http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.medizin-gegen-den-braunen-bazillus.1404912e-afbd-44f7-8490-709f8bbaeeb4.html (Archiv-Version vom 04.09.2017)Medizin gegen den braunen Bazillus
Korb Rechtsextremes Gedankengut ist in Baden-Württemberg weit verbreitet, sagt Kurt Möller. Besonders anfällig dafür sind junge Männer. Von Annette Clauß
Wie sieht der typische Wähler einer rechten Partei wie der NPD aus? Der Esslinger Hochschulprofessor Kurt Möller ist seit 25 Jahren in der Rechtsextremismusforschung tätig und kann die Frage mit wenigen Worten beantworten: "Er ist jung und männlich."Am Mittwochabend war Möller auf Einladung der Gemeinde Korb und der Volkshochschule Unteres Remstal in der längst nicht vollbesetzten Alten Kelter zu Gast.
In seinem Vortrag "Das Ländle - die Insel der Seligen?" hat der Wissenschaftler, der zahlreiche Studien über Ausländerfeindlichkeit und Rechtsradikalismus gemacht hat, anhand einer Vielzahl von Untersuchungsergebnissen aufgezeigt, dass Rechtsextremismus kein Randproblem in unserer Gesellschaft ist und sich beileibe nicht vorwiegend in Ostdeutschland verorten lässt. So zitierte Möller etwa das Ergebnis einer Studie des Forsa-Instituts aus dem Jahr 2003, bei der nach der Bereitschaft gefragt wurde, rechtsextreme Parteien zu wählen. Das erschreckende Ergebnis: Baden-Württemberg belegte mit 16 Prozent die traurige Spitzenposition vor allen anderen Bundesländern.
"Der typische Rechtsextremismus ist ein Eisbergproblem, man sieht nur die Spitze", so Möller. Eine weitere Studie habe 1981 ergeben, dass Dreiviertel der Menschen, die rechtsextremes Gedankengut hegen, die großen Volksparteien wählen: 55 Prozent die CDU/CSU, 20 Prozent die SPD. Die Studie wurde laut Kurt Möller in den Folgejahren in ähnlicher Weise wiederholt und führte stets zu ähnlichen Ergebnissen. "Das bedeutet, dass der Großteil der rechtsextrem Denkenden gar nicht rechts wählt."
Auch von den vergleichsweise niedrigen Mitgliederzahlen der rechten Parteien dürfe man sich nicht täuschen lassen. "Die Rechtsextremen waren bis in die 80er-Jahre hauptsächlich in Parteien organisiert, seit Anfang der 90er gibt es neue Organisationsformen." Statt einiger größerer Parteien sind viele kleine Zellen aktiv und diese ziehen vor allem Jugendliche an, die zudem mehr Gewaltbereitschaft zeigen. Das typische Einstiegsalter in die rechte Szene liege laut Möller bei etwa 15 Jahren.
Wenig Empathie, ein geringes Selbstwertgefühl und eine geringe Frustrationstoleranz seien die besten Voraussetzungen, um in die rechte Szene abzurutschen. "Ich bin lieber Nazi als sonst nichts" - so habe ein Jugendlicher bei einem Interview reagiert. Junge Menschen müssten früh sozialpädagogisch abgefangen werden: "Dann kann es gelingen, die rechtsextreme Orientierung aus den Köpfen zu bekommen."
Besonders wichtig sei es aber, gegen gewaltlegitimierende Männlichkeitsnormen anzugehen, etwa die Vorstellung: "Der Mann ist das Oberhaupt der Familie und darf sich auch mit Gewalt durchsetzen." Erst diese Männlichkeitsnormen ermöglichten den Rechtsextremismus. Möller fordert "mehr Gendersensibilität" in Kindergärten und Schulen: "Jungs dürfen nicht benachteiligt, sie müssen gefördert werden." Er empfiehlt, "das Gemeinwesen gegen rechts zu aktivieren" und nicht nur die Polizei und Sozialarbeiter als "Löser" zu sehen. "Da, wo Bündnisse existieren, kann es gelingen, den Rechten das Wasser abzugraben. Wir brauchen ein Breitbandantibiotikum gegen den braunen Bazillus."
Der Vermutung eines Zuhörers, eine detaillierte Berichterstattung, etwa über die NPD, beschere dieser nur Zulauf, widersprach Möller. Eine Studie habe gezeigt: "Wenn keiner etwas unternimmt, wird die NPD als normale Partei wahrgenommen und ist stark. Wo sie skandalisiert wird, hat sie deutlich schlechtere Chancen."