@XKetanXXKetanX schrieb:(Verzeiht wenn ich dieses alte Thema herauskrame, aber ich finde es sehr spannend und wollte dazu etwas beitragen)
Kein Problem, ist ja kein Chat, sondern eben ein Forum.
:)Wir waren hier in der Analyse eigentlich auch schon recht weit, wenn auch nicht einig...
Zunächst ein paar grundsätzliche Dinge:
XKetanX schrieb:Immanuel Kants Kritik der reinen Vernunft
Echt jetzt?! Liest du etwa auch die Bücher von Gregor Mendel, wenn du etwas über die moderne Evolutionsbiologie wissen willst?
Sorry, aber Kant ist einfach veraltet. Kant lebte im 18. Jahrhundert, wusste bspw. weder etwas vom Urknall, noch von der Existenz von Atomen. Für ihn lagen bspw. Fragen nach dem Anfang des Universums oder kleinsten Bausteinen der Materie nicht nur jenseits jeglicher Empirie, sondern waren sogar prinzipiell unlösbar (=> Kant'sche Antinomien). 1808 legte John Dalton sein berühmtes Atommodell vor, da war der gute Kant schon vier Jahre tot... Und von der modernen Teilchenphysik bis hin zur Kosmologie hatte der arme Kauz erst recht keinen blassen Schimmer. Naja, wenigstens kommst du uns nicht mit der Bibel...
Was Kant ebenfalls nicht kannte - das
Semiotische Dreieck, welches Ausgangspunkt zumindest meiner Überlegungen ist:
Wikipedia: Semiotisches DreieckIch werde jetzt nicht alles wiederholen, was schon bei Wiki steht, aber es lohnt sich zumindest der Abschnitt:
Wikipedia: Semiotisches Dreieck#Das semiotische Dreieck in vereinfachter BeschreibungDemnach gibt es also:
1. Dinge, Gegenstände, Sachverhalte, Ereignisse bzw.
Fakten2. Zeichen, Symbole, Wörter, Benennungen, Symbole bzw.
Bezeichnungen3. Begriffe, Vorstellungen, Gedachtes bzw.
KonzepteFakten bestehen unabhängig von uns Menschen, werden von uns entdeckt und sind objektiv.
Bezeichnungen und Konzepte sind vom Menschen erfunden und insbesondere letztere sind subjektiv.
Beispiel:'Atom' ist eine
Bezeichnung und besteht nicht aus Protonen, Neutronen und Elektronen, sondern aus vier Buchstaben. Und auch wenn wir uns auf
Fakten in der Realität beziehen, sind unsere Vorstellungen bzw.
Konzepte von Atomen subjektiv und nicht zuletzt auch stets dem aktuellen Stand der Wissenschaft verschuldet (=>
Liste der Atommodelle).
Das gilt selbst für so einfache Dinge wie Baum, Wald, Stuhl oder Tisch. Es gibt zwar Fakten, auf die wir uns mit diesen Konzepten beziehen, aber die Natur selbst kennt diese Konzepte nicht. Sie weiß nicht, was genau - bspw. welcher Baum, Stein, Zweig oder Krümel - noch alles zu "Wald" gehört und was nicht.
Letztes Beispiel: Planet. Warum gibt es nur noch 8 Planeten in unserem Sonnensystem, nicht 9...? Ist einer explodiert? Nein, geändert hat sich nur eines: Unser Konzept bzw. unsere Vorstellung hinter der Bezeichnung 'Planet'. So gesehen gibt es Planeten also überhaupt nicht, sondern nur Fakten, auf die wir uns mit unserem Konzept hinter der Bezeichnung 'Planet' beziehen, oder auch nicht.
XKetanX schrieb:Hängt die Zahl, die wir einem "Zählding" zuordnen, unmittelbar an dem Zählding an oder denken wir uns nur die Zahl in das Zählding hinein?
Wie du nun hoffentlich einsiehst, unterscheidet sich das in keinster Weise von dem, was ich oben schon darlegte: Planet hängt nicht unmittelbar an Pluto, sondern denken wir uns nur in das "Ding" (ich würde wirklich lieber von
"Fakten" sprechen...) hinein - oder auch nicht.
XKetanX schrieb:Es sind latente (in uns verborgene) mathematische Vorstellungen.
Konzepte der Mathematik, ja.
