der Russland-Korrespondenten des Westdeutschen Rundfunks, Horst Kläuser, wird hier als ein prototypisches Beispiel der Redaktionspolitik genommen, obwohl es vorweg gesagt werden muss, dass sein Russlandbild sich durch die für die meisten Titel des deutsche Blätterwaldes bzw. Sender unvorstellbare Differenziertheit auszeichnet. Wie es dazu kommt, dass ein Journalist mit einem komplexen Bild und Text gezwungen wird, die Reduktion der Komplexität durchzuführen, erklärt sich schließlich ganz prosaisch.
Also was braucht man redaktionsmäßig für eine ausgewogene und fundierte Auslandsberichterstattung? Klar, einen Fachmann – einen Künstler des Wortes und der Investigation – ohne jegliche Sprach- und profunde Landeskenntnisse!
„Ich bin damals vom WDR gefragt worden. Vorher war ich fast sechs Jahre Korrespondent in Washington, wo ich über alles berichtet habe vom Lewinsky-Skandal bis zum 11. September. Und Washington und Moskau, das sind eben zwei ganz wichtige Pole der journalistischen Welt. Wer könnte da nein sagen?“, berichtet Kläuser über seine Motivationen für den neuen Job.
Und wie sieht es mit der Sprache aus? „Als ich in Moskau anfing, sprach ich kein einziges Wort Russisch. Ich spreche es bis heute auch nicht fließend. Ich kann mich gut verständigen, aber zu wichtigen Interviews kommen Dolmetscher mit – wie übrigens bei anderen Korrespondenten auch. Man lässt sich auch Fernsehmitschnitte, aus denen man gelegentlich zitiert, von Profis übersetzen. Weil es da auf jedes Wort ankommt“, so der Russlandkorrespondent weiter.
Nun ja… Der Journalist findet langsam neue Kontakte im Bürgerrechtlermilieu, emanzipiert sich von der Presse im Land und schreibt unabhängig. So stellt man die Arbeit eines Auslandsberichterstatters meistens vor. So schildert seine Entwicklung auch Herr Kläuser. Logisch hätte sich dieses Szenario allerdings erst angehört, wenn die Frage beantwortet werden könnte, ob ein Bahnhof verstehender – „ja ponimaju woksal“, wie es die deutschen Kollegen immer unpassend sagen – Journalist die hiesige Presse überhaupt zur Kenntnis nimmt bzw. imstande ist, den Blätterwald zu durchblicken? Und dass es in Russland einen gibt, ist gar keine Frage. Das weiß jeder Russlandforscher oder -interessenter. Am einfachsten ist es nämlich, unter Verweis auf die Presseabhängigkeit sich nur auf ein Paar Quellen zu beziehen – solche Beispiele gibt es auch.
Also man schreibt doch unabhängig. Und hiesige Kollegen halten das aus der Geschichte des russischen Journalismus heraus für eine Propaganda. Sie glauben allen Ernstes, die Auslandskorrespondenten „hätten hier einen offiziellen Auftrag zu erfüllen“, so Kläuser.
Der Radiojournalist setzt fort: „Und wenn mich ein russischer Kollege fragt: „Was musst du denn darüber schreiben?“ – dann offenbart sich da ein eklatantes Missverständnis unserer Arbeit (es sei denn, es ist auf ein eklatantes Missverständnis der Funktion von Modalverben zurückzuführen – M.L.): Ich schreibe, was ich sehe und kommentiere es, wenn ich dazu angehalten bin. Meine Meinung muss nicht jeder mögen, aber ich habe in meiner 30-jährigen Radio-Laufbahn nicht erlebt, dass jemand meine Meinung redigiert hätte. Man hat im Nachhinein vielleicht gesagt: „Das war unmöglich“ – aber dann war es schon gesendet. Hier fühlen sich offensichtlich manche Journalisten in der Pflicht ihres Senders oder ihrer Zeitung, genau nach Linie zu schreiben.“
Der Leser möchte bitte diesen Passus merken, denn es gilt als zentral für die Problematik der Redaktionspolitik.
