Schnapspraline schrieb am 30.03.2023:Wird es also endlich Zeit für ein neues System?
Definitiv! Allerdings lässt sich ein Systemwechsel nicht einfach erzwingen. Ich halte es mit Rudi Dutschke: Zunächst muss sich in der Gesellschaft überhaupt erst einmal ein Bewusstsein entwickeln für diverse Zusammenhänge und Missstände. Ohne dieses Bewusstsein ist eine Revolution nicht möglich. Leider hat sich die Gesellschaft seit der Jahrtausendwende und den weltweiten Massenprotesten gegen WTO, Weltbank, IWF, G8 usw. dahingehend zurückentwickelt. Man belehre mich gerne eines Besseren, aber die letzte größere (internationale) antikapitalistische Bewegung war "Occupy Wall Street" damals nach der Finanzkrise. Hat sich irgendwann im Sand verlaufen und seitdem ist die internationale Linke faktisch tot. Und das ist ja auch kein Wunder: Wie du weißt, bin ich mit einer der entschiedendsten Gegner im von dir ebenfalls eröffneten Thread bzgl.
Gendern. Gleiches gilt auch in Bezug auf
LGBT und generell alles, was mit
Identitätspolitik zusammenhängt (ich halte es für grundsätzlich falsch, Menschen nach Geschlecht, Sexualität oder auch anderen Diskriminierungsmerkmalen zu klassifizieren). Und mit nichts anderem beschäftigt sich die moderne Linke - so zumindest die Außenwahrnehmung seitens der Öffentlichkeit. Kapitalismus ist schon lange kein Thema mehr. Selbst bei Sahra Wagenknecht - ehem. Vorsitzende der kommunistischen Plattform innerhalb der Partei Die Linke - muss man schon zwischen den Zeilen lesen, um da überhaupt noch radikale Kritik am Kapitalismus und Neoliberalismus rauszuhören. Und wer kennt denn heutzutage bspw. noch Denkschulen wie die
Frankfurter Schule um Adorno und Horkheimer mit ihrer Kritik am Kapitalismus? Oder etwa auch die der
Chicago Boys, die fundamental wegbereitend für den seit etwa der 70er und 80er Jahren bzw. seit der Ära Reagan/Thatcher vorherrschenden Neoliberalismus war?
Ebenfalls etwa zur Jahrtausendwende schrieb die kanadische Journalistin Naomi Klein ihren weltweiten Bestseller "No Logo!" über den damaligen Markenwahn sowie die Missstände in der Bekleidungsindustrie. Es war damals mit eines der einflussreichsten Bücher auf die damalige globalisierungskritische Bewegung (Seattle, Genua...). Fast 25 Jahre später hat sich nichts geändert,
Fast Fashion und kapitalistische Verwertungslogik boomt mehr denn je! Und jetzt kannste die Leute auf der Straße einfach mal fragen und schauen, wie es um das o.g. Bewusstsein bzgl. gesellschaftliche Missstände so steht:
"Ja, wie schaut's denn aus... Fast Fashion... und die ganzen damit zusammenhängenden soziologischen und ökonomischen Probleme... schon einmal von gehört?" 98% werden mit dem Kopf schütteln. Und die restlichen knapp 2% werden sagen:
"Ja, hm... müsste man vielleicht mal strengere Gesetze einführen oder mehr kontrollieren und so... und letztendlich hat's ja auch der Verbraucher in der Hand, was er kauft, bla, bla..." Allenfalls eine kleine unbedeutende Minderheit von einem halben Prozent wird zu der Erkenntnis gelangt sein, dass ein Gesellschaftssystem, welches primär auf Konkurrenzdenken (aka der hochgelobte "Wettbewerb") und dem Streben nach Profitmaximierung basiert, per se bzw. aus systemimmanenten Gründen früher oder später zum Scheitern verurteilt ist und somit endgültig auf denn Müllhaufen der Geschichte gehört. Oder frag die "Rich Kids" von
Fridays For Future:
Ja, mehr Gesetze, mehr Kontrollen mehr Verantwortung des Individuums... für Klimaschutz. Die allerwenigsten sind weise genug, festzustellen, dass
Klimaschutz nur Teil des weitaus größeren Anliegens
Umweltschutz ist, geschweige denn, dass sie verstehen, dass
Profitmaximierung und Umweltschutz ganz klassisch - nach BWL -
konkurrierende Unternehmensziele sind, so dass in einem abartigen System wie dem Kapitalismus, wo Profitmaximierung über allem steht, Umweltschutz zwangsläufig unter die Räder gerät. Die Leute gucken dich an wie ein Auto, wenn du plötzlich anfängst, über Kapitalismus zu reden:
"Ja, wie verstehe ich nicht... man kann doch einfach mehr Gesetze... und mehr Kontrollen... und der Verbraucher kann und soll doch... und der Staat und... bla, bla, bla..."Ach... eine bessere Welt mag zwar vielleicht möglich sein, aber nicht mit Menschen, deren Denkhorizont nicht einmal bis zum Tellerrand reicht!