Doors schrieb:Warum soll das heute schwerer sein? Veränderung findet immer statt. Damit besteht auch immer das Risiko, sich falsch zu entscheiden. Dann muss man neu entscheiden.
Weil es heute mehr Entscheidungsmöglichkeiten gibt und ein stärkeres Denken, dass man eine ganz, ganz tolle Entscheidung treffen muss.
Wenn dein Auftrag ist 'verdien genug geld für die miete und für die familie und alles ist gut' und du bekommst einen job wo du nicht irgendwie schlecht behandelt wirst und wo du dich nicht totarbeitest, dann war das mal so auch ausreichend für einen seelenfrieden.
Das reicht heute aber nicht mehr. Zunächst mal gibt es heute andere arbeitsumfelder, mit denen sich die mitarbeiter häufig weniger identifizieren. Du bist nicht mehr bei bayer, du bist in irgendeiner komischen von irgendeinem investor aufgekauften sparte wo du irgendwie hin und hergeschoben wirst und viele mitarbeiter gar nicht recht kennst.
KOmmt natürlich auf den job an, aber mit dem hin zum job und dem weg weg von arbeitsplatz gibt es eben auch andere ansichten zur arbeit.
So wie es früher normal war, seine nachbarn zu kennen (selbst, wenn man sie nicht mag) und man heute bestenfalls von einem fremden im Hausflur gegrüßt wird (wie gesagt, ich hoffe, ich muss nicht immer 'es gibt natürlich ausnahme, aber...' dazuschreiben).
Dazu kommt aber eben auch, dass eine, der jahrelang studiert hat und dem überall gesagt wird 'mach was dir spaß macht' den reality check den er nach dem studium bekommt und wo er dann letztendlich eben nicht, wie man das so schön ausschreibt, einen kreativen arbeitsplatz mit verantwortung und tollem umfeld, bekommt, sondern eben einen job der häufig nicht sonderlich erfüllend ist. Obwohl man doch eigentlich immer gesagt bekommt, man soll was tun, was einem spaß macht und nicht einfach nur geld verdienen.
Doors schrieb:Als ich anfing, im Hafen zu arbeiten, spotteten noch viele über die Blechkisten (Container) als "neumodschen Krom". Die Spötter von damals wurden dann durch die Kisten schnell arbeitslos und mussten umsatteln. Wer um 1960 den Weg in den Bergbau, in den Schiffbau, in die Landwirtschaft wählte, weil sich dort Perspektiven und Verdienstmöglichkeiten boten, hockte 1970 in der Schlange vorm Arbeitsamt.
Wer noch vor zehn Jahren hier im Norden auf Wind setzte, kann seine Zukunft in eben diesen schlagen. Sicherheit und Perspektive gab es in der Arbeitswelt schon früher höchst selten.
Und wenn du im Bergbau warst, hast du dir deine Lunge kaputtgemacht. Du hattest aber auch eine Kumpelkultur, in der sich viele dieser Arbeiter zu Hause gefühlt haben. Das ist, emotional, für menschen häufig sehr viel wert. Und genau so ein emotionaler grund zur arbeit, ein starkes 'ja' zu einer bestimmten arbeit, dass man sich da zu hause fühlt, das fehlt heute sehr vielen jungen Menschen.
Die machen irgendwelche jobs, aber würden eben weniger oft sagen 'ja, ich bin kohlekumpel' sondern eher eben 'ich mach so was mit medien und bin da eher so freelancemäßig unterwegs' und fühlen sich, als würden sie den anderen bullshitten, obwohl sie nichtmal lügen.
Doors schrieb:Was für einen selbst sinnvoll im Leben ist, wird schon jeder für sich selbst rausfinden müssen - und nicht von anderen vorschreiben lassen. Es ist schliesslich mein Leben, das ich lebe. Das Dumme ist nur, dass ich für Fehlentscheidungen nur mich verantwortlich machen kann. Nicht andere. Nicht Mama, nicht Papa, nicht den Kapitalismus, nicht die Gesellschaft etc. Das scheint einige doch ziemlich zu beängstigen.
Und das können eben viele leute nicht und sind davon überfordert, weil das heutzutage viel schwieriger ist und wir leute dahin erziehen, dass sie sowas nicht können.
Da kannst du noch so oft 'es ist mein leben' rufen, du nimmst es den jungen leuten ja weg, diese entscheidungsfreiheit. Für 18 Jahre normalerweise und dann sollen sie sich plötzlich genau entscheiden können, was ihnen nun spaß macht, obwohl sie nie freie entscheidungen getroffen haben. Dann ist es plötzlich ihr leben, nachdem du jede ienzelne entscheidung für sie vorher getroffen hast. Und sie sollen irgendwas machen, was ihnen spaß macht, nachdem sie das 18 jahre nicht durften.
Wenn da einer plötzlich mit 18 alles genau wissen soll, was ihm spaß macht und was er mit seinem leben anfangen will bei den unendlich vielen optionen (die man nicht mal eben so alle durchprobieren kann), warum ist das dann ne tolle idee, wenn 18 jahre vorher ihm mama, papa und die lehrer und dann auch noch der kapitalismus gesagt haben, was er machen und denken soll?