@MonasterikerEs ist immer interessant zu wissen, mit wem man es zu tun hat, damit man sich seine Haltung besser erklären kann. Insofern danke, dass Du das Inkognito wenigstens teilweise gelüftet hast. Ich habe meinerseits damit noch weniger Probleme, muss mich meines Lebens und auch meiner Meinungen nicht schämen, weil sie eigenen, aus Erfahrung gewonnenen Überzeugungen entsprechen und schon deshalb keine "billigen Propagandatricks" sind. Also lass bitte diesen Ton, sonst steige ich aus dem Dialog aus!
Weiter oben schreibst Du
Monasteriker schrieb:Nur, dass Eingaben und Verbesserungsvorschläge stets so formuliert wurden, dass sie nicht an die Machtfrage rührten - also nicht die SED und deren Politik kritisierten, sondern Hinweise gaben, wie man es besser machen kann bzw. offensichtliche Missstände ansprachen und um Behebung seitens der zuständigen Stellen nachsuchten. Eingaben betreffs eines abgelehnten Ausreiseantrags z.B. wurden gern und häufig mit Gefängnis wegen "Herabwürdigung staatlicher Organe" oder ähnlichen Deliktvorwürfen aus der DDR-Terror-Rechtsprechung geahndet.
Also erstens stimmt es nicht, dass es bei den Eingaben ausschließlich um Verbesserungsvorschläge ging, sondern es waren hauptsächlich persönliche Belange. Zweitens widersprechen die durch die BRD-Justiz aufgedeckten/geahndeten DDR-Verbrechen/Vergehen trotz der Kinkelschen Weisung zur "Delegitimierung der DDR" (was eindeutig unzulässig war) in überzeugender Weise der gängigen Lesart und auch Deiner Formulierung. Mach Dich mal bei Wikipedia kundig. Im Vergleich zu dem ganzen Tamtam und x-tausend eingeleiteten Untersuchungen/Verfahren tendieren die Ergebnisse eher zu Null. Beispielsweise hätte man auch gegen Margot Honecker selbst dann nicht vorgehen können, wenn sie in Deutschland geblieben wäre. Weil gegen sie nichts juristisch Relevantes vorliegt. Habe ich im Verlauf des durch ihren Tod ausgelösten neuen Shitstorms u. a. bei Wikipedia recherchiert.
Aber drittens bringst Du die Machtfrage ins Spiel. Und da liegt doch der Hase im Pfeffer. Was hieß denn in diesem Zusammenhang Machtfrage? Es war/ist sehr leicht, die SED und ihre Politik nicht gut zu finden, wenn es, grob gesagt, um den DDR-Alltag ging/geht. Und selbst da war längst nicht alles, zeitweise sogar überwiegend, SED-/DDR- "hausgemacht". Doch dazu musste/muss man im Aussichtsturm eben eine Etage höher klettern und einen Rundblick auf die Lage der DDR in der damaligen Welt tun. Nicht wir bedrohten irgendwen militärisch oder ökonomisch und versuchten ihm mit allen Mitteln zu schaden, sondern wir wurden spätestens seit den Pariser Verträgen militärisch bedroht und ökonomisch mit Unterstützung der westlichen Besatzungsmäche bereits seit den ersten Tagen nach Kriegsende geschädigt, das dürfte doch wohl klar sein, oder? Falls nicht, könnten wir uns ja noch mal darüber austauschen.
Aktuell geht es mir aber um die Machtfrage. Man kann streiten, inwieweit die Macht praktisch durch Arbeiter und Bauern - also die Bevölkerungsmehrheit - ausgeübt wurde, da war leider viel Phlegma im Spiel - ich habe das bei den Plandiskissionen erlebt. Aber in ihrem Interesse doch ganz zweifelsfrei. Nimm die Bodenreform, die "Grundrechte der jungen Generation", das Arbeitsrecht, Gesundheits- und Sozialwesen, Kultur usw. und natürlich den Zugang zur Bildung - ab Mitte der 60er Jahre kamen 55% der Studierenden aus Familien von Arbeiter und Bauern, während deren Anteil in der BRD schon immer gering war und sich inzwischen dem einstelligen Bereich nähert. Ermöglicht wurde diese DDR-Politik bekanntlich durch Beseitigung der Macht des Junkertums/Monopolkapitals/seiner gesellschaftlichen Grundstrukturen und Installierung des volkseigenen/genossenschaftlichen Eigentums an den wichtigsten Produktionsmitteln. Und die "Machtfrage" stellen hieß doch letztendlich, diese Grundlagen liquidieren und die alten Ausbeutungsverhältnisse wieder herzustellen zu wollen. Das wurde, wenn man genau hinschaute, bereits bei den Drahtziehern der Aufstände in Ungarn und CSSR sichtbar, und nach 1989 gab es dann keine Hindernisse mehr. Wirklich zum Wohle der Bevölkerungsmehrheit? Aus meiner Sicht nicht, und auch sämtliche Analysen/Statistiken sprechen dagegen, Du weißt das doch selbst. Unstrittig sind sogar die negativen Folgen beispielsweise für die "abhängig Beschäftigten" und alle sozial Schwächeren der Alt-BRD. Denn nur so lange die DDR existierte, musste man wohl oder übel den "Sozialstaat" mimen - dafür geht es nun desto schneller bergab mit ihm.
