chriseba schrieb:Ich weiß nicht, ich würde das nicht unterschätzen. Prigoschin spielte auch außerhalb seines Wagner-Unternehmens eine große Rolle im Kreml, Putin und er sind - davon kann man wohl ausgehen - recht eng miteinander. Zudem kann sich Prigoschin einiges erlauben, er ist ja nicht zuletzt auch Geheimnisträger, und hat eben einen Haufen erfahrener Söldner hinter sich, die dem durchschnittlichen russischen Soldaten jederzeit überlegen sind.
Ja, ich denke auch das Putin und Prigoschin gut vernetzt sind. Aber darüber hinaus hat Prigoschin sicherlich keine Freunde im Kreml. Nicht nachdem er sich mit Schoigu und Gerassimow angelegt hat, die ihrerseits sehr gut im Kreml vernetzt sind. Und ja, aktuell muss man Prigoschin wohl machen lassen, weil sonst die Bachmut-Front kollabiert. Aber Prigoschin nervt nicht erst seit ein oder zwei Wochen sondern im Grunde seit Kriegsbeginn. Es gab also zahlreiche Gelegenheiten ihn durch einen fügsameren Wagner-Chef zu ersetzen. Das wurde aber nicht getan.
Und das betrifft nicht nur Prigoschin und Wagner. Auch Girkin darf straflos meckern ohne Ende. Die Feldkommandeure der LNR/DNR, also der sogenannten Volksrepubliken, durften im Amt bleiben, trotz nachgewiesener militärischer Unfähigkeit. Ein Aufschrei in den russ. sozialen Medien beendete jeden Versuch diese Männer durch russ. Offiziere zu ersetzen. Hier steht natürlich das Verteidigungsministerium sehr blöd da: keine Autorität, keine Durchsetzungsfähigkeit, kein Plan. Aber am Ende fällt das auch auf Putin zurück. Und der bleibt da halt auch passiv, was ihn am Ende schwach aussehen lässt.
chriseba schrieb:Denkbar wäre natürlich dass Prigoschin selber Machtansprüche hat und diese mit seinem aktuellen Verhalten einfach nur forciert, indem er die Konkurrenz bloßstellt. Letztlich ist Putin nur so mächtig, weil er von mächtigen Personen gestützt wird. Und ich glaube auch nicht dass im Kreml wirklich jemand glaubt, den Ukraine-Krieg militärisch gewinnen zu können. Man gaukelt dem eigenen Volk nur unentwegt eine Stärke vor, die man schon lange nicht mehr hat. Von den vielzitierten und hochgejubelten Terminator-BMTs und den T14 Armata MBTs sieht man ja nichts. Von den Erstgenannten gab es einige Aufnahmen in div. sozialen Medien, aber halt auch nur recht wenige. Traut man eben jenen sozialen Medien, haben die ukrainischen Streitkräfte mittlerweile auch einen "Terminator" erbeutet. Die T14 Armata hat man bisher noch gar nicht in Aktion gesehen, außer auf Paraden in Moskau und einigen wenigen Bildern vom Erprobungsgelände. Das wirkt dann schon etwas unglaubwürdig, denn jeden Abschuss eines ukrainischen Panzers durch einen T14 würde man zu Propagandazwecken doch medial feiern ohne Ende.
Ich denke die maßgeblichen Politiker im Kreml glauben nach wie vor an den Sieg. Wie realistisch das ist, sei mal dahingestellt. Aber ihre Handlungen sind nicht die von Leuten, die aktiv nach einem Ausweg oder einem erträglichen Frieden suchen. Vielleicht ist Prigoschin da einfach realistischer oder er war oft genug direkt an der Front um zu wissen was da los ist. Aber ich denke die Leute im Kreml glauben nach wie vor an den Sieg.
chriseba schrieb:Stattdessen bringt man lieber Fake-Bilder von zerschossenen Leopard-Panzern aus Syrien in Umlauf. Egal, das eigene Volk schluckt das ohne zu zögern, wenn Papa Putin das sagt, wird das schon stimmen...
Was Propaganda angeht sind die Russen wahrscheinlich nicht ganz unfähig. Sie wissen sicherlich, das man solche Bilder leicht identifizieren und als Fake erkennen kann. Aber darauf kommt es meiner Ansicht nach auch gar nicht an. Hier zählt einfach nur die Masse. Eine riesige Menge von Vorwürfen, Beschuldigungen und Anklagen wirkt sich am Ende eben doch aus. Das sollte man nicht unterschätzen.
chriseba schrieb:Ich könnte mir durchaus vorstellen dass hochrangige Russen sich bereits in Stellung bringen für den Moment, in dem der Krieg auch offiziell verloren ist. Prigoschin bildet da wohl keine Ausnahme.
Ich sehe in einem Post-Putin-Russland keinen Platz für jemanden wie Prigoschin. Er hat keine Freunde im Kreml, so gut wie keine Oligarchen hinter sich und mit der aktuellen Militärführung hat er es sich gründlich verscherzt. Ich denke mal Prigoschin spricht nicht umsonst mit den Ukrainern. In einem Nachkriegsrussland hat er nur dann einen Platz sicher, wenn Putin an der Macht bleibt und ihn noch braucht. Beides ist meiner Meinung nach aber unwahrscheinlich.
parabol schrieb:Es ist ein Aufruhr, eine Revolte der Wagner-Gruppe, die nicht vollständig aufgerieben werden will - die Offiziere der Wagner Gruppe sind Söldner, die noch weiterleben wollen. Ausserdem wäre Prigoschin ohne seine Söldner bedeutungslos.
In der Bedeutungslosigkeit will Prigoschin sicherlich nicht versinken. Aber seine Söldner werden sofort nutzlos, sobald sie aufhören zu kämpfen. Das wäre das Todesurteil für Prigoschin. Also muss er sie weiterkämpfen lassen. Aber gleichzeitig zofft er sich ständig mit dem russ. Verteidigungsministerium, was am Ende wahrscheinlich auch sein Todesurteil sein wird.