Ich bin vielleicht voreingenommen aber ich muss immer lachen wenn man mit diesen "NATO ist komplett schuld"-Märchen kommt. Man kann darüber streiten, dass man nach dem kalten Krieg einen wirklichen nachhaltigen Schulterschluss verpasst hat. Meiner Kenntnis nach hat man sich, das kann man denke ich noch relativ objektiv sagen, voneinander entfernt, teilweise war man vorher und auch danach nicht zwingend in jedem Feld wertekompatibel.
Ich glaube das hat dann auch zu Grabenbildung irgendwo partiell beigetragen, zugleich glaube ich, dass aber eher Russland noch Öl ins Feuer goss aus rachsüchtigen niederträchtigen Motiven - weil man seine Großmannssucht nicht wirklich aufgab und anfing den Untergang der Sowjetunion als große Tragödie zu sehen. Da fängt es doch schon an mit dem Versuch die anderen zu, sorry für das 'Denglisch', "one-uppen", also immer zu übertrumpfen. Großmannssucht halt. Dazu kommt einfach nochmal die abweichende Wertekompatibilität (also vom politischen System her, gewissen gesellschaftlichen Bildern und Mentalitäten, etc.
Aber was ich eigentlich genauer hervorheben will und warum ich immer lachen muss: Das Kampfargument, die NATO hätte sich "ausgebreitet". Also ja, wenn man wachsen mit ausbreiten hier gleichsetzen will kann man das technisch so ausdrücken. Der Subtext vieler die aber die NATO (bzw. westliche Staaten, die NATO ist ja eher die Hand oder das geführte Schwert oder Schild, nicht das Hirn) als Hauptschuldigen ist, dass sie sich aggressiv ausgebreitet hätte wie eine Art invasives Geschwür dass einfach andere Länder einfach so überkommt und zack, konvertiert oder aufsaugt.
Dass das ein offenkundig falscher Spin ist (für mich zumindest) wird darin klar, dass die NATO niemanden in das Bündnis gezwungen hat. Im Gegenteil wollten gerade nach den Erfahrungen mit der Sowjetunion viele Staaten die unter ihr litten möglichst schnell in sie flüchten und mehr Ruhe vor künftigen russischen Stunts zu haben. Andere verzichteten und kamen lange mit Neutralität klar: Finnland, Schweden. Und, was passierte? Russland beging noch mehr "Stunts" - man flüchtete ergo wieder in die NATO.
Zudem müssen wie gesagt die einzelnen Länder und in Summe Völker bzw. die Mehrheiten in den Ländern, politisch wie anderweitig, für Aufnahme entscheiden und bemühen und gewisse Kriterien erfüllen. Wie gesagt, niemand wird in die NATO gezwungen.
Für freie Staaten gilt freie Bündniswahl, ja? Ja also, fällt das ganze Kampfargument schon in sich zusammen wenn man es mal ein bisschen genauer betrachtet.
Wenn sich Russland wiederum (geo-)politisch bedroht fühlt weil sein Einflussraum schwindet bzw. es nicht mehr so beliebig andere Staaten mit militärischer Gewalt überziehen kann weil die dann ihre ganzen, oftmals fähigen Freunde holen, ist Russlands Problem. Ich sage als Gegenbeispiel ja auch immer, wenn Mexiko lieber in die OVKS/CSTO (die 'östliche/russische NATO') wollen würde müssten die Amis halt in einer multipolaren Welt auch am Ende damit leben, wenn auch mit Zähneknirschen. Da die NATO von sich aus als Verteidigungsbündnis konzipiert war und Russland seit jeher seine defensive Nukleardoktrin hochhielt war eh absehbar, dass die NATO für Russland militärisch eigentlich keine Bedrohung geworden wäre. Also simpler: Es ist nicht so als hätte Russland zeitnah erwarten müssen, dass die NATO es angreift. Nuclear deterrence hat das geregelt.
Sehr wohl aber hat sich wohl Russlands politische Führung mockiert, seine letzten "Spielplätze" vor der Haustür an andere zu verlieren weil die nicht mehr wirklich mit Russland spielen wollten bzw. die pro-russische Führung in ihrem Land nicht mehr tolerierten. Wie rachsüchtig aggressiv Russland schon bei dem initialen Gedanken reagierte sah man ab 2014 an den hybriden Maßnahmen in der Ukraine mit Bullshit-Urlaubern und magisch bewaffneten größtenteils Fake-Separatisten die man künstlich seitens Russland hochgezogen hat um die Ukraine zu destabilisieren. Igor Girkin, damals maßgeblich mitverantwortlicher FSB'ler, gab das selbst freimütig zu.
https://www.sueddeutsche.de/politik/russischer-geheimdienstler-zur-ostukraine-den-ausloeser-zum-krieg-habe-ich-gedrueckt-1.2231494Den Beispielartikel hab ich damals als ich noch auf Twitter aktiv war bestimmt Dutzenden Kremlfreunden vor den Latz gehauen. Stritt man gerne aber ab bzw. hat es mit der Ausrede abgetan, weil es ja in der "Süddeutschen" stehen würde die ja böser Mainstream sei. Tja, die haben ihn halt auch nur zitiert und sich das nicht ausgedacht.
Ich habe mir sogar damals mal die Mühe gemacht eine Originalquelle aus russischen Medien rauszusuchen, zum Interview und den Aussagen von ihm. Hier als Webarchiv-Version. Kann jeder der kein Russisch kann mit Übersetzungstools selbst prüfen, ich habs damals gemacht.
https://web.archive.org/web/20151022094126/http://zavtra.ru/content/view/kto-tyi-strelok/Aber ich kürze mal ab ehe das wieder ein Aufsatz wird: Warum haben wir den ganzen Schlamassel? Weil ja, historisch einerseits beidseitig irgendwo eine Deeskalation nicht stattfand - erst mal feststellend gemeint...
... aber andererseits aus meiner jetzt subjektiveren und wertenderen Sicht Russland am Ende doch das Öl (oder mehr Öl, maßgeblich mehr Öl) uns Feuer goss. Weil Großmannssucht und man kann ja nicht riskieren, dass sich auch liberalere Demokratien vor der Haustür ausbreiten weil das das eigene System, das eher auf Machterhalt und Bereicherung ausgelegt ist, perspektivisch bedrohen würde, wenn dann sogar die letzten 'treudoofen' Russlandfreunde so langsam kippen bzw. die Gesellschaften sich einfach umorientieren. Wobei das in der Ukraine auch nicht erst 2013 losging, sondern als gesellschaftlicher Trend eh schon länger absehbar war. Dass man dann oftmals ab 2014+ konsequenter begann sein sowjetisches Erbe eher zu hinterfragen oder abzustreifen denn glorifizierend zu erhalten ist hier eigentlich mehr nur das "Endgame" aber nicht ein plötzlicher Trend. Aber auch kein Wunder, wenn man vom "großen Nachbarn" mehr oder minder als Vorhof oder sinngemäß kleiner behinderter Bruder, wenn überhaupt, wahrgenommen wird.