Find ich gut, die Analyse:
Koalitionsoptionen der SPD: Etwas mehr Links wagen
Eine Kolumne von Jakob Augstein
Merkelmania hat das Land erfasst. Offenbar wird übersehen: Die schwarzgelbe Regierung hat die Wahl verloren. Der Sieger ist die Mehrheit links der Mitte. Die SPD muss etwas daraus machen.
Am Wahlabend sonnte sich die Kanzlerin in ihrem Glanz: "Das haben wir toll gemacht!", rief Angela Merkel lächelnd. Aber stimmt das? Absolut Angela? Merkel Superstar? Wäre Merkel Königin oder Präsidentin, sie könnte sich als Wahlsiegerin feiern. Aber so monarchisch ist die deutsche Kanzler-Demokratie dann doch nicht. Als Kanzlerin hat Merkel die Wahl verloren. Ihre Regierung ist abgewählt. Eine eigene Mehrheit hat sie nicht. Die Opposition hat gewonnen.
Ein Blick auf die Zahlen hilft. Im Vergleich zu 2009 hat schwarz-gelb Stimmen verloren. Für eine gemeinsame Regierung reicht es schon deshalb nicht, weil unter Merkels Händen die FDP verstorben ist. Merkel hatte ihren Koalitionspartner am Ende wie ein kleines Hündchen behandelt. Und jetzt schickt der Bundestag die FDP vor die Tür: Liberale, bitte draußen warten. Das kam so überraschend, da ging das viel erstaunlichere Ergebnis irgendwie unter: in Deutschland festigt sich eine gesellschaftliche Mehrheit links der Mitte. Sie ist schmal, aber stabil. Wenn die SPD will, dann könnte die Zukunft rot-rot-grün sein.
"Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg", sagte Klaus Wowereit im Fernsehen - und brachte der Kanzlerin seinen Respekt entgegen. Die adernauerschen Dimensionen, in die Merkel vorgedrungen ist, machten selbst die Konkurrenten von der SPD ganz benommen. Darüber vergaßen die Sozialdemokraten ganz, sich selbst als die Gewinner der Wahl zu feiern. Rot-rot-grün verfügt nämlich über 42,7 Prozent der Stimmen, das ist mehr als die Union mit ihren 41,5 Prozent. Jetzt müsste sich die SPD nur noch als Teil einer solchen - linken - Mehrheit begreifen.
Die Leute haben Merkel gewählt - nicht ihre Regierung
Merkels Erfolg ist gleichzeitig ihr Verhängnis. Die Leute haben nur sie gewählt - nicht ihre Regierung. Es war eine schöne Frage, die der Kanzlerin an diesem Abend gestellt wurde: "Muss jede Partei, die mit Ihnen koaliert, mit dem politischen Ableben (FDP) oder schweren Stimmverlusten (SPD) rechnen?" In ihrer Antwort lieferte Merkel ihre eigene Karikatur: "Es gibt viele Menschen in Deutschland, die finden, dass wir in einem ganz guten Land leben."
Die Wahrheit ist, dass Merkels Kurs der gnadenlosen Mitte das deutsche Politiksystem durcheinandergewürfelt hat. Die FDP - überflüssig. Die SPD - verzwergt. Die Grünen - geschwächt. Und am rechten Rand erhebt eine neue reaktionäre Kraft ihr Haupt. Ob die AfD die Neigung zum Zerfall übersteht, die alle neuen Parteien nach ihrer Gründung befällt, wird man sehen. Ihre Chancen stehen gut: denn sie gibt den "Traditionskonservativen" eine neue Heimat, die Merkel ihnen genommen hat. Karl Theodor zu Guttenberg hat, sicher zur Freude der Kanzlerin, kurz vor der Wahl in einem Zeitungsartikel extra noch einmal auf diesen Umstand hingewiesen.
Nur die Linken bleiben sich treu. Sie sind in Hessen nicht gescheitert, haben sich im Bund anständig gehalten und vor allem haben sie bewiesen: sie kommen auch ohne Oskar Lafontaine zurecht. Gutgelaunt rief Gregor Gysi seinen Leuten zu: "Wer hätte 1990 gedacht, dass diese Partei die drittstärkste Kraft der Bundesrepublik Deutschland wird." Das klang wie ein frecher Scherz, war aber nur eine Darstellung des Wahlergebnisses.
Es geht ein Riss durchs Land
Für die CDU bleibt das nicht ohne Folgen. Man würde nur ein bisschen übertreiben, wenn man sagt: Merkel hat die CDU zu Tode gesiegt. Denn die Kehrseite ihres Erfolges ist: es geht ein Riss durch das Land. Etwa die Hälfte der Leute will, dass Merkel weiter wurstelt - anders kann man ihre Politik der kleinen, unentschlossenen Schritte kaum nennen. Die andere Hälfte will einen Politikwechsel: höhere Steuern für Wohlhabende, mehr soziale Gerechtigkeit, mehr europäisches Engagement.
Es ist eine kuriose Situation: Die vermeintliche Siegerin Merkel ist jetzt in Wahrheit Angela Ohneland. Und der vermeintliche Verlierer SPD könnte das Blatt für sich wenden - wenn er denn wollte. Die SPD muss dafür ihre neue Rolle akzeptieren. Die Ära der großen, sozialdemokratischen Volkspartei ist vorüber. Ob 23 Prozent bei der letzten Wahl oder knapp 26 Prozent jetzt - die SPD steht mit ihrem Signum schon lange nicht mehr für die linke Gegenkraft, die sich dem Primat des Ökonomischen entgegenstellt. Die SPD ist nur noch die führende Oppositionspartei. Nicht mehr, nicht weniger. Es ist Zeit, umzudenken. Die SPD ist jetzt der Primus inter Pares der linken Opposition. Sie hat die Aufgabe, Grüne und Linke unter ihrer Führung zu einer neuen, linksliberalen Regierung zusammenzufassen.
In Hessen ist das deutlicher geworden als im Bund. Hier ist der Abstand nicht groß - aber in der Demokratie gilt: Mehrheit ist Mehrheit.
Als die Zahlen der SPD bekannt waren, sagte Thomas Oppermann, Geschäftsführer der SPD-Fraktion: "Das ist kein Auftrag der Wähler, um Gespräche über die Regierung zu führen." Vermutlich hat Oppermann Recht. Aber er macht damit auf ein Versäumnis der SPD aufmerksam. Es gibt eine Mehrheit gegen Merkel - aber die SPD als stärkste Oppositionskraft vermag sie nicht zu nutzen.
Die Sozialdemokraten müssen dieses Versäumnis endlich wettmachen. In Hessen haben sie die Gelegenheit, das Land an Rot-Rot-Grün als politisches Modell der Zukunft zu gewöhnen. Die SPD muss dafür einen neuen Kurs aufnehmen. Und dazu gehört dann auch, sich einer großen Koalition im Bund zu verweigern. Man mag sich nicht vorstellen, in welchem Zustand die SPD aus einer weiteren Legislaturperiode an Merkels Seite herauskäme. Gäbe es die Partei dann überhaupt noch? Das Beste wären Neuwahlen.
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/augstein-kolumne-spd-sollte-nach-bundestagswahl-mehr-links-wagen-a-923917.html