Dem füge ich hinzu:
- Konzepte der Physik
- Konzepte der Chemie
- Konzepte der Biologie
- Konzepte der Geologie
- Konzepte der Astronomie
- Konzepte der Kochkunst
- Konzepte, Konzepte, Konzepte...
Seit der Menschen denken kann, erfindet er Konzepte am laufenden Band! Und das nur, um sich die Natur irgendwie begreifbar zu machen. Die Natur* kennt all diese Konzepte nicht.
*man beachte, dass es sich auch bei "Natur" nur um ein Konzept handelt, deshalb spreche ich - wie gesagt - lieber von
Realität bzw. Fakten stellvertretend für
alles, was der Fall ist (gänzlich ohne Konzepte kommt man letztendlich nicht aus - das ist in etwa so, als würde man über etwas sprechen wollen, ohne Sprache zu verwenden...)
XKetanX schrieb:Gehen wir über das Zählen hinaus, bleibt natürlich oftmals die Frage was eigentlich eine "Zahl" ist, wenn wir alle Anschauungen von ihr hinwegnehmen und da müssen wir notwendigerweise feststellen, dass die Zahl ein abstraktes Konzept ist, denn in ihr selbst spielt die Zeit keine Rolle mehr (wir haben keine konkrete Anschauung von der Zahl selbst).
Eine Frage, über die sich schon viele große Philosophen und Mathematiker den Kopf zerbrochen haben (ich bin immer noch traumatisiert von Frege...).
Aber sicherlich kann man sich darauf einigen, dass Zahl bzw.
Anzahl ontologisch in die gleiche Kategorie gehört wie
Menge, Abstand oder Form. Wir könnten also auch fragen, ob es
Mengen, Abstände oder Formen wirklich gibt. Für mich sind es schlichtweg (mathematische) Konzepte, die sich auf reale Fakten beziehen. So wie sich die Konzepte "Erde" und "Mond" auf reale Fakten beziehen, auch wenn es nicht die Konzepte ("Erde", "Mond" oder "Planet") selbst sind, die real existieren. Und in diesem Sinne ist für mich der
Abstand zwischen Erde und Mond genauso real wie
Erde und
Mond selbst. Oder auch die
Zahl oder Anzahl - etwa der Planeten in unserem Sonnensystem.
XKetanX schrieb:Ein weiteres Beispiel ist der Speerwurf des Steinzeitmenschen (Speerschleuder) oder auch ein recht modernes Beispiel das Werfen einer Papierkugel und genaue Treffen des Mülleimers. Hier denken wir nicht reflektierend darüber nach welche genaue Parabel wir benötigen...
Auch hier würde ich bspw. sagen, dass die Trajektorie des Objekts genauso real ist wie das Objekt selbst. Oder besser ausgedrückt: Wir beziehen uns mit dem (mathematischen) Konzept "Trajektorie" auf reale Fakten (so wie wir uns mit dem scheinbar banalen Konzept "Papierkugel" auf reale Fakten beziehen)...
XKetanX schrieb:Und dennoch findet unterhalb der Schwelle des reflektierenden Denkens aber weiterhin ein Denkvorgang statt, nur eben ein latenter. Also müssen wir bereits diese latenten Vorstellungen in uns haben. D.h. die Krux ist eben nicht, dass wir nach außen gucken müssen, sondern nach innen. Die Mathematik gehört nicht dem Äußeren, sondern dem Inneren, dem Ich an. So gesehen "entdecken" wir also tatsächlich Mathematik, nur eben nicht in der Natur, sondern in uns, die wir in die Natur hineinverlegen. Wir holen nur die latenten Vorstellungen ans Licht des Bewusstseins, sodass wir nun auch darüber reflektierend denken können.
Ja, und spätestens hier fängst du halt an, dich übelst zu verzetteln. So als ob "Papierkugel" objektiv und unabhängig von uns Menschen existieren würde. Doch die Natur kennt weder Papier, noch Kugeln. Spätestens bei letzterem müsstest du mir auch zustimmen, ist doch "Kugel" (oder allg. "Form") letztendlich genauso ein mathematisches Konzept wie "Anzahl" oder "Zahl". "Papierkugel" ist also kein intrinsisches Merkmal bzw.
"gehört nicht dem Äußeren", so wie weiter oben auch schon bei "Planet" gesehen, sondern ein (erdachtes und erfundenes)
Konzept, welches wir
etwas, das der Fall ist, überstülpen.