Wenn Hitler 1944 gestorben wäre...
31.10.2020 um 18:30
Ich war noch mal kurz im Thread-Archiv und habe eine olle Kamelle rausgeholt:
Ich möchte zunächst nur auf die "Luftschlacht um England" bzw. "Battle of Britain", kurz BoB eingehen. Für eine britische Luftfahrtzeitschrift schrieb ich anlässlich des 50. Jahrestages der BoB einen Beitrag "Losing the Battle - Why the Luftwaffe couldn't win", aus dessen deutscher Rohfassung ich auszugsweise zitieren möchte:
Der Versuch, GB ab Sommer 40 allein durch Luftangriffe "sturmreif" oder wenigstens an den Verhandlungstisch zu bomben, musste scheitern. Die deutsche Luftwaffenführung setzte seit dem Tod General Wevers und durch Fehleinschätzungen der Lehren aus dem spanischen Bürgerkrieg auf eine taktische Luftwaffe, nicht auf eine strategische. Insofern hatten die deutschen Militärs Douhet und Trenchard entweder nicht gelesen - oder nicht begriffen.
Die Entwicklung viermotoriger Langstreckenbomber wurde nach dem Absturz Wevers sofort eingestellt, Do 19 und Ju 89, beides Muster mit Entwicklungspotenzial (bei der Ju grösser als bei der Do), wurden verschrottet.
Die Luftwaffenführung setzte beim Aufbau auf Quantität statt auf Qualität, was sich spätestens im Luftkrieg um die britischen Inseln rächte. Do 17, He 111 und Ju 88 waren zu leicht, zu beschussempfindlich, Abwehrwaffen und Bombenlast waren zu gering, ebenso ihre Reichweite. Für den frontnahen Einsatz im Blitzkriegskonzept noch von einigem Wert, stiessen sie hier buchstäblich an ihre Grenzen.
Das auf dem Stuka-Konzept basierende Denkmodell der "fliegenden Artillerie" musste im strategischen Luftkrieg scheitern. Die Ju 87, in Polen, Skaninavien und im Westfeldzug noch dank absoluter Luftüberlegenheit einsetzbar, scheiterte an Spitfire und Hurricane. Zu lahm, zu schlecht bewaffnet.
Zur BoB trat die Luftwaffe mit etwa 700 Bf 109 an. Allein zahlenmässig reichte dies für die befohlene Doppelrolle, nämlich freie Jagd gegen die RAF und Begleitschutz für die Kampfverbände, nicht aus. Die geringe Reichweite, maximal bis London, begrenzte den Operationsraum auf Südengland. Und ohne Jagdschutz waren die Bomber hilflos.
Die Bf 110 hatte zwar eine grössere Reichweite und war gut bewaffnet- aber dieser konzeptionslos entwickelte "Zerstörer", der den Bombern mit überlegener Feuerkraft den Weg ebnen sollte, versagte spätestens im Kurvenkampf.
Bei der Rolle als Jagdschutz kam noch hinzu, dass beide Maschinen kostbare Treibstoffmengen durch Kurverei verloren, um die langsamen Bomber nicht zu verlieren.
Die Bf 109 hatte erhebliche Ausfälle, meist durch ihr bekannt schlechtes Fahrwerk, so dass die Klarstände selten 60% überschritten.
Die Chain Home Radarkette warnte die RAF rechtzeitig, die Operationsleitung vom Boden war sehr gut organisiert, hinzu kommen natürlich noch die hohe Motivation in der Heimatverteidigung, der logistische Vorteil der inneren Linie und die Tatsache, dass ein über eigenem Territorium ausgestiegener Pilot, zumindest theoretisch,in die nächste Maschine steigen und weiterkämpfen konnte, während auf den Luftwaffen-Piloten bestenfalls das PoW-Camp wartete.
Entgegen deutscher Hoffnungen (wie kann man Kriege auf "Hoffnung" basieren?) sank die Produktion der britischen Luftfahrtindustrie währen der BoB nicht ab, im Gegenteil, bei gleicher Ausgangsstärke (rd. 700 Jäger), betrug die Jägerproduktion pro Monat mehr als das Doppelte der deutschen Luftfahrtindustrie.
1940 waren Bombenzielgeräte (auf beiden Seiten) noch nicht so ausgereift, dass man zielgenau bei Schlechtwetter oder Nacht Präzisionsangriffe hätte fliegen können. Also blieb der Luftwaffe nur der Tag, der bekanntlich im Herbst und Spätherbst zu massiven wetterbedingten Ausfällen von Flügen und Maschinen führen musste.
Der Zielwechsel auf London, also weg vom Kampf um die Lufthoheit, vom möglichst präzisen Schlag gegen militärische, logistische und industrielle Zeile zum nächtlichen "Terrorangriff" auf die Zivilbevölkerung, markierte das endgültige Scheitern der Luftoffensive. In der Einschätzung der Wirkung von Nachtangriffen auf die Bewohner der Städte und ihre Auswirkungen auf die Moral und Produktivität irrte die Luftwaffenführung übrigens ebenso, wie später ihre allierten "Kollegen".
Selbst wenn die BoB für Deutschland siegreich ausgegangen wäre - was dann? Operation Seelöwe hatte als Voraussetzung die Ausschaltung der britischen Luftwaffe und Marine zum Ziel. Von dem einen wie von dem anderen war man weit entfernt. Schon die "Führerweisung Nr. 9" vom 29.11.39 konnte mangels Masse an Über- und Unterwasserschiffen nicht stattfinden. Eine ernsthafte Unterbindung der Zufuhr über See war undurchführbar und gelang in den Geleitzugschlachten um die britischen Inseln auch höchstens im Ansatz.
So wären denn wohl die Landungstruppen von "Seelöwe" am Strand verblutet, wie später die Briten und Kanadier in Dieppe, wenn die Home Fleet nicht schon die aus Rheinkähnen und Alsterdampfern zusammen gestückelte "Landungsflotte" im Kanal zu den Fischen geschickt hätte.
Übrigens stand für die militärische Führung Deutschlands die Entscheidung,die UdSSR zu überfallen, bereits im Juli 1940 fest, also schon deutlich vor Beginn der BoB. Dem "Kampf im Westen" wurde zu diesem Zeitpunkt bereits keine hohe Priorität mehr eingeräumt, die Luftwaffenrüstung wurde sogar zurück gefahren.
Als die Luftwaffe im Frühjahr 1941 ausgeblutet die BoB abbrach, viele meiner Kollegen weigern sich noch heute, richtigerweise zu sagen: verloren hatte, geschah dies nicht allein, weil sie sich gegen Osten wandte, sondern auch, weil zahlreiche ihrer besten Piloten und Besatzungen gefallen, verwundet oder gefangengenommen waren. Von diesem Aderlass hat sich die deutsche Luftwaffe bis zum 8. Mai 1945 nie wieder erholt.