Bis heute rätselhaft:
Das Grab der "Heiligen Seelen"Der Weg zu den "Hillseelen", also den "Heiligen Seelen" aus der Sage, führt über Mulsum nach Tinste. Die einstige Holperstrecke durch den Tinster Wald Richtung Bremervörde wurde jüngst ausgebaut und ist mit dem Fahrrad ein Vergnügen. Denn es geht meist leicht bergab, man nähert sich dem Ostetal und den davor befindlichen Mooren.
Über viele Jahrhunderte war dieser Weg einer der wichtigsten Fernwege im Elbe-Weser-Dreieck. Viehtreiber, Händler und andere Fernreisende strebten über diesen Weg die von einer trutzigen Burg gesicherte Ostefurt von Bremervörde an.
Heute nutzen Radfahrer und immer mehr Autos diese Straße, die nach ihrem Ausbau als "Kömschnellweg" gilt. Schon nach kurzer Zeit begleitet ein Sperrzaun des Bundeswehrdepots den Weg. An der "Schwarzen Wache" biegt man rechts in einen schnurgeraden Schotterweg, der nach einem Kilometer über einen unscheinbaren Graben führt - und ist mitten drin im "Hillseelen"-Gebiet.
Das einstige Moor, das man soeben durchquerte, heißt "Heiliges Seelen-Moor" und der Graben, eigentlich der "Oste-Schwinge-Kanal", liegt genau dort, wo sich einst der "Hillseelenbeek", also der "Heilige-Seelen-Bach" durch die Niederung wand.
Schon 1760 führte der Bach diesen Namen. Obwohl ein Touristik-Wegweiser den Zusatz "Ostekultur-Route" führt und die Entfernung zu mehreren Orten nennt, gibt es nicht den geringsten Hinweis auf die rätselhaften Flurnamen. Und doch soll es, will man den Heimatforschern glauben, rund 500 Meter westlich entfernt gelegen haben - das sagenumwobene "Heilige-Seelen-Grab".
Einem einsamen runden Erdhügel in der Heide, von dem früher die Leute erzählten, dass es das Grab von zwei Mädchen beherbergt, die dort einem Raubmord zum Opfer fielen. Sie sollen, so erzählten es sich früher die Leute, von dem Gut Horn, das sich bis zum Dreißigjährigen Krieg im heutigen Horner Holz befand, nach Elm zum Einkauf verschiedener Dinge geschickt worden sein. Darunter auch Nägel.
Als sie kurz vor dem Heimweg in ein Wirtshaus einkehrten, klapperten sie zum Scherz mit den Nägeln in der Tasche, als wäre es Geld. Ein Landstreicher soll das beobachtet haben. Er verfolgte die Mädchen und tötete sie in der Heide. Seine Beute soll nur ein Taler gewesen sein. Bis hier ein gewöhnlicher Kriminalfall, wie er damals zwar selten, aber immerhin vorkam. Frauen und besonders junge Mädchen galten außerhalb ihrer Ortschaften in den Augen abgehalfterter Söldner und Strauchdiebe als "Freiwild".
So ging die "Weiblichkeit" vorzugsweise in Gruppen oder wenigstens zu zweit. Wie im Fall von Elm.
Noch heute sagen sich dort im Grenzgebiet der Landkreise Stade und Rotenburg/Wümme "Fuchs und Hase gute Nacht". Wie einsam muss es früher dort gewesen sein, lange vor der Gründung der Moorkolonie "Hohes Moor"? Damals gab es keine Zeugen des Verbrechens. Als man die Leichen fand, begrub man sie nicht etwa auf dem Gottesacker, was einem Christenmenschen unbedingt zustand, sondern in einem auffälligen Hügel in der Heide.
Hier beginnen die eigentlichen Rätsel: Was veranlasste die Menschen, die beiden "armen Seelen" hinter dem Rücken der Kirche in ungeweihte Erde zu betten? Und schon bald als "Heilige Seelen" zu verehren und gleich einen Bach nebst Moor danach zu benennen? Der Verdacht drängt sich auf, dass hier vor Jahrhunderten ein besonders abscheuliches Verbrechen vertuscht werden sollte.
Dass der oder die Täter nicht etwa Fremde waren, sondern durchaus aus der Gegend stammten, vielleicht dem örtlichen Adel angehörten. Und dass die schrecklichen Details des Martyriums, das die Opfer zu durchleiden hatten und später hinter vorgehaltener Hand durchsickerten, letztlich in die Verehrung der Grabstätte mündete.
Ein weiterer Umstand spricht für die These, dass es mehr als ein gewöhnlicher Raubmord war: Der Weg, den die Mädchen damals für ihren Heimweg benutzten, liegt rund 400 Meter vom späteren Grab entfernt. Warum wurden die Leichen so weit entfernt begraben. Wer machte sich eine derartige Mühe?
Wir werden es nie mehr erfahren. Dort, wo sich der Grabhügel einst befand, dehnen sich heute endlos erscheinende Maisfelder. Folgt man dem Weg von der Kanalbrücke 400 Meter Richtung Elmer Hinterholz und biegt dort links in den Hauptweg Richtung Westen ein, sind nach einer kurzen Strecke links im Wald die hohlwegartig ausgeprägten Fahrspuren des damaligen Weges zu erkennen.
Dort, wo sie beginnen und wo vielleicht einst der Überfall stattfand, stehen zwei auffällige, verkrüppelte Eichen eng beieinander. Zwei mächtige Zweige des einen Baumes "umarmen" den Stamm des anderen. Ein Spiel der Natur? Oder ein später von einem unbekannten Heimatfreund gepflanztes "Denkmal"?
Nur ein weiteres Rätsel am Rande des "Heiligen Seelenmoores" zwischen Elm und Mulsum.