Seidenraupe schrieb:warum sollen die Kinder entscheiden, warum sie etwas lernen?
Das liegt nicht im Ermessen des Kindes ob es das will oder nicht.
Das Problem: Es liegt auch nicht in unserem Ermessen. Gerade bei Jugendlichen. Was so ein Kind lernen soll, weil es das in 10 Jahren braucht, das können wir auch als erwachsene außerhalb der absoluten basissachen gar nicht absehen.
Wenn wir ehrlich wären, müssten wir die Lehrpläne komplett überarbeiten. Aber wir behaupten einfach, dass unsere Lehrkanon seine Richtigkeit hat. Das wirklich hinterfragen macht keiner.
Die Kinder machen das instinktiv und fragen dann: Warum soll ich das lernen? Und die Erwachsenen haben keine guten Antworten darauf. Das merken die Kinder. Das hab ich auch in der Schule gemerkt, dass die Behauptung des Mathelehrers, als Bäcker brauche man Mathe der Klasse zehn, weit hergeholt ist.
Seidenraupe schrieb:jo, zB einige Dinge einfach auswenig lernen, rekapitulieren und vergessen. Was dir viell sinnlos erscheint, ist es nur bedingt:
Es trainiert die Fähigkeit des Kindes, Lernen zu Lernen
Das ist eine Behauptung, die oft vorgebracht wird, der ich aber deutlich widerspreche. Das stimmt meist schlichtweg nicht. Keiner lernt durch auswendiglernen von Fakten, deren nutzen er nicht versteht, wie man sich wissen aneignet. Denn wissen und fakten unterscheiden sich.
Wenn du mich zwingt, die geschichte der Wiedervereinigung auswendig zu lernen, dann krieg ich das vllt hin und merk mir die jahreszahlen und die groben punkte. Wie man geschichtliche verknüpfungen erkennt und wie man generell sich so etwas anliest, das verstehe ich so nicht. Kann ich auch nicht, denn ich begreife wissen als faktenansammlung, nicht als anwendbares erkennen von mustern und verbindungen.
Auch Frustrationstoleranz lernt man so nicht wirklich: Man lernt, stillzuhalten. Das ja. Aber kennst du nicht die Situation, wo die kindern dann einfach den lehrer nur fragen 'kommt das in der klausur dran' und wenn nein es sofort vergessen? Das ist der effekt davon. Man begreift wissen als etwas, was man zum bestehen braucht. Nicht als etwas wertvolles. Und dann ist man zwar eventuell bereit, es anzuhäufen, wenn man gezwungen wird. Aber wenn man nicht gezwungen wird... Dann ist es mit Disziplin und Frustrationstoleranz nicht weit her. Man wird zu jemanden, der nur arbeitet, wenn da ein lehrer ist, der einen anleitet. Denn es wurde einem abtrainiert, den intrisischen motivationen zu folgen.
Seidenraupe schrieb:Warum sollte er? Er soll das Periodensystem der Elemente erklären, gutes Anschauungsmaterial inklusive.
Da kann man mindestens die Hälfte der kids für begeistern.
Aber wozu? Ich gebe dir mal ein Beispiel, ein fiktives.
Kevin (den namen nehm ich schon als klischee) ist 16. Der interessiert sich nicht für schule, der interessiert sich für seine Freunde, der interessiert sich für parties und der interessiert sich für seine hobbies, lass das mal, ganz klischeehaft, rappen und fußball sein.
Es ist vollkommen ersichtlich, sowohl für kevin, als auch alle die ihn kennen, als auch seinen lehrer, dass Kevin nicht Chemie studieren wird. Es wird nicht geschehen. Auch kein Bio oder Physik. Aber Kevin muss das jetzt (und dazu mathe) belegen um sein Abi zu bekommen, denn ohne Abi darf er gar nichts studieren und hat auch auf dem Jobmarkt probleme.
Aber Kevin, um ihn nicht zu einem reinen kleinen dämon zu machen, hat auch andere probleme. Kevin hat ein schwieriges Elternhaus, seine Freunde haben das auch. Kevin hat angefangen zu viel Gras zu rauchen weil er Angstzustände hat und weiß nicht wohin in seinem Leben.
Eigentlich kann er aber auch sachen. Er ist ein loyaler und verlässlicher Freund auch abseits vom 'kumpel sein', er unterstützt seine Alleinerziehende Mutter. Er hat Energie und er hat auch interessen an allerlei sachen, die aber oft kurzliebig sein (programmiert mal ein bisschen, bis es wirklich zu arbeit ausartet, lässt es dann wieder, aber hat das immerhin hinbekommen, woran viele scheitern würden). Das ist jemand, der schon grundsätzlich in bestimmten umgebungen super funktioniert, motiviert ist und leistungsfähig. Nur gibt ihm keiner orientierung, wie er siene Fähigkeiten einsetzen kann.
Der Chemielehrer schafft es vielleicht, ihm das Periodensystem beizubringen, ob mit zuckerbrot oder peitsche. Aber was bringt Kevin das? warum soll Kevin das wissen? Es löst keines seiner Probleme, es gibt ihm keine Orientierung. Es ist etwas, was wir von ihm wollen. Nicht etwas, was ihm nutzt. Ich kann auch jemandem, der tanzen hasst, sagen "du lernst jetzt walzer, dann bekommst du ein auto". Vielleicht macht ihm das walzertanzen am ende sogar ein bisschen spaß. Aber er wird kein Tänzer werden und hat es eben für das Auto gemacht. Es bringt uns nichts und ihm auch nicht (außerhalb von dem Auto).
Was wird aus Kevin? In der Schule bekommt er keine Orientierung, also sucht der die woanders. Entweder bei anderweitigen vorbildern (fußballer, rapper, wenn das seine interessen sind) oder noch schlimmer im internet wo ihm irgendwelche leute erzählen, dass er schnell reich mit onlinepoker werden kann. Einer wie Kevin findet das interssant, liest sich sogar im poker theorie ein und alles. Kann dann sogar ein bisschen spielen. Macht er dann ein paar monate, bis es wieder in arbeit ausartet und lässt es.
Wir können uns über ihn lustig machen und sagen 'der soll einfach arbeiten gehen und wenn er halt nicht studieren will bleibt ihm eben nur ein arbeiterjob', aber ist das wirklich fair und gut? Schließlich sind wir es ja, die da eigentlich jemanden, der grundsätzlich stärken hat keine orientierung mitgeben in der schule, obwohl wir ihn zwingen, da 13 jahre lang hinzugehen.
Wir lösen seine probleme nicht, die er von zu Hause mitbringt (ob jetzt sein elternhaus, seine THC Sucht, seine orientierungslosigkeit), sondern bringen ihm das Periodensystem bei (teils mit zwang) und messen unseren erfolg daran, ob er das dann versteht oder nicht. Eigentlich sollten wir unseren erfolg daran messen, ob Kevin in der Schule die Orientierung bekommt, die er eigentlich braucht.