neugierchen schrieb:Fierna:Nun ist es aber auch eine gute, alte, deutsche Tradition, antiwestlich zu sein.
neugierchen: Vielleicht Tradition einiger Linker .... sicherlich nicht der Mehrheit unserer Bevölkerung. Sonst wären wir mit Sicherheit nicht im Verbund westlicher Staaten. Wir sind ja keine Diktatur, oder ist da etwas an mir vorbeigegangen
Das lässt sich so pauschal nicht beurteilen, wenn man die historische Perspektive außer Acht lässt. Nach dem Krieg hatten wir bekanntlich 4 Besatzungsmächte, die dafür sorgten, dass wir Demokratie lernten, und 3 davon waren eben westliche Demokratien und jenseits der Elbe eine sowjetische. Es wurde also von Anfang an beeinflusst. Der von Stalin angebotene Neutralitätsstatus für ganz Deutschland wurde von Adenauer zugunsten einer Westbindung innerhalb der westlichen Sektoren verworfen. Lieber zwei Deutschländer als ein gemeinsames neutrales. dagegen waren die beiden extremen Flügel der Linken und der Rechten aus verschiedenen Gründen. Die Linken wollten nicht wieder in eine Blockbildung gefühjrt werden, die Nazis wollten sich nicht von den "Siegermächten" dreinreden lassen. In den Folgejahrzehnten ging die Tendenz bei den Linken eher zu Antiamerikanismus, weil dies zentraler Bestandteil des Antiimperialismus war. Von den Rechten war der extreme Flügel antiamerikanisch und antisowjetisch (Letztes aber auch bis weit in die Mitte, also CDU-Position), weil sie Westdeutschland für ein nur teilsouveränes Land hielten; sie wollten das, was sie nicht kriegen konnten: Ein Gesamtdeutschland unter rechtem Vorzeichen aber ohne Blockzugehörigkeit (und einige wollten die "verlorenen" Gebiete östliche der Elbe noch dazu). Noch zu meiner Schulzeit hing in der Klasse die Deutschlandkarte mit den Grenzen von 1937. Bei der DDR stand "sowjetisch besetztes Gebiet", bei Westpolen und Ostpreußen stand "unter polnischer Verwaltung", "unter sowjetischer Verwaltung" (Region Kaliningrad, das auf der Karte Königsberg hieß), und selbst um Großdanzig war eine Staatsgrenzenmarkierung, weiß aber nicht mehr wie das Gebiet dort genannt wurde. Mit der Wiedervereinigung tendierten die "neuen Bundesländer" eher Richtung Russland, verstärkt noch seit Putin, und viele, was man auch hier merkt, haben Probleme mit der westlichen Form von Demokratie und mit nicht Biodeutschen und würden daher gerne einige Artikel im Grundgesetz umschreiben lassen. Aber auch der Mitte und den Linken fällt seit Trump der Antiamerikanismus wieder leichter: bei so einer Person (non grata) darf man es ja, antiamerikanisch sein, für einige gehört es sogar zur staatsbürgerlichen Pflicht, und die ganz Rechten bemäkeln scheinheilig den grassierenden US-Rassismus, um vom eigenen abzulenken. Die USA werden als abschreckendes beispiel hingestellt für die zersetzende Kraft des Multikulturarismus und das Putin-Russland als leuchtenden Gegenentwurf für einen völkisch homogenen Staat gelobt unter Ausblendung der Tatsache, dass Russland nach wie vor ein Vielvölkerstaat ist.
lawine schrieb: wie sieht es mit Tibetern aus: haben die eine eigene, von Chinesen verschiedene Kultur, die erhaltens würdig ist?
Man spricht da glaube ich von beschränkter Autonomie. Schlimmer als in Tibet sieht es eigentlich in Xinjiang aus, nur sind die dortigen uigurischen bzw. "ostturkestanischen" Freiheitsbewegungen, wie sie sich nennen, alles andere als demokratisch, sondern eher terroristisch. Da spielt dann auch wieder die Ideologie von einem "Großturkestan", das alle Regionen mit türkischer Sprache umfassen soll, eine Rolle.
Wikipedia: Xinjiang conflictWikipedia: East Turkestan independence movementlawine schrieb:zählt das auch als künstlerische Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit??
Der künstlerische Umgang mit dem Holocaust, mit Ausländerhass und anderen, nichtdeutschen Perspektiven, ist ein sehr komplexer, den gibt es in der Popmusik z.B. schon seit den 1970er Jahren, angefangen mit Throbbing Gristle. Das Thema ist dermaßen komplex, dass ich dazu nicht Stellung nehmen kann, solange ich die gesamten Hintergrundverbindungen nicht kenne. Es wurden schon zu oft Künstler von der falschen Seite zu Nazis deklariert, die Antinazis waren, und umgekehrt. deine Pauschalurteile auf einen einzigen Zeitungsartikel hin kommen mir etwas aus der Hüfte geschossen vor, aber ich will da jetzt keine Gegenrede versuchen, weil mir der Gesamtzusammenhang nur unzureichend bekannt ist. Auch das Problem mit Fassbinders "Der Müll, die Stadt und der Tod" erhielt Kritik von der falschen Seite und wurde hämisch von rechten als antisemitisch hingestellt, obwohl die Sache wesentlich komplexer war. Aber immerhin hat es der Herr Fest damals geschafft, den Begriff "Linksfaschismus" zu kreieren.
Wikipedia: Der Müll, die Stadt und der Tod#Rezeption