Ist Mathematik konstruiert oder hat sie eine ontologische Wirklichkeit? Dies gehört zweifellos zu den faszinierendsten philosophischen Fragen, die man sich meiner Auffasung nach stellen kann.
Innerhalb der Wissenschafts-und Philosophiegeschichte waren sich Gelehrte uneins und spalteten sich in verschiedene Lager; wobei Mathematiker selber mehr zu diesem Platonismus - also hier, dass mathematische Objekte tatsächlich eine objektive Existenz innehaben - neigten. Diese Debatten samt ihrer verschiedenen Strömungen (vom Logizismus des 19. Jahrhunderts bis zum Strukturalismus / Nominalismus seit des 20. Jahrhunderts) innerhalb der Philosophie der Mathematik könnte man wahrscheinlich stundenlang behandeln, weswegen ich mich eher auf die Kernfrage des Themas fokussieren möchte.
Einleiten möchte ich, indem ich kurz Kurt Gödels Platonismus dazu wiedergebe: Er war - kurzgesagt - der Überzeugung, dass alle mathematischen Entitäten uns durch den Intellekt als eine Form der Erfahrung zugänglich seien und in diesem Sinne genauso objektiv seien wie physikalische Objekte. Wir haben also einen Zugang zur Mathematik, der ähnlich intuitiv sei wie unser Zugang zu den Naturgesetzen, wenn man so möchte. Dies zöge nach sich, dass wir ebenso einen intuitiven Einblick in die "Richtigkeit" von Axiomen haben und gewissermaßen entscheiden können, ob etwas mathematisch eher richtig sei oder nicht. Dass wir uns dabei irren können, sei ebenso eine Folge jenes Zugangs zum mathematischen Ideenraum.
Ich denke, Gödel war hier auf einem interessanten Weg. Ich würde selber nicht sagen, dass eine mathematische Intuition dieser Art einen Platonismus (logisch notwendig) impliziert (oder vice versa). Diese Intuition könnte zum Beispiel als eine Art "Spandrel" betrachtet werden, welche aus unserer biologisch determinierten Fähigkeit zum systematischen Denken hervorgegangen ist.
Das Interessante aber, das wir konstatieren können, ist, dass mathematische Resultate uns logische Grenzen setzen, die für *alle* Universen gelten, also nicht nur für unseres, in welchem bloß eine spezifische Menge von Naturgesetzen instantiiert werden. Beispielsweise könnten wir in keinem möglichen Universum einen Supercomputer bauen, welcher das Halteproblem löst oder kein (formales) System entwerfen, für welche Gödels Unvollständigkeitssätze NICHT gelten würden.
Spinnen wir diesen Gedanken ein wenig weiter. Wir können uns bspw. allerlei verschiedene formale Systeme ausdenken, die nach ihren eigenen Alphabeten, Axiomen/Schlussregeln etc. agieren; wir können dementsprechend allerlei Sätze (Theoreme) aus jenen herleiten, die unabhängig von anderen Systemen existieren können.
Was wir hier aber feststellen ist: Es scheint, als hätten wir dieses Systeme "erfunden" und konstruiert, aber wir können diese nicht mehr "zerstören". Was martialisch klingt, meint aber etwas ganz Banales; ich definiere es informal wie folgt: Sobald wir ein solches System entdecken und beschreiben, ist es in einem Träger (sei es unser Bewusstsein oder eine mögliche Welt) instantiiert und fix. Wir können es nicht "zerstören", indem wir zum Beispiel sagen: "Ich leite einen wahren (oder falschen) Satz X ab, indem ich *keinen* Gebrauch von einer bestimmten Axiomen bzw. Regeln X
i, ... , X
n mache". Oder in vielleicht weniger kryptischen Form: Man kann innerhalb eines (abgeschlossenen) logischen Systems nicht dessen logischen Gesetze brechen. Hierbei ist natürlich unbedingt zu beachten, dass die Unvollständigkeitssätze keinen "Gesetzesbruch" o.ä. darstellen; im Gegenteil, es ist lediglich die Konsequenz einer Eigenschaft hinreichend mächtiger Systeme, welche die Arithmetik (Zahlentheorie) enthalten.
Dies verleitet dann schlussendlich zu der Frage: "Kann ich etwas, was an sich nicht 'zerstörbar' ist, überhaupt konstruieren? Oder habe ich es bloß entdeckt?"
Noch ein kurzes Wort zur mathematischen Ursuppe:
Das Fundament der Mathematik, mit welchem Mathematiker arbeiten, ist die Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre (Auswahlaxiom inkludiert), doch das Fundament lässt auch alternative Formulierungen in Sprachen zu, die völlig andere Grundlagen verwenden, namentlich: Homotopietypentheorie (siehe
Wikipedia: Homotopy type theory ), welches auf einer intuitionistischen Basis fußt.
Wie auch immer man die Mathematik letztendlich formuliert: Die ihr zugrundeliegenden Zusammenhänge sind, wie ich darlegte, logischer Natur und ich vermute, dass das, was wir mit ihr beschreiben, letztendlich Instanziierungen genau jener "Natur" sind, also tatsächlich eine objektive Realität besitzen. Doch WICHTIG: Diese Ansicht ist nicht äquivalent zu einem Platonismus, der schlicht alle mathematischen Objekte als *real* o.ä. ansieht. Es reicht bereits, wenn eine Instantiierung im eigenen Bewusstsein vonstatten geht, damit ein solches System realisiert ist. Ob also viele oder unendlich viele Universen existieren, die alle möglichen Systeme realisieren oder letztendlich alles sogar auf wenigen, mathematischen Grundkörpern basiert, ist damit nicht sicher gesagt, obgleich ich es als offen betrachte.
So, das sind meine noch vergleichsweise groben Gedanken zu dem Thema, die ich aber seit langer Zeit sammelte und hier mal loswerden wollte.
:)