Und wie sieht es denn in Deutschland aus? Wie berichtet man über den Riesennachbarn, strategischen Partner usw.? Welchen Verhaltensmustern – abgesehen von ethno- und eurozentristischen sowie vom Stimmungs- und Meinungsmanagement – folgt man in den Redaktionen, die die Pressefreiheit genießen dürfen?
“Ich will mich nicht grundsätzlich von dem Vorwurf freisprechen“, merkt Horst Kläuser an, „dass wir Korrespondenten nicht auch ein Bild in einer gewissen Farbe zeichnen. Aber wir berichten ja nicht direkt, sondern geben unsere Berichte an die Redaktionen. Und in den deutschen, englischen und amerikanischen Redaktionen gibt es natürlich auch eine gewisse Vorprägung in Bezug auf die Nachrichten, die aus Russland erwartet werden. Themen wie die fehlende Demokratie, bedrohte Pressefreiheit, marodes Militär, Großmachtansprüche, Erpressung durch Energie – mit all diesen Sachen landen sie sofort in den Programmen und in den Zeitungen. Andere Themen dagegen, nehmen wir jetzt mal die fiktive Überschrift „Demokratie im Vormarsch - Kreml-Opposition zeigt die Zähne“ – ich glaube, das passt nicht in die Wahrnehmung vieler Kollegen in den Redaktionen.“
Eine umfassendere Antwort war von einem deutschen Journalisten nicht zu erwarten. Missverstanden werden kann allerdings, ob Herr Kläuser allen Erstens überzeugen will, dass die Berichterstatter sich dem Mainstream und der Redaktionspolitik zu widersetzen wissen? Im Radio kann es noch der – medienspezifische – Fall sein. Jedoch nicht in der Zeitung oder im Fernsehen. Und ob die schönen Argumente letztendlich etwas an der Tatsache ändern, dass man „ein Bild in einer gewissen Farbe“ malt?
Im Vergleich mit den USA erscheint Russland hoffnungslos unattraktiv. Die Redaktionen seien offener, es sei „latent alles interessant“ beim transatlantischen Partner. „Ob Madonna ein Kind bekommt, ein Hurrikan durch Texas fegt oder das iPhone verkauft wird – alles. In Deutschland ist es aber so: Praktisch niemand bei uns kennt russische Filme oder Popmusik, das interessiert auch nicht. Bei uns wird im Radio praktisch zu 50 Prozent amerikanische Musik gespielt und im Kino dominieren Hollywood-Filme ohnehin. Diese Prägung unserer Kultur und Wahrnehmung durch Anglizismen oder Amerika ist viel stärker“, stellt Kläuser fest.
Was sind schon im Vergleich mit iPhone-Verkaufsraten solche marginale Themen wie „eine kleine Meinungsvielfalt, ein innerer Diskurs“ in Russland? Mit solchen Themen sei es schwieriger, bei den Redakteuren zu landen.
Eine viel dramatischere Dimension dieser Problematik schildert Alexander Rahr am Beispiel von freier Journalistin für die ZEIT, Barbara Lehmann. Als Tschetschenienkorrespondentin beschuldigte sie Ramsan Kadyrow Menschenrechtsverletzungen. Auf einer neueren Reise wurde sie jedoch von der positiven Entwicklungsdynamik im Lande überrascht und berichtete über den Wiederaufbau der Infrastruktur. „Barbara Lehmann schrieb, dass auch nach Ansicht der Bevölkerung Kadyrow persönlichen Anteil am Aufschwung besaß. Die Tschetschenen hatten den Krieg satt. Als sie diese Beobachtung der deutschen Öffentlichkeit auf einer Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin schilderte, wurde sie im Saal massiv angefeindet. Auch von ihren Journalistenkollegen. Das differenzierte Bild von Kadyrow passte nicht in die gängige politische Landschaft“ [2].
