@pfefferia Wie der Bremer Spuckstein ein Hakenkreuz bekam
27. August 2013
Der Spuckstein auf dem Bremer Marktplatz erinnert an die Giftmörderin Gesche Gottfried. Er markiert die Stelle, an der ihr am 21. April 1831 der Kopf abgeschlagen wurde. Doch die dramatische Geschichte des Spucksteins endete damit noch nicht: Genau 100 Jahre später wurde er in die politischen Unruhen am Ende der Weimarer Republik hineingezogen. Alice Echtermann hat die Geschichte aus den Dokumenten des Bremer Staatsarchivs rekonstruiert.
Spuckstein
Im April 1931 machte der Sattler Johann Wiele aus dem Kreuz auf dem Bremer Spuckstein ein Hakenkreuz zum Draufspucken.
Es war eine unruhige Zeit, im April 1931. Die junge Weimarer Demokratie wurde erschüttert von den Parolen der Links- und Rechtsradikalen. Auch in Bremen waren Straßenschlachten zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten an der Tagesordnung.
Hakenkreuz zum Draufspucken
In dieser Zeit war alles politisch, alles war Konflikt – sogar der einhundertste Jahrestag der Hinrichtung von Gesche Gottfried. Ein Mann brachte sozusagen den Stein ins Rollen: Alfred Faust, Bürgerschaftsabgeordneter und Redakteur der sozialdemokratischen "Bremer Volkszeitung". Nach dem zweiten Weltkrieg wurde er Pressesprecher des Senats. Am 21. April 1931 schrieb er in seiner Kolumne "Rund um den Fangturm":
"Hundert Jahre Schmach und Verachtung für die Giftmörderin sind genug. Man sollte also rücksichtslos und pietätlos den Stein des täglich bekotzten Anstoßes entfernen und ihn durch einen gewöhnliches Pflasterstein ersetzen.
Sollten die Bremer, insbesondere die Bremerinnen, es nicht über ihr Kulturherz bringen, von dieser Sitte abzulassen, so gäbe es einen Ausweg: Ein mutiger Steinmetz ergreife im Schutze der Nacht Hammer und Meißel und meißele vier Querstriche an die Schenkel des Kreuzes. Dann bespeien am anderen Morgen die Marktfrauen ein frisches Hakenkreuz! "
Alfred Faust: "Da hab ich was angerichtet!"
Alfred Faust (1883 - 1961) löste mit seiner Idee eine politische Affäre aus.
Was wie eine in den Raum geworfene Provokation klang, löste eine politische Affäre aus. In der folgenden Nacht wurde die Ruhe auf dem Domshof gestört. Polizeiwachtmeister Gerhard Schultz war gerade mit dem Fahrrad auf Streife. Gegen vier Uhr morgens hörte er Hammerschläge aus Richtung des Doms. Er fuhr hin und sah "eine männliche Person in Höhe des Gesche-Gottfried-Steins am Erdboden" liegen und meißeln. Der Mann floh, doch Wachtmeister Schultz konnte ihn stellen.
Es war Johann Wiele, der das Kreuz auf dem Gesche-Gottfried-Stein in ein Hakenkreuz umgemeißelt hatte. Der 37jährige Wiele war Anhänger des "Reichsbanners". Dieses militante, linksdominierte Bündnis war im Kampf gegen die Nazis ganz vorne dabei. Alfred Faust freute sich in seiner nächsten Kolumne diebisch über die Folgen seines Vorschlags: "Da hab ich mal wieder was angerichtet! Da sage noch einer, es gäbe keine zündenden Ideen mehr!"
Spuckstein wurde aus dem Pflaster entfernt
Die Nationalsozialisten, die damals nach der SPD zweitstärkste Kraft in der bremischen Bürgerschaft waren, fanden das Ganze gar nicht lustig. Es folgte ein Hin und Her, was mit dem Hakenkreuz-Stein passieren sollte.
Und Anfang Mai 1931 kam aus dem Straßen- und Brückenbauamt ein Vorschlag: Da der Gesche-Gottfried-Stein für Bremen kulturgeschichtlichen Wert habe, solle er aus dem Pflaster entfernt und von einem Steinmetz wiederhergestellt werden. Allerdings ohne ein Kreuz auf der Kopffläche, denn die Einmeißelung des Kreuzes sei "nicht zu empfehlen, da es zu Wiederholungen ein Hakenkreuz daraus zu machen bestimmt anreizen würde." Wiele sollte glimpflich davonkommen, wenn er die Wiederherstellung bezahlen würde.
Gesagt – getan: Am 2. Juni 1931 beschloss der Bremer Senat die Entfernung des Steins. Er wurde eine Woche später dem Focke-Museum übergeben. Dort lagerte er mehrere Jahre.
Spuckstein als "altgermanisches Brauchtum"
Draußen veränderte sich Deutschland währenddessen dramatisch. Adolf Hitler kam an die Macht. Politisch anders Denkende wurden in Konzentrationslager gesperrt. So auch Johann Wiele und Alfred Faust, die mit ihrem Streich die NSDAP provoziert hatten.
Im Jahr 1936 tauchte der Spuckstein wieder aus seiner Verbannung auf. Ernst Grohne, der Direktor des Focke-Museums, wandte sich an den Senator für Bauwesen mit der Bitte, den Bremern doch wieder einen Stein zum Draufspucken zu geben.
"Einerseits wurde durch diese Gewohnheit der volkstümliche Abscheu gegen ein wirklich ungeheuerliches Verbrechen zum Ausdruck gebracht und andererseits ist zu sagen, dass in der Sitte selbst ein kleines Stück altgermanischen Brauchtums lebendig geblieben ist. Aus diesen Gründen bitte ich Sie doch dem Gedanken näher zu treten, besagten Sühnestein gelegentlich unauffällig zu erneuern. H H!
Stein wurde heimlich wieder eingesetzt
So geschah es: Der Spuckstein – natürlich ohne das Hakenkreuz – wurde 1936 heimlich bei Nacht wieder an seinen ursprünglichen Platz gesetzt. Museumsdirektor Grohne beobachtete die Reaktionen der Bremer auf den Stein und bemerkte, dass sich nach einigen Jahren ein "allmähliches Wiederaufleben der Speisitte" feststellen ließ. Die zeitweilige Herausnahme des Gesche-Gottfried-Steins habe den hundertjährigen Spuckbrauchs nicht erlöschen lassen.
Auch wenn Grohne sich keinen Reim darauf machen konnte, woher der Spuckbrauch stammte – er war sich sicher, dass der Spuckstein durch den zunehmenden Autoverkehr auf dem Domshof bald niemanden mehr interessieren würde. Er hat sich geirrt.
Quelle: Radio Bremen