Groucho schrieb:In einer Szene, die nichts mit der Realität zu tun hat, soll ein Wort, dass reale Menschen diffamiert, stehen bleiben, weil ja genau das mit dem Wort gemeint ist, was beschrieben wird.
Wow, die Argumentation finde ich noch bizarrer als zu behaupten Lisa Eckhardts Auftritte wären nicht antisemitisch und rassistisch
Groucho schrieb:Aber die Szene ist auch komplett over the top und fiktiv und durch das besagte Wort schafft bzw. hat man eine direkte Verbindung zu den Menschen die heute leben, real sind und durchaus mit dem Wort beleidigt werden.
Also wenn in einer fiktiven Geschichte fiktive Personen als "Neger" bezeichnet werden, dann diffamiert das reale Menschen, aber wenn in derselben fiktiven Geschichte fiktive Personen ausschweifend und dezidiert mit kolonialistischen Narrativen und Stereotypen - also genau das, was das Wort "Neger" zum Problem macht - belegt werden, kann man das einfach als fiktiv (wenn auch rassistisch) abtun?
Das finde ich hingegen bizarr und grotesk, denn an der Stelle kann man vermutlich nur noch esoterisch erklären, was denn genau das grundsätzliche Problem mit dem Begriff ist.
Es handelt sich dabei übrigens nicht um eine "Szene" sondern um ziemlich exakt die Hälfte des ganzen Buches. Das hätte man ahnen können, selbst wenn man es nicht gelesen hat und trotzdem Aussagen darüber macht, denn die Geschichte heißt "Pippi in Taka-Tuka-Land".
Wenn man die "Szene" in Neuauflagen ganz streicht, bekommt Pippi einen Brief, sie solle doch mal auf der Insel vorbei schauen und bleibt dann aber lieber zu Hause und schaut Fernsehen. Ende
Es ist genau diese Art von ahnunglosem Aktionismus gepaart mit der quasi religiösen Fokussierung auf ein Wort, die eine kritische Rezeption von vorne herein verhindert - oder sogar aktiv boykottiert, damit die "Negersager" ja nicht ihren Willen bekommen.
So kann Mutti jetzt guten Gewissens der kleinen Maybrit seitenweise kolonial-rassistischen Müll vorlesen und dabei romantisierend in eigenen Kindheitserinnerungen schwelgen, schließlich wurde ja niemand "Neger" genannt.
Und das ist noch grotesker.
Folgende Geschichte steht sinnbildlich für diesen Unsinn:
Gut zwanzig Leute versuchen zu verhindern, dass der Moderator (ich) eine Passage aus einem historischen Dokument vorträgt. Die Gruppe beginnt einen Tumult, brüllt und wird von einem die Contenance nicht mehr ganz wahrenden Moderator (auch ich) niedergebrüllt („Geht bügeln!“). Schließlich verlässt die Gruppe den Raum. Sharon Otoo, mit der zuvor abgesprochen war, dass das inkriminierte Wort in Zitaten verwendet werden würde, geht ebenfalls.
Bei dem Text, mit dem der Moderator (wieder ich) den Ärger der vornehmlich studentischen Aktivisten auf sich zieht, handelt es sich um die berühmte Rede von Martin Luther King aus dem Jahr 1963: „But one hundred years later the Negro still is not free.“ In der Übersetzung der amerikanischen Botschaft: „Aber einhundert Jahre später ist der Neger immer noch nicht frei.“
Noch mal: Antirassistische Aktivisten wollen verhindern, dass aus einer Rede, dass aus der Rede von Martin Luther King zitiert wird. Sie kreischen den Moderator (immer mich) an: „Sag das Wort nicht! Sag das Wort nicht!“
Schon zuvor halten sich einige dieser Aktivisten krampfhaft die Ohren zu, als der Moderator (also ich) aus einem saudummen Text von Adorno vorliest sowie die umstrittene Passage aus Otfried Preußlers Kinderbuch „Die kleine Hexe“, wobei das Wort „Negerlein“ fällt. Es ist dies ein zwangsneurotisches Verhalten, das man weniger bei aufgeklärten Menschen, Intellektuellen gar, vermuten würde und das an ganz andere Leute erinnert: An katholische Nonnen, die versehentlich auf Youporn gelandet sind („Weiche, Satan!“). Oder an Hinterwäldler in Pakistan, die mit Schaum im Bart und Schuhen aus Autoreifen an den Füßen gegen Karikaturen protestieren („Death to Amerikka!“).
Zwangsneurotisch und inquisitorisch
Ähnlich ist nicht nur der religiöse Abwehrreflex, ähnlich ist auch der inquisitorische Furor, mit man zu Werke geht. In diesem Zusammenhang also: Das Wort „Neger“ ist schlimm, schlimm, schlimm und muss weg, weg, weg.
Und zwar ganz egal, ob in Astrid Lindgrens „Pippi Langstrumpf“, einem Buch, das, Mely Kiyak hat zuerst darauf hingewiesen, von einem kolonialistischen Weltbild durchzogen ist, welches sich nicht dadurch wegretuschieren lässt, indem man „Negerkönig“ durch „Südseekönig“ ersetzt. Oder in Mark Twains „Huckleberry Finn“, einem antirassistischen Roman, dessen Figuren zwar so reden, wie man Ende des 19. Jahrhunderts in den Südstaaten geredet hat, in dem das Wort „Nigger“ aber vor allem eines ist: eine Anklage gegen die Sklavenhaltergesellschaft.
https://taz.de/Kolumne-Besser/!5068913/