Weitere Beispiele des journalistischen Konformismus in Deutschland liefert das aktuelle Buch von Gabriele Krone-Schmalz [3]. Und die sich an solchen Beispielen offenbarte anti-russische Hysterie ist an der Tagesordnung [4].
Ohne nach einer Zusammenfassung des Ausgeführten zu suchen, merke ich nur Folgendes an. Die deutschen Redaktionen und Auslandskorrespondenten sowie die Politik müssten sich wahrscheinlich doch überlegen, welche Rolle ihnen als Multiplikatoren zukommt, und dass eine Präferenz der Russen für Deutschland keine Selbstverständlichkeit ist und sein muss. Auch historisch bedingt. Die deutschen Medien haben sehr ausführlich über den Israel-Besuch der Kanzlerin berichtet. Einige von ihnen erwähnten auch die noch bestehenden Ressentiments der Volksvertreter Israels gegen Deutschland, das in den Köpfen einiger Israelis weiterhin als Nazi-Deutschland festsitzt. Es ist also keine Selbstverständlichkeit und muss es auch nicht sein, dass der russische Präsident sich in den deutschen Bundestag eilt, um eine Rede in Deutsch zu halten und auf diese Art und Weise eine neue Epoche heraufzubeschwören.
Es ist nicht vorstellbar, dass deutsche Bundeskanzlerin sich mit Prof. Noam Chomsky und Michael Moore trifft, um über die amerikanische Demokratie kritisch zu sprechen. Kasparow sowie die russischen Liberalen verstehen von der Demokratie (auch im Sinne der Regierungslehre) viel weniger als Michael Moore [5], dennoch dürfen sie mit einem persönlichen Treffen mit Angela Merkel rechnen. Es geht nicht darum, dass die deutsche Kanzlerin sich mit den selbsternannten oppositionellen Möchtegern-Demokraten trifft. Es handelt sich in erster Linie darum, dass die liberalen Ideen dadurch profaniert werden. Und wenn man die Werte schon selbst so kompromittiert, dann darf man sich nicht wundern, dass die Kritik dann nicht ernst genommen wird.
Putin hat zwar einen Narren an Deutschland gefressen, dennoch hat der Trend, „auf ihn und Russland einzuhauen“ (Gabriele Krone-Schmalz), dazu geführt, dass die deutschen Eliten „die einzigartige historische Chance, sich mit einem deutschfreundlichen Präsidenten Russlands zu verständigen, verpasst haben“ [6]. Und der Moment, wenn die russischen Eliten (auch Bildungseliten) dem deutschen Partner den Rücken zeigen, kann ja schneller kommen als er Wodka sagen kann.
[1] Wer weiß, vielleicht kommt der Abschied vom System Putin schneller als wir Wodka sagen können. Horst Kläuser über seine Zeit als Korrespondent in Moskau, Journalismus in Russland, Hofschreiber, die westliche Perpektive und den Kandidanten Dmitri Medwedew, abrufbar unter:
http://www.planet-interview.de/interviews/pi.php?interview=klaeuser-horst-01032008[2] Rahr, Alexander: Russland gibt Gas. Die Rückkehr einer Weltmacht, Carl Hanser Verlag München, 2008, S. 81.
[3] Siehe dazu: Michail Logvinov: Entlarvende Gedankenlosigkeit oder: Wir sind mit Russen oftmals strenger als mit uns selbst, abrufbar unter:
http://www.news-effect.com/fulltextde.php?aid=969 und
[4] Vgl.: Michail Logvinov: „Russland, der Global Player“ oder Ein Plädoyer gegen politische Kurzsichtigkeit und Dummheit, abrufbar unter:
http://www.news-effect.com/fulltextde.php?aid=818[5] Siehe dazu: Bernd Ziesemer: Das Versagen der Intelligenzija, abrufbar unter:
http://www.handelsblatt.com/News/Politik/International/_pv/_p/200051/_t/ft/_b/1347614/default.aspx/das-versagen-der-intelligenzija.html (Archiv-Version vom 08.11.2007)[6] Rahr, Alexander, wie Anm. 2, S. 198.