Aber erst wenn man im Aussichtsturm noch eine Etage höher steigt, erkennt man das Allerwichtigste, und das war auch der Ausgangspunkt meiner weiter oben verlinkten Überlegungen: Da geht es schlicht um das Überleben der Menschheit, die in der Gegenwart mehr denn je abhängig ist von Krieg oder Frieden. Und da trägt nicht der Sozialismus, sondern - frei nach Jaurès - der Kapitalismus den Krieg in sich wie die Wolke den Regen. Das führte bereits zu zwei Weltkriegen. Der beabsichtigte dritte scheiterte daran, dass Sowjetunion und die anderen sozialistischen Staaten unter größten materiellen Opfern ein militärisches Kräftegleichgewicht erreichten. Wie es um die Gegenwart bestellt ist, kann jeder sehen. Die politische Entwicklung der Industrienationen geht erneut nach rechts, tendiert teilweise sogar zum Faschismus, und nach Einschätzung vieler maßgeblicher Politikwissenschaftler hat der 3. Weltkrieg inzwischen bereits begonnen. Denn die Interessengegensätze innerhalb der imperialistischen/kapitalistischen Welt nehmen zu und werden trotz aller schönen Reden irgendwann unweigerlich zur Explosion führen. Mit Folgen für uns alle, die man sich lieber nicht vorstellen möchte.
Erscheint da nicht der Rückblick auf die Zeit des ersten europäischen Sozialismusversuchs (und sogar die des "Unrechtsstaats" DDR) in anderem Licht? Übrigens auch der "Putsch politischer Hasardeure" im Oktober 1917 unter Lenin. Historisch belegt sind vorangegangene Wahlsiege der Bolschewiki in Petersburg, Moskau usw. sowie die Beteiligung/Sympathie von Hunderttausende/Millionen
kriegsmüden russischen Soldaten/Zivilisten. Denn Kerenski setzte den Krieg fort, während Lenin sein Versprechen hielt, ihn sofort zu beenden. Was ich im Gegensatz zu Putin für das einzig Richtige halte.
Über die Verhältnisse in der späteren Sowjetunion und speziell über Stalin sollten wir uns hier nicht streiten, da sind wir mehr oder weniger alle auf sich meist widersprechende Forschungsergebnisse/Literatur angewiesen.
Aber ich kann hier mal zumindest einen Link zum Interview mit dem 2011 verstorbenen
Walter Ruge setzen, der beide am eigenen Leibe erlebt hat. Lass Dich überraschen! Ich besitze zwei seiner Bücher, die mich tief bewegt haben,
https://antinazi.wordpress.com/2007/04/08/walter-ruge-interview-mit-einem-deutsch-sowjetischen-antifaschisten/ (Archiv-Version vom 08.05.2012)Übrigens war Walter Ruge der Onkel von
Eugen Ruge, einem der Träger des Deutschen Buchpreises, der offenkundig nicht zuletzt nach politischen Gesichtspunkten verteilt wird. Deshalb überraschte mich der über Wikipedia kurz recherchierte Inhalt seines Meisterwerkes nicht, ein bei youtube aufgestöbertes Interview mit ihm dagegen schon.
Er wirkt nicht unsympathisch, hat ein hoch politisches Buch über seine (kommunistische) Familie und die DDR geschrieben, fühlt sich aber unpolitisch. Die DDR? Naja, im Vergleich zur UdSSR harmlos. Die Mauertoten? Jeder einer zu viel, aber trotzdem im Vergleich zum "Stalinschen Terror" unbedeutend. Weshalb er 1988 die DDR in Richtung BRD verließ? Ihm war langweilig, es war alles so schön abgesichert bis zur Rente, und er wollte im Urlaub mal woanders hinfahren als nach Bulgarien. Die heutige BRD? Hm. So richtig gefällt sie ihm nicht - Abgeordnete müssen Parteidisziplin üben, anstatt ihrem Gewissen/Wählerinteressen zu folgen. Außerdem der Lobbyismus usw. Geht er zur Wahl? Nein, ist Wahlverweigerer. Fühlt sich aber irgendwie als Linker und würde SPD wählen, wenn sie noch eine richtige SPD wäre. Gegenwärtig allerdings nicht.
Selbst den Machern des Interviews bot das Ganze offenbar so wenig Substanz, dass sie es durch Beimischung der üblichen Horrorvideos von Stacheldraht, Mauer, Mauermuseen usw. kräftig aufzupeppen versuchten und - weil der gute Eugen Ruge u.a. auch Marathon läuft ist, Minuten lang irgend einen anderen Läufer begleiteten, der - so weit ich das mitgekriegt habe - mit dem eigentlichen Thema überhaupt nichts zu tun hatte. Schwache Leistung, würde ich meinen.
Im übrigen ist die die Familie Ruge tatsächlich hoch interessant. Und der oben verlinkte Walter wsogar Mitglied und Autor unseres (Nachfolge)Kollektivs von DDR-Zeitzeugen. Leider habe ich ihn nie persönlich kennengelernt.